«Liebe muss Brücken bauen, nicht Käfige»
03.05.2023 Persönlich, HellikonNiklas Raggenbass studierte Rechtswissenschaften, bevor er sich der Theologie zuwandte. Heute setzt sich der rüstige Pensionär sowohl für das geistige wie für das körperliche Wohl seiner Mitmenschen ein. Dabei ist ihm die Ökumene ein Herzensanliegen.
Hans ...
Niklas Raggenbass studierte Rechtswissenschaften, bevor er sich der Theologie zuwandte. Heute setzt sich der rüstige Pensionär sowohl für das geistige wie für das körperliche Wohl seiner Mitmenschen ein. Dabei ist ihm die Ökumene ein Herzensanliegen.
Hans Zemp
Seit bald zwei Jahren ist Niklas Raggenbass Pfarrer der christkatholischen Kirchgemeinde im Wegenstettertal. Er wuchs im Grenzstädtchen Kreuzlingen auf und seine Eltern hätten ihm gesagt, es gebe gar keine Grenzen, es gebe Brücken. Und die müsse man bauen und nicht Stacheldrahtzäune. Diese Einstellung begleitete ihn und hat ihn geprägt. Noch heute gilt dies für ihn. Er ist überzeugt, dass man vom Vielschichtigen, auch in den Religionen, nur profitieren kann.
Der studierte Jurist arbeitete nach seinem Studium in Zürich. Zusammen mit anderen Juristen nahm er sich auch randständigen Gruppen an. Dazu zählten damals Leute aus dem Drogenmilieu, Jugendliche, die an bandenmässigen Überfällen beteiligt waren oder Leute mit Beziehungsproblemen. Dieses Juristenteam gründete die ARUD, die Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen. Absicht war es, zusammen mit Fachleuten wie Ärzten, Therapeuten und anderen diese Gruppen unkonventionell zu therapieren mit dem Ziel, dass sie ihren Halt in der Gesellschaft wieder finden. Das Projekt steht heute noch und ist sehr erfolgreich.
Weil vieles in dieser Arbeit religiöse Komponenten beinhaltet und das Leben auf Liebe, Hoffnung und Vertrauen gründet, hat dies bei Niklas Raggenbass zum Theologiestudium geführt. Und dies, obwohl ihm der damalige Abt des Klosters Engelberg sagte, dass ein Jurist kein Theologiestudium machen könne. Dieses Studium gab ihm Tiefe im Verständnis für viele Werte. «Wenn man dorthin hört, wo das Herz schlägt, ist das Religion», sagt Niklas Raggenbass. Er denkt da besonders an die Schwerpunkte im Leben wie Taufe, Konf irmation, Firmung, Trauung und Tod. Gemeinsam trage man in all diesen Bereichen Freude und Lasten, man baue Brücken. Das «Miteinander und Füreinander» erhalte Sinn.
Dem Ruf des Bischofs gefolgt
Bischof Harald Rein fragte Niklas Raggenbass, ob er im Wegenstettertal als Seelsorger wirken möchte, weil kein Priester da war. Rein suchte jemanden, der die Ökumene pflegt und die Nähe zu den Städten kennt. Raggenbass sagte zu und ist unterdessen seit bald zwei Jahren Priester bei den Christkatholiken. Er fühlt sich in seinem neuen Wirkungskreis sehr wohl, staunte über die hier typische Siedlungsform und freute sich an der Vielseitigkeit, die sich bietet, Gottesdienste zu feiern. Tolle Erntedankfeste, Gottesdienste auf den Höfen oder zur Coronazeit Taufen im Wald sind für ihn einzigartig.
Niklas Raggenbass hat in seiner Zeit im Wegenstettertal viele Eindrücke gesammelt. Viele davon sind nicht einfach einzureihen. Er hat aber viel Offenherzigkeit vorgefunden. «Wenn man an eine Türe klopft, wird diese geöffnet, um herauszukommen und nicht, um hineinzugehen.» Er meint damit, dass viele Projekte grosszügig, auch im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt werden. «Wenn man jemanden nicht in der Kirche sieht, heisst das nicht, dass er nicht mitmacht», beobachtet er. Es gebe immer wieder sehr tolle Erlebnisse. Obwohl viele Traditionen sehr geschützt und gepflegt werden, findet grosse Offenheit ihren Raum. Er denkt dabei etwa an die Fastensuppe in Zuzgen.
«Die Liebe muss Brücken bauen und nicht Käfige», ist Niklas Raggenbass überzeugt. Verbindungen schaffen nach seiner Überzeugung auch Events wie die Osterkerzen und das Feuer vor der Kirche mit dem Osterscheit, das Erntedankfest, der Samichlausumzug oder die Sternsinger. «Die Leute bringen viele gute Ideen ein», so seine Erfahrung. Und dies führe zu Verbindungen. Kleines werde gross. Viel Schönes, aber auch Trauriges habe Platz.
Kirche ist ein weiter Begriff
Viele Leute sieht man heute nicht mehr in der Kirche. Für Niklas Raggenbass gibt es dafür zahlreiche gute Gründe. So würden etliche Aufgaben Kirchenbesuche nicht zulassen. Der Begriff Kirche sei aber weiter zu fassen als nur im Raum mit den Glocken. Die Kirche ist nicht nur das Gotteshaus. Sie ist deutlich vielschichtiger. Auch ängstlich zu sein, habe im richtigen Moment seine Berechtigung, gehöre dazu. Aber ohne Risiko habe man kein richtiges Leben.
Für Niklas Raggenbass sind Kulturen und Begegnungen sehr wichtig. Sie bringen Kenntnis über das Leben und dessen Vielfalt. Das Erfahren von Tiefe bringe unerschöpfliche Verbundenheit. Es entsteht das Vertrauen, das «miteinander aus dem Leben erfahren».
Ökumene als Herzensanliegen
Er weiss, dass es in diesem Bereich noch Grenzen gibt. Der Weg zum Zusammensein müsse gefunden werden, das «Miteinander-den-Weggehen», kennt er. Klar sei manchmal ein «Nein» zu respektieren. Dennoch hofft er, dass die Zukunft der Kirche ökumenisch sein wird. Arme Leute hätten oft kein ruhiges Leben und fänden in der Kirche den Ort, in dem sie Schutz, und Hoffnung finden. In diesem Miteinander bestehe ein Teil der Religion.
Pfarrer Niklas Raggenbass will selber seinen Beitrag leisten, dass Traditionen im Tal und Besonderheiten bewahrt bleiben, dass keine Gleichmacherei stattfindet. Die Ökumene will er weiter entwickeln und dem Religionsunterricht in der Schule zusammen mit den Lehrkräften den gebührenden Platz einräumen. Kinder müssten unterscheiden lernen, was der Sinn des Lebens ist. Neue Gottesdienstformen mit Alphorn und anderen Instrumenten für Volksmusik wurden bereits gefeiert und begeistern ihn.
Kulinarik mit Herz
Das Schreiben von Artikeln für die Zeitschrift «Christkatholisch» gehört genauso zu seinem Tätigkeitsfeld wie das Führen eines Restaurants; dies zusammen mit seiner Partnerin Maria Leu in Hohenrain. Das Motto dort ist «Kultur und Kulinarik mit Herz». Zum Essen mag er besonders Cervelats, Auflauf nach Grossmutters Art, Linsengerichte und Käsesuppe.
Weiter trifft man den rüstigen Rentner als Deutschlehrer für ukrainische Flüchtlinge und beim Erledigen gewisser Aufgaben für die Ökumene in der christkatholischen Kirche in Luzern an. Niklas Raggenbass liebt es, wenn er Sinnvolles anpacken und erledigen kann.