«Jetzt hektisch Sofortmassnahmen zu ergreifen, wäre eindeutig falsch»

  23.08.2025 Persönlich

Unternehmensberater Niklaus Leemann über wirtschaftliche Herausforderungen

Nichts ist so beständig wie der Wandel. Ein aktuelles, radikales Beispiel dafür nennt der Rheinfelder Unternehmensberater Niklaus Leemann mit den von Amerika verhängten Zöllen. Im Gespräch geht er auch auf Chancen und das Fricktal als Boomregion ein.

Susanne Hörth

NFZ: Herr Leemann, das diesjährige Fricktaler Wirtschaftsforum widmet sich dem Thema «Erfolgreich im Wandel». Dieses Thema behandeln Sie in Ihrem Buch «Adaption». Was muss Ihrer Meinung nach ein etabliertes Unternehmen machen, um den neuen Herausforderungen erfolgreich gewachsen zu sein?
Niklaus Leemann:
Erfolg im Wandel besteht aus einem Dreiklang: Erstens geht es darum, den Wandel überhaupt zu erkennen und zu verstehen. Was verändert sich? Was bleibt gleich? Wo gibt es neue Chancen? Im Nachhinein ist man immer schlauer, doch mitten im Sturm bleiben die neuen Realitäten erst wenig fassbar und verschwommen. Die Zeichen richtig zu deuten – darin liegt die Kunst. Zweitens muss konsequent in neue Technologien, Kundenlösungen und Geschäftsmodelle investiert werden. Denn bisherige Geschäftsfelder werden aufgrund des Wandels zwangsläufig verschwinden oder zumindest stark dezimiert. Und schliesslich drittens wird das Unternehmen organisatorisch und kulturell auf die neue Welt ausgerichtet. Das alles gelingt nur mit dem richtigen Mindset: Man muss den Wandel schlicht als Realität akzeptieren. Wer Bisherigem nachtrauert oder sich gar gegen den Wandel wehrt, verschwendet seine Energie. Wandel passiert, ob man das will oder nicht.

So ist es, Veränderungen gibt es ständig. Amerika verlangt plötzlich immense Zölle. Sind Sie in diesen Tagen darauf angesprochen und um Rat gefragt worden?
Ja, das Thema ist aktuell sehr präsent – hauptsächlich bei exportorientierten Firmen. Die neuen Zölle sind ein Paradebeispiel für radikalen Wandel in der Frühphase: Niemand weiss, ob wir in wenigen Monaten zur Normalität des Freihandels zurückkehren – oder ob sich die Weltwirtschaft wieder in abgeschottete Regionen zerteilt. Meine Empfehlung: Szenarien entwickeln und durchspielen. Unternehmen sollten jetzt sehr genau beobachten, welche politischen Signale und Verhandlungsergebnisse kommen. Parallel lohnt es sich, für die verschiedenen Szenarien Pläne in der Schublade zu haben – vom «Weiter wie bisher» bis zur radikalen Anpassung an neue Märkte. Aber: Jetzt hektisch Sofortmassnahmen zu ergreifen, wäre eindeutig falsch.

Was bedeuten die hohen Zölle Ihrer Meinung nach für die Pharma-Industrie im Fricktal?
Im Moment sind pharmazeutische Produkte noch von den Zöllen ausgenommen. Aber gedroht wird von unseren amerikanischen Freunden mit weit drakonischeren Zöllen auch auf Pharma-Produkte, sowie mit Preissenkungen. Sollten diese tatsächlich kommen – und zwar dauerhaft –, wird das ein gravierender Einschnitt. Produktion für den amerikanischen Markt müsste mittelfristig in Amerika erfolgen. Das wäre ein Verlust für unsere Region, nicht nur an Arbeitsplätzen, sondern auch an Wertschöpfung. Weil die Pharma jedoch hochregulierte, komplexe Prozesse hat und nicht zuletzt auf der Expertise der Fricktalerinnen und Fricktaler beruht, wird die Umstellung nicht über Nacht geschehen, sondern mehrere Jahre dauern.

Im Sisslerfeld soll in Zukunft Grosses entstehen, neue Arbeitsplätze angeboten werden. In der Startposition befindet sich bereits Bachem. Sehen Sie durch die Zoll-Problematik die weitere, positive Entwicklung des Sisslerfeldes gefährdet?
Wir müssen davon ausgehen, dass solche Investitionsentscheidungen aktuell pausiert werden. Kein Unternehmen investiert hunderte Millionen, wenn unklar ist, ob seine Produkte ohne Barrieren in die wichtigsten Absatzmärkte gelangen. Lang fristig hängt es davon ab, ob wir stabile, verlässliche Handelsbedingungen schaffen können. Ich bin überzeugt: Sobald Klarheit herrscht, wird das Sisslerfeld weiterwachsen, weil es top Infrastruktur, qualifizierte Arbeitskräfte und die Nähe zu wichtigen Forschungsstandorten bietet.

Zeichnen Sie hier nicht etwas zu negativ? Das Fricktal ist doch eine Boomregion!
Das ist richtig – und darauf können wir stolz sein. Aber wirtschaftlicher Erfolg ist immer auch verletzlich. Externe Schocks wie Zölle, geopolitische Spannungen oder technologische Umbrüche können ihn schnell gefährden. Positiv ist: Wir haben hier exzellente Firmen und eine Bevölkerung, die Wandel annehmen kann. Bei der Zollfrage bin ich optimistisch: Gerade im Pharmabereich wird es zu einer Einigung kommen – die Amerikaner geben aktuell rund 17,8 % ihres Bruttoinlandprodukts für Gesundheit aus – in der Schweiz sind es 11,8 %. Sie können es sich kaum leisten, ihre eigenen Kosten durch zusätzliche Zölle noch weiter in die Höhe zu treiben.

Was bedeutet Ihnen das Fricktal persönlich?
Ich bin hier aufgewachsen und habe nach Jahren im Ausland ganz bewusst den Weg zurück gewählt. Für mich verbindet das Fricktal wirtschaftliche Dynamik mit hoher Lebensqualität: Wir haben attraktive Orte, gute Jobs, internationale Unternehmen – und sind gleichzeitig nah an Natur und Gemeinschaft. Die Menschen hier sind gesellig, weltoffen und pragmatisch – eine ideale Mischung.

Wie wichtig ist unsere Region für die Wirtschaft über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus?
Das Fricktal ist weit mehr als ein «Durchfahrtsgebiet» zwischen Zürich und Basel. Wir sind ein hochspezialisierter Industriestandort, der Schlüsselprodukte für Weltmärkte liefert – von Pharmawirkstoffen bis zu Hightech-Komponenten. Diese internationale Vernetzung macht uns stark, aber auch abhängig von globalen Entwicklungen. Unsere Rolle wird in Zukunft sogar wachsen, wenn wir den Wandel aktiv gestalten – nicht nur als Produktionsstandort, sondern auch als Ort für Forschung, Entwicklung und neue Geschäftsmodelle.


«Erfolgreich im Wandel»

Was ist (radikaler) Wandel? Wie kann diesem erfolgreich begegnet werden? Wie können Führungskräfte und Teams in Zeiten schneller Veränderungen handlungsfähig und resilient bleiben? Das Fricktaler Wirtschaftsforum vom 4. September, 18 Uhr, im Saalbau Stein wird diesen Fragen nachgehen und sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Das diesjährige Wirtschaftsforum wird moderiert von Dani Fohrler. Gäste auf dem Podium mit Referat und Gesprächen sind Dr. Niklaus Leemann (Strategieberater), Simone Tschopp (Psychologin) und Andreas Conzelmann (Group CEO der Jakob Müller AG).

www.fricktal.ch/wirtschaftsforum


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