«Ist denn ein Mensch perfekt?»
08.09.2025 PersönlichHannah Audebert ist jetzt Priesterin
Vor gut drei Wochen empfing Hannah Audebert in der Rheinfelder Stadtkirche St. Martin die Weihe zur christkatholischen Priesterin. Ein Gespräch über Gott. Und die Welt.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Hannah Audebert, ...
Hannah Audebert ist jetzt Priesterin
Vor gut drei Wochen empfing Hannah Audebert in der Rheinfelder Stadtkirche St. Martin die Weihe zur christkatholischen Priesterin. Ein Gespräch über Gott. Und die Welt.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Hannah Audebert, wie erlebten Sie Ihre Priesterin-Weihe?
Hannah Audebert: Wunderbar und stimmig. Sie löste eine innere Freude und einen Frieden aus, der immer noch da ist.
Sie wären gerne römisch-katholische Priesterin geworden?
Ja. Mir liegt die römisch-katholische Kirche weiterhin am Herzen und ich spüre auch dort das Feuer und die Hoffnung. Doch was die christkatholische Kirche bereits erreicht hat, ist wunderbar: Frauenordination, Ehe für alle, demokratische Strukturen. Ich habe dem Bischof nicht Gehorsam versprochen, wie das etwa im römisch-katholischen Ritus verlangt ist, sondern Mitarbeit im Dienst der Einheit mit dem Bischof.
Sie sagen, Sie hätten viel Zuspruch auch von Menschen der römischkatholischen Kirche erhalten.
Ihnen tut es gut, Frauen zu sehen. Es braucht diese Zeichen für die Augen: Wer noch nie einen Mann als Hebamme gesehen hat, kann sich das nicht vorstellen. Oder damals, als Väter ihre Kinder im Kinderwagen geschoben hatten. Zu meiner Zeit war das unüblich. Mittlerweile ist es so normal und es tut gut, selbst wählen zu können. Ich habe als Seelsorgerin in der römisch-katholischen Kirche gemerkt, dass mir der Schnauf und die Geduld ausgehen: zu hoffen, dass sich während meiner Lebenszeit die römisch-katholische Kirche schnell genug bewegt.
Ist Ihnen wohl in der christkatholischen Kirche?
Ja, eindeutig ist es mir wohl hier!
Mit all den üblichen Baustellen und der Luft nach oben.
Keine Kirche ist perfekt?
Ist ein Mensch perfekt? Kirche besteht aus Menschen.
Und sie haben denselben Gott. Wie sieht er aus?
Schauen Sie in den Spiegel und Sie sehen ein Abbild von ihm. (lächelt)
Schaue ich in den Spiegel, dann sehe ich mich.
Gehen Sie tiefer. Und ganz tief drin: Vielleicht ist dort auch kein Bild, sondern ein Klang. Ein Geruch.
Ist Gott männlich oder weiblich?
Weder noch! In der Schöpfung, in der Physik, entdeckt man immer neue, noch tiefere Verbindungen. Schwingungen, die alles verbinden. Für mich ist das der Ur-Kern. Gott ist das Innerste allen Lebens. Das ist mir ein Anliegen: dass wir Gott entdecken jenseits von unseren Schablonen, vor allem wenn sie derart patriarchal einseitig geprägt sind. Das war auch die Rückmeldung von einigen Frauen nach der Weihe.
Das heisst?
Der Gottesdienst war wunderschön. Aber die Sprache ist noch sehr patriarchal. Da haben wir viel Luft nach oben.
Ihr bester Jugendfreund starb damals an Krebs und Sie fragten sich, ob es einen Gott gibt, der so etwas zulässt. Was würden Sie heute Ihrem früheren Ich antworten?
Es gibt einen göttlichen Urgrund, in dem auch das Leben, das wir jetzt sehen und begreifen, eingebunden ist. Der Tod ist nicht das Ende. Vor diesem Gespräch jetzt mit Ihnen war ich bei jemandem, der, wie ich ahne, in den nächsten Stunden sterben wird. Er ist bald in einem Licht, das für uns unbegreif bar ist. Genau wie in der Geschichte, in der sich Zwillinge im Mutterleib unterhalten, ob es ein Leben nach der Geburt gibt.
Aber mit Blick auf die Welt: Ukraine, Gaza – wo ist Gott?
Wo ist Gott nicht? Gott ist doch auch im Herzen des israelischen Soldaten, der Befehle ausführen muss. Gott ist in den verhungernden Kindern in Gaza. Gott ist überall da, wo man ihn einlässt und wirken lässt. Das bedeutet aber auch Entwaffnung.
Das heisst?
Dass ich nicht immer und überall mein Ego durchsetze. Unsere innere Ignoranz und die Angst vor Machtverlust lassen uns nicht frei von Vorurteilen sein. Das beginnt im Kleinen bei uns allen. Angst und Ignoranz sind solche Gegenkräfte von Liebe. Und Menschen wie Trump oder Putin mit ihrem wahnsinnigen Machtbedürfnis bringen diese leise Stimme – «liebe deinen Nächsten, wie dich selbst» – zum Schweigen.
Apropos Nächstenliebe: Wie sind Sie als Priesterin den Menschen nah?
Da sein, wo Menschen sind. Und wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen, dann komme ich zu den Menschen, gehe ans Dorffest, in den Sportverein.
Missioniert man dann, im Sportverein?
Nein. Oder es kommt darauf an, was man unter Mission versteht (lacht). Natürlich gehört es zum priesterlichen Dienst, an den Knotenpunkten im Leben da zu sein. Das heisst, bei frohen Ereignissen die Freude zu teilen, umgekehrt aber auch das Schwere und Unsagbare.
Sie sagten, Ihnen sei in der römischkatholischen Kirche der Schnauf ausgegangen, weiter zu hoffen: Wie alt müssten Sie werden, um dort Ihre Weihe als Priesterin zu erleben?
Ich habe mehrere Zahlen im Kopf, vielleicht ist es eine Spielerei: mit 84 – also in genau dreissig Jahren. Beim Auszug nach meiner Diakonin-Weihe spielte man zur Überraschung «When I’m Sixty-Four» – das wäre in zehn Jahren. Doch ich bin auch ein Kind Deutschlands und manchmal fallen Mauern plötzlich schnell, überraschend schnell. Es kann auch in zwei Jahren sein. Ich traue es dem jetzigen Papst zu – wenn ganz viele Männer und Frauen das auch mittragen.