Kommen Sie mit auf unsere «Denkreise»
26.06.2025 FricktalWir starten heute in der Neuen Fricktaler Zeitung ein neues Gefäss – die «Denkreise».
Einmal im Monat laden wir Sie ein, mit uns (weiter) zu denken. Jede Etappe bietet eine Möglichkeit, die eigene Erfahrungswelt kritisch zu hinterfragen. Wir geben keine Antworten, sondern stellen Fragen. Und manchmal auch Ihre Antworten infrage. Denken jenseits der Norm kratzt an Gewissheiten. Es weitet den Blick für das, was denkbar ist. Es schafft Überblick und wer Überblick gewinnt, erkennt Zusammenhänge. Einsicht entsteht. Und vielleicht, ganz am Ende, sogar Rücksicht. Die «Denkreise» will aufrütteln – leise, aber nachhaltig.
Nicht das Auge entscheidet, was wir sehen, sondern unsere Erfahrung. Verführerisch ist dabei der Irrtum, im Altbekannten das Wahre und im Wiedererkannten das Richtige zu erkennen. Erfahrung ist mehr als nur eine Ansammlung von Erinnerungen – sie ist gelebtes, gefiltertes und oft unbewusst bewertetes Wissen. Was sich über Jahre als «bewährt» eingeprägt hat, formt unsere Haltung und diese Haltung wiederum bestimmt unser Handeln: im Privaten wie im Öffentlichen, im Kleinen wie im Grossen. So hilfreich diese innere Landkarte sein mag, sie hat ihre Grenzen. Erfahrung bietet Orientierung, doch wer ausschliesslich auf sie vertraut, begrenzt seinen Handlungsspielraum und riskiert, lernresistent zu werden. Oder wie es Albert Einstein sinngemäss formuliert: «Erfahrung ist das Ende aller Fantasie.» Es ist deshalb wertvoll, die eigenen Erfahrungen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Nicht, um alles Bisherige zu verwerfen, sondern um durch neue Perspektiven das Selbstverständliche herauszufordern.
Die «Denkreise» ist eine Einladung für alle, die spüren: So, wie wir denken, so gestalten wir, unsere Welt, unsere Beziehungen, unsere Zukunft. Machen Sie mit. Denken Sie mit. Und vielleicht auch: Denken Sie um!
Mit auf diese «Denkreise» nimmt Sie Hans A. Wüthrich. Fasziniert vom musterbrechenden Denken, lotst er mit Neugier als Kompass dorthin, wo Zwei- fel entstehen, und alternative Sichtweisen beginnen. Hans A. Wüthrich wohnt in Rheinfelden. Er ist emeritierter Universitätsprofessor, Fachbuchautor und engagiert u. a. in der Stiftung MBF und Spitex Fricktal AG.
Denkimpuls 1
Was wäre, wenn der Optimist der tatsächliche Realist ist?
Oder weshalb gerade heute ein positives Menschenbild alternativlos ist.
Weltweit sind die Krisensignale laut. Wer sie nicht wahrnimmt, gerät schnell in den Verdacht der Ignoranz. Kriege, Klimakatastrophen, autoritäre Tendenzen und tief gespaltene Gesellschaften prägen das Bild. Inmitten all dessen erscheint der Glaube an das Gute im Menschen beinahe schon als Ausdruck naiver Hoffnung. Vertrauen gilt in solchen Zeiten als Luxus, Wohlwollen als Schwäche.
Doch was, wenn genau das Gegenteil wahr ist? Was, wenn ein bewusst gewählter Optimismus nicht weltfremd, sondern überlebensnotwendig ist? Die Idee mag irritieren: Dass gerade im Angesicht der globalen Krisen ein positives Menschenbild zur rationalsten aller Optionen wird. Dass der bewusste Glaube an die konstruktiven Kräfte im Menschen – Kooperation, Empathie, Mitgefühl – keine Flucht vor der Realität ist, sondern ein tieferes Verständnis derselben. Denn wer sich nur auf Gier, Macht und Misstrauen fixiert, sieht nur die halbe Wahrheit. Der Mensch ist nicht entweder egoistisch oder solidarisch, er ist beides. Und diese Ambivalenz macht Hoffnung zur Entscheidungssache.
Misstrauen erzeugt Misstrauen. Doch Vertrauen wirkt ansteckend. Wer an das Gute glaubt, riskiert enttäuscht zu werden. Aber wer nicht mehr daran glaubt, verhindert es von vornherein.
Paradoxer Optimismus ist deshalb kein Wegschauen, sondern ein Hinsehen – mit Haltung. Es ist der Entschluss, inmitten des Zerfalls an Aufbau zu glauben. Nicht blind, nicht blauäugig, sondern zukunftsklug. Vielleicht müssen wir die Frage neu stellen: Nicht «Was ist der Mensch?», sondern «Was sind wir bereit, in ihm zu sehen?» Denn was wir sehen, prägt, was wir tun. Und was wir tun, entscheidet, wie wir die Welt gestalten.
Zwei persönliche Reflexionsfragen:
• In welchen Momenten entscheide ich mich für Misstrauen – und warum?
• Was wäre, wenn ich Hoffnung nicht als Gefühl, sondern als
Entscheidung lebte?
Kontradiktorisches Wohlwollen – die Einladung für ein persönliches Experiment:
Wählen Sie eine Person, gegenüber der Sie aktuell starke Vorbehalte hegen. Und begegnen Sie ihr, für einen Monat, bewusst mit Respekt, Wohlwollen und einer positiven Grundhaltung. Nicht, weil sie es verdient hätte, sondern weil Sie sich damit selbst disziplinieren, Ihr Menschenbild schützen und Ihre soziale Wirksamkeit trainieren. Beobachten Sie, was sich verändert, in der Beziehung, aber vor allem in Ihnen selbst. Und suchen Sie das Gespräch mit dieser Person über das, was geschehen ist.
Wir sind gespannt auf Ihre Erfahrungen. Ihre Meinung interessiert uns: redaktion@nfz.ch
Die «Denkreise» will aufrütteln – leise, aber nachhaltig. Jede Etappe bietet eine Möglichkeit, die eigene Erfahrungswelt kritisch zu hinterfragen. Denken jenseits der Norm kratzt an Gewissheiten. Es weitet den Blick für das, was denkbar ist. Machen Sie mit. Denken Sie mit. Und vielleicht auch: Denken Sie um!