Neozoen auf dem Balkon
22.07.2024 RheinfeldenInvasive Tierarten erobern das Fricktal
Auch im Fricktal sind in den letzten Jahren verschiedene Tiere eingeschleppt worden oder eingewandert, die hier nie heimisch waren: Es sind «Neozoen», die zur Plage werden können.
Kurt J. Rosenthaler
Neozoen ...
Invasive Tierarten erobern das Fricktal
Auch im Fricktal sind in den letzten Jahren verschiedene Tiere eingeschleppt worden oder eingewandert, die hier nie heimisch waren: Es sind «Neozoen», die zur Plage werden können.
Kurt J. Rosenthaler
Neozoen werden definiert als Tierarten, die nach 1492, also nach der Ankunft von Kolumbus in Amerika, direkt oder indirekt durch Mithilfe des Menschen in Gebiete gelangen, in denen sie natürlicherweise nicht vorkommen. Als «invasiv» gelten diese Arten dann, wenn sie sich im neuen Gebiet ansiedeln und die biologische Vielfalt beeinträchtigen oder Mensch, Tier und Umwelt gefährden können. Da diese Invasoren hier keine natürlichen Feinde haben, können sie sich ungestört ausbreiten und einheimische Arten verdrängen.
Nahrungspflanzen waren Neophyten
In der Schweiz gibt es heute etwa 1000 Neozoen, von denen etwa 50 Arten als invasiv angesehen werden. Ähnlich verhält es sich mit Pflanzen. Hier spricht man von Neophyten. Unzählige Pf lanzenarten wurden seit 1492 von Kontinent zu Kontinent verschleppt; auch hier gelten viele Arten als invasiv, zahlreiche Arten wurden aber absichtlich als Nutzoder Zierpflanzen übertragen. Die meisten Nahrungspflanzen, die wir heute in Europa geniessen, sind Neophyten!
Zurück zu den Neozoen. Bei uns tummeln sich heute Insekten, Tausendfüssler, Krebse, Spinnen, Muscheln und Schnecken, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere, die eigentlich nicht hierher gehören. Und weit suchen muss man dabei nicht. Im September 2021 hat der Schreibende an dieser Stelle bereits über einige «fremde» Vogel-Beobachtungen am Rhein oberhalb Rheinfeldens berichtet, nämlich Rostgans, Brautente und die erstmals in Rheinfelden beobachtete, aggressive Nilgans. Und noch näher, nämlich auf dem eigenen Balkon in Rheinfelden, fand ich in den letzten Jahren einige «neue» Insektenarten sowie eine Spinne und einen Hundertfüsser, dessen Biss sehr unangenehm sein kann.
Da wäre zunächst der Asiatische Marienkäfer (lateinisch Harmonia axyridis), auch Harlekin-Marienkäfer genannt. Er ist erkennbar am hellgelben Halsschild und an der Farbe der Flügel, die von gelb bis dunkelrot variiert. Variabel sind auch die 19 schwarzen Punkte, nämlich von kaum sichtbar bis zur fast vollständigen Schwarzfärbung des Käfers. Der Asiatische Marienkäfer ist seit 2013 die häufigste Marienkäfer-Art auf meinem Balkon und hat die einheimischen Arten fast vollständig verdrängt.
Ein Schädling für viele Pflanzen
Die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys) stammt aus Ostasien und ist ein Schädling für viele Pflanzen. Sie wurde erst vor etwa zehn Jahren bei uns eingeschleppt und fällt als typische Stinkwanze auf durch ihren unangenehmen Geruch, den sie bei Berührung absondert. Sie ist heute äusserst häufig und erscheint seit 2014 auf dem Balkon und kommt zuweilen auch in die Wohnung.
Die Amerikanische Kiefern- oder Zapfenwanze (Leptoglossus occidentalis) stammt aus dem Westen Nordamerikas und wurde 1999 in Europa eingeschleppt, wo sie sich rasch ausbreitete. Die längliche, hübsch gezeichnete Wanze erschien erstmals 2010 und sonnt sich seither regelmässig auf dem Balkon.
Die mit der Tigermücke nah verwandte Asiatische Buschmücke (Aedes japonicus) ist eine Stechmücke, die in Ostasien beheimatet ist und wie die Tigermücke verschiedene gefährliche Krankheitserreger auf den Menschen übertragen kann. Bereits im Sommer 2020 fing ich ein Exemplar in der Wohnung. In der NFZ vom 24. November 2023 wurden die ersten Tigermücken in Rheinfelden gemeldet.
Noch zu erwähnen ist die Kirschessigfliege (Drosophila suzukii), die aus Südostasien stammt und seit einigen Jahren auch den Obst- und Weinbauern im Fricktal zu schaffen macht. Oder die Asiatische Hornisse (Vespa velutina), eine Art, die ebenfalls aus Südostasien eingewandert und als Bienenschädling gefürchtet ist und die seit kurzem im Fricktal von sich reden macht (die NFZ berichtete darüber). Noch nicht im Fricktal angekommen ist der Japankäfer (Popillia japonica). Dieser, mit dem Maikäfer verwandte Schädling, ist von Japan über die USA nach Europa gelangt und richtet seit 2014 in Italien enorme Schäden an. 2017 erschien der Käfer im Tessin, 2023 in Kloten (ZH) und jetzt in Basel. Sofort wurden da Massnahmen ergriffen, um die weitere Verbreitung zu verhindern, denn der Käfer, der die Eier in den Boden von Wiesen und Rasenflächen legt und ziemlich jede Pflanze frisst, kann sich rasend schnell vermehren.
Eine recht aggressive Spinne, deren Biss durch die menschliche Haut dringt und deren Gift sehr schmerzhaft sein kann, ist die Kräuseljagdspinne oder Nosferatu-Spinne (Zoropsis spinimana). Nosferatu ist ein Synonym für den Vampir Dracula, aber unser Blut saugt diese Spinne nicht. Sie ist etwa gleich gross wie eine Kreuzspinne und sehr schön gezeichnet. Sie stammt aus dem Mittelmeerraum und beginnt sich bei uns durch den Klimawandel wohl zu fühlen und zu verbreiten. Das erste Exemplar tauchte im Mai 2022 auf dem Balkon auf, weitere Exemplare folgten im folgenden Jahr, ein Tier machte sogar einen Ausflug in die Küche.
Genau wie die Kräuseljagdspinne ist der Spinnenläufer (Scutigera coleoptrata), ein Hundertfüsser, aus dem Mittelmeerraum bei uns eingeschleppt worden und heute weltweit verbreitet. Dieses wärmeliebende, nachtaktive, lichtscheue Tier findet sich stets in oder an Gebäuden. Mit den Kieferklauen vermag es die menschliche Haut zu durchdringen; sein Giftbiss ist sehr schmerzhaft. Im August 2023 fotografierte ich nachts ein Exemplar am Balkonfenster.
Seit einigen Jahren macht sich weltweit ein dramatischer Insektenschwund bemerkbar. Ursache sind vor allem Monokulturen, Pestizide, Zerstörung von Lebensräumen, Lichtverschmutzung und so weiter. Dieses massive Insektensterben macht sich jetzt seit etwa 2 oder 3 Jahren auch auf dem Balkon des Schreibenden bemerkbar: Der mehr oder minder willkommene Besuch von Schmetterlingen, Käfern, Florfliegen, Bienen und kleinen Wespenarten hat um 50 bis 90 Prozent abgenommen. Die früher sehr häufig an Sommerabenden um die Lampen flatternden, harmlosen Köcherfliegen (Trichoptera) sind völlig verschwunden. Entsprechend reduzierte sich auch die Anzahl der Spinnen auf dem Balkon, denn ihnen fehlt jetzt ganz einfach die Nahrung.