«Ich hätte auch Gärtner werden können»
03.07.2025 Persönlich«Vor 20 Jahren hatte ich diese Fussstapfen noch nicht, sie sind mit mir gewachsen so wie ich an meiner Arbeit gewachsen bin», ist Peter Boss überzeugt. Am 4. Juli hat der 65-jährige Fricktaler und Schulleiter von Primar und Kindergarten in Frick seinen letzten Schultag.
...«Vor 20 Jahren hatte ich diese Fussstapfen noch nicht, sie sind mit mir gewachsen so wie ich an meiner Arbeit gewachsen bin», ist Peter Boss überzeugt. Am 4. Juli hat der 65-jährige Fricktaler und Schulleiter von Primar und Kindergarten in Frick seinen letzten Schultag.
Simone Rufli
Von seinem Arbeitsplatz im Schulhaus 1957 hat Peter Boss den Blick ins Grüne. Jahrelang konnte er mitverfolgen, wie sich der Aussenbereich der Schule Dorf, von einem wenig attraktiven, in einen vielfältigen Raum verwandelt hat. Was im Jahr 2002 mit einer Projektwoche zum Thema «Frieden» begann, erfuhr seither eine Reihe von weiteren Verbesserungen. «Als wir im Jahr 2002 die Peacemaker einführten und den Umgang untereinander thematisierten, entstand die Idee, den Pausenraum in einen Ort zu verwandeln, an dem sich die Kinder wohlfühlen, den sie vielfältig bespielen können.» Mit tatkräftiger Unterstützung von Bauamt und Gemeinde, wie er betont, entstanden der Weiher, die Arena, lauschige Schattenplätze, ein grosser Kinderspielplatz, ein neuer Kindergarten, eine Rutschbahn vom Schulhaus zum erweiterten Spielplatz in die Zwidellen hinunter.
Und was war der schönste Moment? Er muss nicht lange überlegen: «Das war, als zum Schluss eines Schuljahres 450 Kinder an meinem Geburtstag Happy Birthday sangen.»
«Sehen und wertschätzen»
«Ein Kind will gesehen und wertgeschätzt werden.» Peter Boss setzt sich fürs Foto auf den Rand des Brunnens, hinter ihm, aus Stein gemeisselt, Franziskus, die Brunnenfigur. «Sehen und wertschätzen, dazu gehört für mich, dass ich die Kinder mit ihrem Namen anspreche», sagt Peter Boss, dem in all den Jahren kaum einmal der Name eines «seiner» Schulkinder entfallen ist.
Wollte er denn immer Lehrer werden? «Lehrer oder Gärtner. Ich hätte auch Gärtner werden können.» Und was gab den Ausschlag für den Beruf des Lehrers? Peter Boss schmunzelt. «Meine Noten. Ich hatte den nötigen Notenschnitt für die Kanti, also ging ich diesen Weg.»
Weil er nach der Matura neben der Ausbildung zum Lehrer seine militärische Karriere weiterverfolgte, verzichtete er – 1983 das Lehrer-Patent in der Tasche – zunächst auf eine Festanstellung und verbrachte die ersten Jahre mit Schnuppern an verschiedenen Schulen in wechselnden Stufen: «In der Zeit spürte ich, dass ich trotz Lehrer-Patent immer noch zu wenig genau wusste, wie man unterrichtet.» Die Weiterbildung am heilpädagogischen Seminar sollte ihm vertiefte Kenntnisse bringen und folgende Frage beantworten: Ist der eingeschlagene Berufsweg der richtige? «Ich ging ans heilpädagogische Seminar mit der Idee, wenn ich dort meine Berufung nicht finde, mache ich etwas anderes.»
Peter Boss fand seine Berufung – in der Heilpädagogik und im Unterrichten an Sonderschulen in Heimen und später von Kleinklassen an der Primarschule in Frick. Ein Flair für besondere Kinder hatte er immer. «Obwohl», er lacht, «während der Kanti habe ich in einem Geschäft in Spreitenbach als Möbelverkäufer gearbeitet, worauf mir der Verkaufsleiter dort ein Angebot samt Businessplan vorgelegt hat und mich zum Bleiben überreden wollte».
Entwicklungen kommen sehen
1998 wurde Peter Boss Konrektor. «Da war bei uns der Kindergarten schon in der Schule integriert.» Vier Jahre später, im Jahr 2002, wurde er Schulleiter. Seine Kleinklasse behielt er, bis er anno 2006 – nach 15 Jahren Unterrichten – in einem Vollpensum die Leitung von Kindergarten und Primarschule übernahm. «Es war die Möglichkeit zur Veränderung, die mich reizte, im Wissen darum, dass ich aus dem Militär über Kommunikations- und Führungsqualitäten verfüge. Damals wusste man im Aargau noch nicht genau, was ‹Schulleitung› beinhaltet. Ich konnte mir meinen Job erschaffen.» Aufgaben gab es genug: Integrationskonzept, Krisenmanagement, Notfallkonzept … In Frick habe man manche Entwicklung kommen sehen, bevor der Kanton die Grundlagen dazu geschaffen habe, meint er mit Blick auf Schulleitungs-System, Kindergarten-Obligatorium, Tagesstrukturen und Schulsozialarbeit. «Die Umsetzung war in Frick nur möglich dank weitsichtig denkenden und die Schule unterstützenden Schulbehörden.»
Pionierarbeit geleistet
Als Ehemann und Vater von drei Kindern war ihm eines immer wichtig: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das zeigt sich auch in seinen diversen Engagements bei der Famex (familienexterne Kinderbetreuung), bei den Tagesstrukturen, beim Mittagstisch – überall war Peter Boss eine zentrale Figur. Als Werklehrer Edi Schmid 1998 das Schulhaus 1957 in einen Adventskalender verwandeln wollte, Lisa Wassmer die Lesenacht initiierte oder Daniela Eckert den Primarschulchor Singing Foxes – Peter Boss war immer dabei und unterstützte die Initiativen der Lehrpersonen. Wegweisend für andere Schulen im Kanton war seine Idee, Zivildienstleistende zuerst am Mittagstisch und wenig später zur Integration von lernschwachen und sozialauffälligen Kindern im Klassenzimmer einzusetzen. Auf den 11.12.2013 erfolgte die Ankerkennung der Schule Dorf Frick seitens des Zivildienstes. Dies sei möglich gewesen, weil ein integraler Unterricht in der Schule ausgewiesen werden konnte. Andere Schulen, welche damals noch separativ unterwegs waren, konnten nicht anerkannt werden. Die Gemeinde unterstützte das Pilotprojekt. Das Pflichtenheft, das Peter Boss damals erarbeitete, bildet noch heute die Grundlage des Tätigkeitsbereichs Schulwesen, wie er 2016 ins Zivildienstgesetz und die Verordnung aufgenommen wurde.
Bereit loszulassen
Jahr für Jahr hat er die Kinder an ihrem ersten Schultag draussen vor der Primarschule begrüsst, ihnen mit einer Geschichte die Angst genommen und Mut gemacht und sie dann in die Obhut der Klassenlehrpersonen gegeben. Zuerst fünf, dann sechs Jahre später hat er dieselben Kinder mit einem Handschlag, ein paar persönlichen Worten und vielen guten Wünschen in die Oberstufe entlassen.
Am Ende dieses Schuljahres ist es anders, steht dem Schulleiter selbst ein grosser Schritt bevor. Fällt es ihm schwer loszulassen? «Nein», sagt Peter Boss, schüttelt den Kopf und lächelt verschmitzt. «Was ich mitnehme, sind meine Erfahrungen. Alles andere bleibt in der Schule. So wie ein Schreiner, der mit seinen Händen ein Bett herstellt, es zusammenbaut und dann doch nie selbst darin schlafen wird.»