Ist der Friede gefährdet?
12.10.2025 FokusProjekt «kriegsnachrichten.ch: Oktober bis Dezember 1945 im Spiegel der Fricktaler Presse
Von Jürg Stüssi-Lauterburg
«Ist der Friede gefährdet?» So fragte am 6. Oktober 1945 die «Volksstimme». ...
Projekt «kriegsnachrichten.ch: Oktober bis Dezember 1945 im Spiegel der Fricktaler Presse
Von Jürg Stüssi-Lauterburg
«Ist der Friede gefährdet?» So fragte am 6. Oktober 1945 die «Volksstimme». Gleichzeitig stellte das Blatt fest, die Hoffnungen Genfs auf eine Rückkehr des Völkerbundes in seiner neuen Form als UNO seien «nun wohl zu begraben». Die grösste Gefährdung des Friedens erblickte die Zeitung in der Arbeitswelt: «Eine Streikwelle nach der anderen jagt durch die Länder, und selbst bewaffnete Konflikte im Innern erscheinen als möglich, wie zum Beispiel in Italien …»
Die Nachbereitung des Zweiten Weltkrieges und kommende Ereignisse, die ihre Schatten vorauswarfen, prägten die Berichterstattung: Professor Sauerbruch, der politisch schillernde Chirurg, sei «im Rahmen der Säuberung der öffentlichen Dienste aus seinem Amt als Leiter des Berliner Gesundheitsdepartements entlassen» worden. Der Prozess gegen den französischen Premierminister und Naziunterstützer Pierre Laval sei «unerwartet rasch mit dem allerdings erwarteten Todesurteil zu Ende gegangen». Die Sowjets hätten trotz ihres Versprechens ihre 5000 Mann Truppen noch nicht von der dänischen Insel Bornholm zurückgezogen, hingegen seien die amerikanischen Truppen aus Palästina nach Ägypten evakuiert worden. «Die Massnahme verfolgt offensichtlich den Zweck, eine Verwicklung der Vereinigten Staaten in den palästinensischen Konflikt zu verhüten.» Die Sowjets sollten ihre Truppen im April 1946 im Rahmen der Bereinigung der Interessensphären mit den Westalliierten aus Bornholm zurückziehen. In den damaligen Palästinakonflikt, in die Staatsgründung Israels und alles, was bis heute folgte, blieben die USA hingegen trotz ihrer Vorsicht unlösbar verwickelt.
Der Nationalsozialismus in Deutschland war weg. Am 17. Oktober 1945 veranstaltete jedoch der Allgemeine Arbeiterkongress von Argentinien eine Grossdemonstration auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires und forderte die Freilassung des in Haft befindlichen Putschisten und nachmaligen Präsidenten Juan Domingo Perón Sosa. «Der Frickthaler» meldete am 22. Oktober, in London befürchte man, in Argentinien gehe man an die «Wiederbelebung des Nationalsozialismus in der Welt». So schlimm wurde es nicht, Der 1945 entstandene Peronismus hatte jedoch seinen Anteil an der Verantwortung für die keineswegs nur glückliche weitere Geschichte Argentiniens. Die in Laufenburg erscheinende Zeitung berichtete in derselben Nummer auch über die Anklageschrift gegen die 24 Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg.
Wer am 25. Oktober «Volksstimme» las, erfuhr von der Hinrichtung des norwegischen Verräters Vidkun Quisling und von der Gründung der Vereinten Nationen. Nicht weniger Aufmerksamkeit erhielt die Einweihung des Denkmals für den Dichterpfarrer Friedrich Heinrich Oser in Biel-Benken BL:
«Das weisse Kreuz im roten Feld,
Wir halten’s frei und rein!
Das Zeichen, das den Sieg behält,
Nie soll’s verloren sein!
In Tod und Leben
Soll’s uns umwehen!
Nichts soll dir reissen aus der Hand
Dein Banner je, mein Vaterland!»
Kulturelles und Aussenpolitisches vermischte sich in der Berichterstattung mit innenpolitischen Fragen und konkreten Gefahren. Im November 1945 wurde die Maulund Klauenseuche, nach 1871, 1899, 1900, 1911, 1920 und 1939, wieder zu einem grösseren Problem. Am 22. November meldete die «Volksstimme» das Verbot von Viehmärkten in den Bezirken Laufenburg und Rheinfelden.
Die schweizerische Demokratie pausierte auch in Kriegs- und Nachkriegszeiten nicht: Eine 1941 von den Katholisch-Konservativen eingereichte Initiative zum Familienschutz hatte einem Gegenvorschlag Platz gemacht, der am 25. November 1945 von Volk und Ständen angenommen wurde. Der «Frickthaler» zeigte sich erfreut: «Das Schweizervolk steht zur Familie!» Der detaillierte neue Artikel 34d der damals revidierten Bundesverfassung von 1874 begann mit dem Bekenntnis: «Der Bund berücksichtigt in der Ausübung der ihm zustehenden Befugnisse und im Rahmen der Verfassung die Bedürfnisse der Familie.»
Bei aller Absorption durch die Innenpolitik, konnte doch die Zeitungsleserschaft im Fricktal die internationale Entwicklung mit ihren grossen und auf lange Zeit prägenden Ereignissen gut verfolgen, so zum Beispiel die in der «Volksstimme» am 1. Dezember 1945 gemeldete Gründung der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Dieser aus dem Partisanenkampf hervorgegangene Staat sollte seinen Gründer Tito überleben und erst in den Jahren 1990 bis 1992 an seinen inneren Gegensätzen blutig auseinanderbrechen.
Die «Volksstimme» schrieb am 4. Dezember 1945 prophetisch: «Die Frau verdient bei uns jede Gleich- berechtigung.» Nicht weniger prophetisch meldete die Zeitung kurz darauf: «Das Flugplatzprojekt Basel-Mülhausen scheint gesichert.» Der Spatenstich kam dann 1946, der Staatsvertrag 1949.
Kommunistische Fäuste lehnten die überlebenden Fricktaler Blätter so sehr ab, wie sie die braunen und schwarzen Fäuste konsequent abgelehnt hatten. Der «Frickthaler» resümierte am 10. Dezember 1945 die schweizerische Zeitstimmung:
«Bei aller politischen Modeströmung nach links, von der die kritisch unbeschwerte Masse der Bewunderer und Machtanbeter des bolschewistischen Kollektivismus erfasst zu sein scheint, macht sich doch in weiten Kreisen des Schweizervolkes eine politische Ernüchterung in Bezug auf die Segnungen der russischbolschewistischen Kultur geltend.»
Kulturell ein Teil des Westens, der direkten Demokratie, traditionellen Werten und zugleich dem Fortschritt verpf lichtet: So liesse sich die Haltung der Fricktaler Presse in den letzten drei Monaten des Abschlussjahres des Zweiten Weltkrieges zusammenfassen. Von unrealistischen Hoffnungen war nichts zu spüren. Die «Volksstimme» brachte es auf den Punkt, als sie das Jahr am 29. Dezember 1945 in Worten bilanzierte, die uns Heutige immer noch sehr direkt ansprechen:
«Wir haben wohl Waffenstillstand, ja sogar eine Art Frieden, aber wir wissen wahrhaftig nicht, was nun aus Europa – in Asien ist die Situation nicht besser – werden soll. … Wir schweben im Dunkeln, aber wir suchen das Licht. Wir brauchen viel Optimismus, um wieder an das Gute glauben zu lernen und wir unterstreichen dabei den Spruch:
«Nur immer mutig, munter
Die Hand ans Steuer gelegt,
Nicht jedes Schiff geht unter,
An das die Welle schlägt!»
Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit
Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Jürg Stüssi-Lauterburg, Autor des hier publizierten Beitrages, ist Militärhistoriker. Er wohnt in Windisch. Als dieses Projekt vor 11 Jahren gestartet wurde, ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder einen Krieg erleben müssen. (nfz)