INTERVIEW
02.08.2024 Fricktal«Es fehlt an Leadership»
Grossrat Bernhard Scholl (73, FDP, Möhlin) ist seit 20 Jahren im Grossen Rat. Bei den Wahlen im Oktober tritt er nicht mehr an. Die NFZ hat ihn nach den Gründen, sowie den Veränderungen in der Politik gefragt.
NFZ: Bernhard Scholl, welches sind die Gründe, die Sie dazu bewogen haben, nicht mehr zu kandidieren?
Bernhard Scholl: Ich bin seit 2004 (mit einem Jahr Unterbruch) im Grossen Rat und habe als Grossratspräsident und Fraktionspräsident die beiden wichtigsten Ämter bekleidet, die man als Grossrat ausüben kann. Als Rentner habe ich einerseits noch immer Zeit und Lust, auch komplizierte Vorlagen als Fraktionssprecher zu vertreten oder neue Ideen einzubringen. Andererseits ist es sicher besser, frei zu entscheiden über den eigenen Rücktritt, als dazu gedrängt zu werden. Es gibt in der eigenen Partei (FDP) hervorragende junge Kandidatinnen und Kandidaten. Das hat meinen Entscheid leichter gemacht.
Wie hat sich der Grossrat, die Politik in den letzten 20 Jahren verändert?
2004 waren im Grossen Rat noch 200 Vertreter und Vertreterinnen. Heute sind es noch 140. Der Frauenanteil ist grösser, aber wir sind noch weit entfernt von 50 Prozent. Der Grosse Rat und die Politik sind nicht, wie immer kolportiert, polarisierter geworden. Aber mir fehlt es an Leadership in fast allen Parteien. Es fehlen die einflussreichen Persönlichkeiten, die hin und wieder auch mal über den eigenen Schatten springen und faire Kompromisse aushandeln. Zudem fehlt mir das liberale Gedankengut beim Grossteil der Parteien. Es gibt heute eine Tendenz, alles bis ins kleinste Detail zu regeln. Und so nimmt die Gesetzesflut beängstigend zu.
Was konnten Sie aus Ihrer Sicht «beitragen/bewegen»?
«Aargau bewegt» war mein Motto für das Präsidialjahr 2018. Ich durfte als Grossratspräsident ausserhalb der Parlamentsarbeit an rund 130 Veranstaltungen teilnehmen. Und ich habe mit grosser Freude festgestellt, dass der Aargau wirklich bewegt. Es ist unglaublich, mit welchem Engagement sich unzählige Aargauer und Aargauerinnen einsetzen für das Vereins- und das Verbandswesen, für Aktivitäten in den Bereichen Gemeinde- und Regionalpolitik, Wirtschaft, Forschung, Kultur, Erziehung, Sozialdienste, Sport, Musik, Militär usw. In meiner Amtszeit habe ich rund 50 Vorstösse eingereicht oder war mitbeteiligt. Zu Themen wie Energie und Umwelt, Verkehr, Gesundheitspolitik, politische Rechte, IT und Finanzen. Einiges wurde auch umgesetzt.
Dazu drei Beispiele: Zusammen mit dem damaligen Regierungsrat Hofmann habe ich das heute gültige Wahlrecht für den Grossen Rat mitbestimmt. Zum Zweiten wurde das Geschäftsverkehrsrecht zwischen Regierung und Parlament entschieden effizienter gestaltet. Die Regierung muss sich jetzt an verkürzte Fristen zur Umsetzung von Vorstössen halten. Und last but not least wird im Herbst 2024 das Gesetz über die Informationssicherheit (Bekämpfung der Cyberkriminalität) beraten. Am Ursprung stand ein Postulat von mir, aufgesetzt mit der fachlichen Unterstützung der Kantonspolizei. Der Kanton Aargau wird hier eine Vorreiterrolle übernehmen.