Musik, Glocken und philosophische Gedanken
10.08.2023 Kaiseraugst, KulturKuhglocken am 1. August in Kaiseraugst
Anlässlich des Nationalfeiertags fand im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst eine Soirée mit Kuhglockenbildern statt.
Kuhglocken symbolisieren wie kaum etwas anderes Schweizer Identität. Sie repräsentieren Swissness, eignen sich fürs Marketing. Bei näherem Hinsehen eröffnen sie religiöse Tiefe. Die Fotografin Hélène Tobler zeigt in ihrem Buch «Des cloches et des hommes» («Von Glocken und Menschen» Nahaufnahmen von Motiven auf Kuhglocken. Die Bilder werden von Texten der Autorin Sylviane Messerli kommentiert. Fotografin und Autorin waren am Anlass anwesend.
Bei der Soirée wurde auf der Grossleinwand eine Auswahl von Motiven gezeigt: solche aus dem vorchristlichen Heidentum wie die antiken Gottheiten Pan und Phönix; solche mit spezifisch christlichem Bezug wie Maria mit dem Jesuskind oder Maria von Magdala, die dem Auferstandenen begegnet und meint, es sei der Gärtner; und schliesslich solche mit Bezug auf die Schweiz.
«Delirium melancholicum», die «Schweizer Krankheit»
Berührend war die Sequenz über die sogenannte «Schweizer Krankheit»: Wenn die Schweizer Söldner, die Reisläufer, den Kühreihen hörten, heisst es, seien sie dem «delirium melancholicum» verfallen und desertiert, weshalb es «bei ernstlicher Strafe» verboten gewesen sei, einen Kühreihen anzustimmen. Sogar die helvetischen Kühe seien an diesem Heimweh erkrankt, wenn in der Ferne ein Kühreihen gesungen wurde: «Sie warfen augenblicklich den Schwanz krumm in die Höhe, zerbrachen alle Zäune und wurden wild und rasend», heisst es in einer Quelle.
Neben dem Kühreihen habe es ein Lied gegeben, welches die «Schweizer Krankheit» ausgelöst haben soll und was zu singen bei Todesstrafe verboten gewesen sei: Das Guggisbärglied. Es beginnt mit der Zeile: «S’sch äben-e Mönsch uf Ärde» – und deutet damit an, dass es nicht nur ums «Vreneli ab em Guggisbärg und Simes Hans-Joggeli änet dem Berg geht», sondern um uns alle, es geht um die Conditio humana, die menschliche Verfasstheit hier unten auf Erden. Anschliessend intonierte und variierte die Flötistin Tamar Eskenian die Melodie des Guggisberglieds.
Weit über der Welt stehen
Die Soirée klang aus in philo - sophischen Gedanken. Ortspfarrer Andreas Fischer sagte: «Der grosse österreichische Komponist Gustav Mahler machte sich zum Gespött der Musikwelt, als er in seiner 6. Symphonie Viehglocken als Instrumente einsetzte, neben Violinen, Querflöten, Blechbläsern und so weiter. Es ging ihm darum, neue Klangwelten auszuloten. Es ging ihm darum, die Verbundenheit mit der Natur zum Ausdruck zu bringen, und auch die Verbundenheit unter uns Menschen. Die Glocke, dieses Symbol Schweizer Identität, transzendiert, überschreitet also gerade jede Form von Nationalismus. Sie transzendiert auch unser Dasein hier unten auf Erden. Der Glockenklang verweist ins Änedraa, in ein sagenhaftes Drüben. Kuhglocken sind, nach Mahlers eigenen Worten, das letzte Geräusch, das dem Menschen in äusserster Höhe noch von der Erde her zuklingt, Symbol des Weit-über-der-Welt-Stehens.» Dann wurde der Apéro eröffnet, mit der Nationalhymne «Trittst im Morgenrot daher». Und einem «Happy Birthday» für die Flötistin Tamar Eskenian, eine Armenierin, die im Libanon aufgewachsen ist, auf internationalen Bühnen auch mal mit Daniel Barenboim auftritt und seit Kurzem den Schweizer Pass besitzt. Und für Max Heller, den früheren Kaiseraugster Gemeindepräsidenten. (mgt)
Eine Auswahl der Kuhglockenbilder wird auch im Gottesdienst am Sonntag, 13. August, 10 Uhr, zu sehen sein. Die Bilder können, ebenso wie das Buch, käuflich erworben werden.