«Im Hotel nähte der Teamarzt alles mit fünf Stichen»
25.07.2025 PersönlichDie OL-WM in Finnland ist Geschichte. Anruf beim Möhliner Spitzenläufer Matthias Kyburz. Ein Gespräch über Medaillen, Sekundenpech und Nadelstiche.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Matthias Kyburz, wo sind Sie gerade?
Matthias Kyburz: ...
Die OL-WM in Finnland ist Geschichte. Anruf beim Möhliner Spitzenläufer Matthias Kyburz. Ein Gespräch über Medaillen, Sekundenpech und Nadelstiche.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Matthias Kyburz, wo sind Sie gerade?
Matthias Kyburz: Ich bin mit der Familie in Lahti (Finnland, die Redaktion) in den Ferien.
Ein wenig runterfahren?
Das auch. Aber mit einer ehemaligen Spitzensportlerin als Frau sind es trotzdem immer auch Aktivferien.
Mit etwas Abstand: Welche Note von 1 bis 6 geben Sie sich für diese WM?
Zwischen einer Fünf Plus und einer Fünfeinhalb gibt es schon.
Gerade Bronze über die Langdistanz war kein Selbstläufer.
Das ist so. Viele dachten vielleicht, jetzt geht er nochmals an die WM und dann kommen die Goldmedaillen wieder. Mir war aber völlig bewusst: Wir sind in Finnland, wo die Skandinavier als unsere Hauptkonkurrenten zuhause sind. Zudem war die Umstellung von Marathon auf OL nicht ganz trivial. Darum hat diese Bronzemedaille über die Langdistanz für mich einen hohen Stellenwert – gerade nach verpasster Bronze um eine Sekunde über die Mitteldistanz am Vortag.
Diese fehlende Sekunde haben Sie verdaut?
Ja. Mit 21, 22 Jahren hätte ich mehr daran zu nagen gehabt als jetzt mit 35. Es half, dass ich bereits am nächsten Tag mit dem richtigen Mindset wieder angreifen konnte. Zudem merkte ich bereits unterwegs, dass es kein Traumlauf war wie zwei Jahre zuvor in der Schweiz, wo ich mit zwei Minuten Vorsprung Weltmeister wurde. Mehr gefuchst direkt nach dem Ziel hat mich, dass ich hinauf zum letzten Posten einen Weg verpasst hatte. Mit einem guten Lauf zu gewinnen, wäre enorm schwierig gewesen, vielleicht wäre ich Zweiter geworden – aber das können zwei, drei andere Athleten genauso sagen.
Auf einem Foto, aufgenommen nach der Mitteldistanz, ist Ihre blutverschmierte Hand zu sehen. Ein normaler Betriebsunfall?
Schrammen und etwas Blut kann es immer geben. Aber das war ein bisschen mehr. Es war ein grösserer Schnitt an der Hand, darum hat es im Ziel ziemlich stark geblutet. Die OL-Karte war etwas gar rot (lacht).
Man sieht die Verletzung deutlich, wenn man das Foto vergrössert.
Ich will nicht von Pech reden. Über die Mitteldistanz nutzen viele Athleten eine Lupe für den Kompass. Diese ist mir bereits auf dem Weg zum ersten Posten zerbrochen und verloren gegangen. Später der Sturz auf die Hand, dann die fehlende Sekunde zur Medaille. Und am Abend nähte der Teamarzt im Hotel alles mit fünf Stichen – es war etwas zum Haare raufen an diesem Tag (lacht).
Sie standen aber nicht vors Mikrofon und haben darüber geredet.
Ich wusste ja selbst, dass ich die Medaille OL-technisch an anderen Orten liegengelassen habe.
Trotzdem waren Sie mit Bronze über die Langdistanz und Staffelsilber der Beste im Schweizer Herrenteam. Was haben Sie an Preisgeld bekommen?
Null Franken.
Und ein Blumenstöckchen, richtig?
Ein Bäumchen, das danach im Wald gepflanzt wurde.
Sie bekommen kein Preisgeld im OL?
An einer WM ist es dem Veranstalter überlassen. Die meisten kämpfen ohnehin mit dem Budget, dass sie eine Nullrunde hinbekommen. Im Weltcup gibt es für einen Sieg tausend Franken.
Über alles gesehen, auch punkto Sponsoring, ist Marathon finanziell viel lukrativer.
Diese Aussage ist völlig korrekt.
Wie geht es sportlich für Sie weiter in diesem Jahr?
Im OL verzichte ich auf die EM und die World Games. Ich habe vor, am 2. November den New York-Marathon zu laufen. Soeben kam das Angebot, dass Sie mich gerne im Elitefeld dabeihätten.
Und wohin geht die Reise über die Saison hinaus? Sie sind jetzt 35.
Zu evaluieren, wie es mit dem OL weitergeht, dafür ist es zu früh. Im Marathon reizt mich die Leichtathletik-EM im nächsten Jahr. Und ich kann mir vorstellen, dass der Marathon an den Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles ein Thema ist. Es müsste aber alles stimmen: familiär, gesundheitlich, die Motivation muss vorhanden sein.
(Während des Telefon-Interviews ist immer wieder seine Tochter im Hintergrund zu hören.) Die nächste Kyburz-Generation scheint bereits in den Startlöchern.
Sie war gross am Anfeuern und Rumspringen an der OL-WM.
Ihre Tochter ist eineinhalb. Kinder in diesem Alter sind erfahrungsgemäss immer wieder mal unangekündigt weg. Als Orientierungsläufer, der jeden Posten findet, müssen Sie da einen Vorteil haben.
Sie ist schon jemand, der nicht ruhig sitzen kann, das ist so. Ich gehe schwer davon aus, das hat sie von Mami und Papi gleichermassen (lacht).
Und wann sieht man Sie wieder im Fricktal?
Ich laufe den Zeininger Halbmarathon vom 16. August.
Kommen Sie, weil sich die Leute einfach freuen – oder um alle in Grund und Boden zu laufen?
Natürlich für Zweiteres (lacht). Nein, natürlich nicht. Das kam über die Veranstalter zustande. OK-Präsident Reto Kuoni ist selbst ein grosser Läufer und Mitglied im Kyburz-Fanclub. Er hat immer mal wieder angefragt und ich habe für dieses Jahr zugesagt.