Nach Bundeshaus und Petersdom
27.07.2024 Persönlich, Gansingen«Viel authentischer», sagt David Rossel und freut sich auf Gansingen
Er hält es arbeitstechnisch mit Bach, fand bei Korngold, was er für den Chor suchte, um diesem und Mendelssohn gerecht zu werden. Jetzt ist alles bereit für den Sommernachtstraum, so dass ...
«Viel authentischer», sagt David Rossel und freut sich auf Gansingen
Er hält es arbeitstechnisch mit Bach, fand bei Korngold, was er für den Chor suchte, um diesem und Mendelssohn gerecht zu werden. Jetzt ist alles bereit für den Sommernachtstraum, so dass eine kurze Pause drin liegt – Premiere ist am 17. August. Die NFZ unterhielt sich mit David Rossel, dem musikalischen Leiter des Freilichttheaters in Gansingen.
Simone Rufli
Normalerweise geniesse er im Sommer eine längere Pause, sagt David Rossel. Jetzt sitzt der Basler Chorleiter und Komponist berufsbedingt im Garten von Familie Streit an der Hinterdorfstrasse in Gansingen. Mit Streits ist er seit einiger Zeit freundschaftlich verbunden. «Mehrere Familienmitglieder sind am Freilichttheater im Sparblig beteiligt, ihre Anfrage führte zu meinem Engagement beim Sommernachtstraum.»
Er schätze Projektarbeit als Abwechslung zur Leitung seiner vier Chöre. «Alles muss ein bisschen effizienter sein», sagt er und gleichzeitig bleibe viel Raum für Improvisation und Kreativität. Seine Beziehung zum Sommernachtstraum? «Ich kannte natürlich die Bühnenmusik von Mendelssohn, literarisch aber war mir das Stück von Shakespeare fremd.»
So ganz einfach lässt sich Bühnenmusik, geschrieben für ein Sinfonieorchester, am Waldrand aber nicht umsetzen. Band statt Orchester? «Das war auch mal eine Idee, aber ich fand eine klassische Orientierung stimmiger.» Er fand einen Weg, liess den Streichersatz stehen, strich die Bläser und stellte stattdessen dem Streichquintett ein Akkordeon zur Seite, «um eine gewisse Farbe des Originals beizubehalten». Zu Mendelssohns zauberhaften, unschuldigen Klängen fügte Rossel auf Anregung von Regisseurin Eva Mann etwas Mahler hinzu. «Aus der Sinfonie Nr. 1, Titan – für den Herz-Schmerz». Von allein hat sich das nicht zu einem Ganzen gefügt. «Harte Arbeit und Routine sind zentrale Punkte beim Komponieren und beim Musizieren. Talent allein genügt nicht», sagt Rossel und hält es mit Bach, der einst gesagt habe: «Ich habe fleissig seyn müssen.»
Weil sich bei Mendelssohn im Sommernachtstraum nur gerade ein Chorstück findet, zog Rossel die von Erich Wolfgang Korngold arrangierte Filmmusik aus dem Jahr 1935 heran. «Dort fand ich eine Chorversion des allseits bekannten Hochzeitsmarsches.» Diese und weitere Chorstücke bekommen die Gäste im Sparblig nun zu hören.
Am Anfang war die Knabenkantorei
Die Mutter Klavierlehrerin, der ältere Bruder Solist in der Knabenkantorei, wuchs David Rossel umgeben von klassischer Musik auf. Er war acht Jahre alt, als auch er in die Basler Talentschmiede aufgenommen wurde. Zuerst habe ihn das mässig begeistert, bekennt er und lacht. «Da mich meine Grossmutter aber nach den ersten Proben zum Glacé einlud, änderte sich das schnell.» Die Belohnung wirkte nachhaltig. 16 Jahre lang gehörte er der Knabenkantorei an. «Das war eine Lebensschule und Nährboden für meine spätere Entwicklung.» Leistungsorientiert und mit vielen Höhepunkten: Er war 2001 einer der drei Knaben in Mozarts Zauberflöte am Theater Basel, reiste mit dem Chor nach Brasilien, in die Ukraine und nach Kanada, kam zu solistischen Einsätzen, arbeitete sich durch Oratorien, Messen und viele andere traditionelle Werke der Musikgeschichte.
Während seine zwei Halbbrüder später einen anderen Weg einschlugen – «der eine ist Sekundarlehrer in Möhlin, der andere unterrichtet am Wirtschaftsg ymnasium in Basel» – blieb David Rossel der Chormusik treu.
Nicht-lineare Laufbahn
Vieles entwickle sich bei ihm nach dem Motto «learning by doing». «Ich habe Geschichte und Musikwissenschaft studiert, aber nie in Vollzeit, weil ich daneben immer mit Chören arbeitete.» Chorleitung und Kulturmanagement seien nur zwei Dinge, die er sich in seiner nicht-linearen Laufbahn angeeignet habe. «Nach zwölf Jahren Schule hatte ich genug von vorgegebenen Lerninhalten, ein Aufbaustudium zog ich deshalb gar nicht in Betracht.» Erst als die Corona-Pandemie ausbrach und den Chorgesang zum Erliegen brachte, kehrte er an die Uni zurück und absolvierte den Master in Osteuropäischer Geschichte. Der östliche Teil Europas sei nicht erst seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs ein hochaktueller, weltpolitischer Bereich mit grosser historischer Bedeutung. «Es ist ein Teil unserer Geschichte, den man als Westeuropäer auch etwas näher kennen sollte.»
Bundeshaus und Petersdom
Dass er selbst als Dirigent nicht alles beeinflussen kann, hat er erst kürzlich wieder zu spüren bekommen. Im Dezember 2023 mit den «Männerstimmen Basel» im Bundeshaus, als der Baselbieter Eric Nussbaumer zum obersten Schweizer und Basels Eva Herzog zur Ständeratspräsidentin gewählt wurden – und in noch stärkerer Ausprägung am 6. Mai dieses Jahres im Petersdom mit dem Cäcilienchor Aesch, als das Baselbiet im Vatikan Gast war am Sacco di Roma, der Vereidigung der Schweizergardisten. «Natürlich waren beide Auftritte eine grosse Ehre und ein unvergessliches Erlebnis für die beiden Chöre.» Das enge Korsett aber aus Tradition und Protokoll und – im Fall des Vatikans – «die unbändige Akustik im Petersdom, die nicht besser ist als in einer Flughafenhalle», sie blieben zwiespältig in Erinnerung. «Hätte unser Organist Matthias Wamser nicht perfekt antizipiert, wären Musik und Gesang auseinandergefallen, so gross war die räumliche Distanz zwischen Orgel und Chor.» Im Rückblick gehören solche Sachen zum Business dazu: «Flexibilität und Coolness sind für einen Dirigenten wichtig, um auch in Stresssituationen klar zu navigieren. In Gansingen fühle ich mich aber sicher viel wohler als im Vatikan. Kein Dogma, kein Protokoll, und dennoch geistreicher, herzlicher – in einem Wort: authentischer.»
Passionierter Rheinschwimmer
Jetzt ist auch in Gansingen Pause. Zwei Wochen lang. Die rare Freizeit geniesst David Rossel gerne zuhause. Er sei ein passionierter Rheinschwimmer, der bereits in den Bach steige, wenn andere noch den Winter mit dem Böög zu vertreiben versuchten. (Ein Basler Seitenhieb Richtung Zürich.) Weit hat Rossel nicht zum Wasser. Der 36-Jährige wohnt direkt am Kleinbasler Rheinufer zwischen der Mittleren Brücke und der Wettsteinbrücke und geniesst den Postkarten-Blick aufs Münster und die Grossbasler Altstadt. «Meine Wohnung am Rheinufer ist der einzige Luxus, den ich mir leiste.» Er besitze weder Auto noch Töff, nur ein altes Velo, mit dem er zu Pandemiezeiten die ganze Schweiz abfuhr. «Corona hat brutal offenbart, welch zerbrechliches, aber auch flexibles Instrument ein Chor sein kann. Dies allein mit Handbewegungen, Mimik und Gestik künstlerisch zu gestalten, das ist für mich als Chorleiter einmalig.»
Mit dem Reggae-Velo auf Tour
Mit einem Chor würde er sich nie daran wagen, aber privat höre er am liebsten Reggae-Musik. 2022 hat er sogar auf Einladung von Radiomacher Lukie Wyniger bei SRF 2 das Reggae-Special zu Bob Marleys Geburtstag präsentiert. «Ein Highlight, davon werde ich noch lange erzählen.» Farbig wie die Musik von Bob Marley sei übrigens auch sein Velo. «Ein richtiges Reggae-Velo. Das war damals eine dieser langen Velotouren, die mich von Basel via Fricktal direkt ins Zürcher Radiostudio führte.» Wenn er weder dirigiert noch schwimmt oder Velo fährt, dann sei er damit beschäftigt, die Pauluskirche in Basel in einen Kulturmagneten zu verwandeln, «seit drei Jahren wirke ich dort als Leiter der Kulturkirche Paulus mit Café auf dem Vorplatz bei den Magnolien.» Fast so sommernachtstraumhaftschön wie im Sparblig in Gansingen.