«Künstliche Intelligenz hat keinen Zugang zur Wahrheit»
04.09.2025 MöhlinMatthias Zehnder über eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit
Medienwissenschaftler Matthias Zehnder beschäftigt sich intensiv mit den Gefahren und Chancen von Künstlicher Intelligenz (KI). Am Samstag referiert er in Möhlin. Die NFZ hat mit ihm ...
Matthias Zehnder über eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit
Medienwissenschaftler Matthias Zehnder beschäftigt sich intensiv mit den Gefahren und Chancen von Künstlicher Intelligenz (KI). Am Samstag referiert er in Möhlin. Die NFZ hat mit ihm gesprochen.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Matthias Zehnder, wir führen dieses Gespräch telefonisch. Ich stelle Fragen zum Thema, Sie antworten. Ihren Part könnte bereits KI übernehmen, richtig? Matthias Zehnder: Ja. Nur wären es dann nicht meine Antworten, sondern das, was KI für eine wahrscheinliche Antwort hält.
Sie sind nun diese Person, die vor KI «warnt». Würde KI auch solche Antworten geben – oder befinden wir uns bereits mitten in diesem Horrorszenario, dass KI genau sowas würde vertuschen wollen?
Das kommt darauf an, mit welcher KI man redet und wer dahintersteckt. Ein Beispiel ist «Grok», die KI von Elon Musk. Fragte man diese anfangs nach Elon Musk, kritisierte sie seine politische Haltung und seine Strategien bei Tesla massiv. Dann schwenkte sie plötzlich um und erklärte, man könne es differenziert sehen und alles sei gar nicht so schlimm. KI lässt sich steuern und beeinflussen. Fragt man die chinesische KI «DeepSeek» nach Tibet oder stellt andere heikle Fragen zu China, erhält man gar keine Antwort oder die Antwort, die der chinesische Staat präferiert.
Sie referieren in Möhlin zum Thema. Titel: «Warum KI die Demokratie gefährdet.» Das klingt schon sehr negativ.
Das kann man so interpretieren. Wichtig ist das Bewusstsein dafür, dass KI wesentliche Bereiche, die für die Demokratie wichtig sind, massiv beeinflusst.
Die wären?
Zum einen unsere Freiheit im Internet: Es ist nicht so, dass wir heute noch einfach so freien Zugang zu Informationen haben. Vieles, was wir im Internet sehen, sei es auf Facebook und zu Teilen auf Medienwebseiten, ist gezielt aufbereitet. Wir haben es sehr häufig mit KIs zu tun – seien es auch nur Zusammenfassungen von Suchresultaten. KI hat aber keinen Zugang zur Wahrheit, weiss nicht, was sie sagt. Sie reproduziert bloss die wahrscheinlichen Wortkombinationen. Das kann okay sein, manchmal sogar gut – es kann aber auch völlig falsch sein. KI weiss es nicht.
Gewinnen Sie KI auch Positives ab?
KI ist ein fantastisches Tool – vorausgesetzt, ich weiss, was ich damit mache. In meinen Workshops sage ich immer: Nutzen Sie KI nur, wenn Sie die Arbeit auch ohne sie machen könnten. KI übernimmt keine Verantwortung, diese müssen Sie tragen. Und Verantwortung können Sie nur tragen, wenn Sie wissen, was Sie machen. KI kann gut Resultate liefern. Aber oft ist es so, dass sie ein paar Möglichkeiten anbietet. Ein Fachmann kann die richtige daraus auswählen, ein Laie ist vielleicht aufgeschmissen. Zudem sind viele Bereiche der KI weder geregelt noch sauber abgesichert. KI bedient sich bei urheberrechtlich geschützten Werken und bereitet sie neu auf. Das ist für Medienschaffende ein grosses Problem.
Sie haben mir einen Link geschickt, unter dem ich diesen Telefontermin mit Ihnen buchen konnte. Ist das jetzt Digitalisierung oder schon KI?
Das ist Digitalisierung. Es steckt ein Algorithmus dahinter. Diese Unterscheidung ist wichtig. Bei der Digitalisierung läuft häufig ein Programm ab: Wenn Sie dieselben Daten eingeben, kommt immer dasselbe dabei raus. Das ist bei KI nicht so. KI enthält immer ein wenig Zufall, damit sie überhaupt kreativ sein kann. Deshalb kann man nie gänzlich sicher sein, was herauskommt. Es ist oft nicht reproduzierbar.
Wie ist Ihre Wahrnehmung im Allgemeinen: Haben die Menschen Angst vor KI?
Ich glaube nicht. Im Moment sehen wir ein Phänomen, das sich «Hype Cycle» nennt. Wie bei allen Technologien kommt es zu Beginn zu einem unglaublichen Hype, Möglichkeiten werden übersteigert dargestellt. Das führt dazu, dass sehr viel Geld investiert wird. Dann merkt man: So genial ist es doch nicht und es kommt ein wenig zu einem Absturz, weil sich viele der Hoffnungen nicht erfüllen. Wir sind im Moment an einem Kipppunkt mit KI – es wird sich normalisieren und irgendwann sind die Leute plötzlich überrascht, wie normal KI ist, dass sie jetzt einfach da ist und man von ihr einfach so Gebrauch macht. Angst ist auch nicht der richtige Zugang. Es braucht Vorsicht und vor allem ein Bewusstsein dafür.
Angenommen, wir führen in zehn Jahren noch einmal ein solches Gespräch. Kann ich dann noch sicher sein, dass ich wirklich mit Matthias Zehnder spreche und nicht KI in der Leitung habe?
Es kann sein, dass Sie das nicht mehr unterscheiden können und es für sowas irgendwelche Zertifizierungs-Technologien braucht: Dass ich Ihnen bestätigen muss, dass ich auch wirklich Ich bin. Ich glaube aber nicht, dass KI übermorgen die Weltherrschaft übernimmt. Dafür macht sie schlicht zu viele Fehler. Die Schwachstelle aber ist der Mensch, der KI zu viel glaubt und sie zu unkritisch nutzt. Wollen wir in Zukunft etwas machen, sollten wir in die Menschen investieren. Die Intelligenz sitzt in aller Regel immer noch am Computer.
Zum Schluss: Was wird Ihnen persönlich KI nie ersetzen können?
Begegnungen mit Mitmenschen.
Matthias Zehnder (1967) ist freier Publizist und Autor. Er hat in Zürich Germanistik und Philosophie studiert und in Basel in Medienwissenschaften promoviert. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit der Digitalisierung und ihren Folgen, aktuell vor allem mit Künstlicher Intelligenz. Übermorgen Samstag referiert er am «Fest der Demokratie» in Möhlin zum Thema. Zu diesem Fest (16-22 Uhr, Villa Kym) lädt die SP Möhlin. Der Eintritt ist frei.