«Ich ha nie buure welle»
02.07.2025 PersönlichWarum Judith Häseli trotzdem eine engagierte Jungbäuerin ist
Im «Häseli-Huus» unweit des Fricktaler Chriesiwägs lebt und arbeitet Judith Häseli mit drei Generationen – ein Portrait über eine Frau, die ihr Leben zwischen Selbstbestimmung, ...
Warum Judith Häseli trotzdem eine engagierte Jungbäuerin ist
Im «Häseli-Huus» unweit des Fricktaler Chriesiwägs lebt und arbeitet Judith Häseli mit drei Generationen – ein Portrait über eine Frau, die ihr Leben zwischen Selbstbestimmung, Familienverantwortung und Hofbetrieb balanciert und warum sie trotz Stress, Schicksalsschlägen und Strukturwandel an ihrer Vision festhält.
Yasmin Malard
Eine Besonderheit vom «Häseli-Huus», in dem Judith Häseli wohnt und in welchem auch die Brennerei und das Verkaufslädeli stationiert sind, ist seine Lage. Es liegt unweit des Fricktaler Chriesi wägs; ein hochbeliebter Wanderweg, auf dem an die 20 000 Menschen aus aller Welt innerhalb von drei Wochen ein Auge auf die Kirschblüten werfen. «Ich kann es schon verstehen. Früher hätte ich gern eine Chriesi-Allergie gehabt, um nicht während den ganzen Sommerferien beim «Chriesi günne» mithelfen zu müssen. Als ich dann später eine Zeit in Bern gewohnt und gearbeitet habe, vermisste ich die Chriesibäume aber schon!»
Eigentlich hatte Judith Häseli nie geplant, Bäuerin zu werden und schon gar nicht, einen Hof zu übernehmen. «Ich ha nie buure welle», sagt sie. «Ich bin keine geborene Bäuerin. Ich hatte Angst vor den Kühen und keine Ahnung von Traktoren.» Ursprünglich hatte sie eine Lehrstelle als Elektromonteurin gesucht. Sie erhielt viele Absagen, «aus welchen Gründen auch immer», sagt sie. So wandte sie sich dem Gastgewerbe zu und liess sich zur Restaurationsfachfrau ausbilden. Um vom Dorfleben wegzukommen, bewarb sie sich etwas weiter weg, in Kaiserstuhl. Irgendwann zog es sie dann wirklich in die Stadt, nach Lenzburg in die «Krone». Bevor sie in einem Viereinhalb-Sterne-Hotel als Chef de Service arbeitete, schob sie die Bäuerinnenschule dazwischen, weil eine Freundin sie dazu überredet hatte. Da sie sowieso genug vom Gastgewerbe hatte, nahm sie sich eine fünfmonatige Auszeit, in der sie die Schule Vollzeit besuchte. Der Fokus lag stark auf der Hauswirtschaft mit Kochen, Flicken, Nähen, Einmachen, Putzen. Sechs Jahre später wollte sie die Prüfung «Bäuerin mit Fachausweis» belegen. Spätestens an dieser Prüfung habe sie gemerkt, dass sie im falschen Film sei. «Sicher auch eine wertvolle Ausbildung, aber zu diesem Zeitpunkt nicht das richtige für mich. Ich habe mich gefragt, was lerne ich hier genau, was bringt mir das? Die Prüfung habe ich dann auch nicht bestanden», sagt sie und lacht breit.
Abwechslung und Ambitionen
Dafür fing sie im darauffolgenden Sommer die zweijährige Ausbildung zur Landwirtin an. «Das war super», erzählt sie begeistert. «Endlich konnte ich erfahren, wie viel Dünger der Weizen braucht, was es für Kälberkrankheiten gibt und so weiter. Und nicht einfach die Reihenfolge von Gartenbeeten auswendig lernen.» Kurz vor den Prüfungen kam ihre Tochter Mia auf die Welt. Da die Schwangerschaft und die Geburt so unkompliziert verlaufen waren, nahm sie die Challenge an, die angefangene Ausbildung auch zu beenden. Die Prüfungen wurden so gelegt, dass sie dazwischen die Tochter, die sich nicht fremdbetreuen liess, stillen konnte. Sie beendete die Ausbildung erfolgreich mit Fachtitel. Später schloss sie einen Obstverarbeitungskurs, einen Brennerkurs und mehrere Kurse für die in der Zukunft mögliche Umstellung zu einem Biobauernhof ab. Und als sie wieder «etwas für den Kopf» brauchte, machte sie noch spontan das Wirtepatent. Einfach so? «Ja, einfach so». Sie lacht munter. Ein Ziel, das ihr schon länger vorschwebt, wäre die Ausbildung zur Betriebsleiterin. «Eines Tages vielleicht.» Einer ihrer weiteren Wünsche ist es, einen Hofladen zu eröffnen mit denjenigen Bauernprodukten, die nicht an grosse Abnehmer verkauft werden können, da sie einer spezifischen Richtlinie nicht entsprechen. «Statt, dass alle qualitativ hochstehenden Waren in der Tonne landen, träume ich davon, dass sie in einem gemeinsamen Laden verkauft werden können.»
Ein Machen, kein Versuchen
Im Januar dieses Jahres hat Judith Häseli den Hof offiziell übernommen. Das sei eine Riesensache gewesen. Gegenwind habe es gegeben, von mehreren Seiten. «Aber wenn es nicht geht, dann habe ich es immerhin versucht. Nein, es ist nicht ein Versuchen, es ist ein Machen.»
Schwierig sei das Leben als Bäuerin heutzutage. Sie atmet tief aus. Die Anstrengung und Beanspruchung stehen ihr ins Gesicht geschrieben. «Schwierig, aber auch schön.» Ganz viele Freiheiten könne sie geniessen, die eigene Tochter in den Kindergarten bringen, zu Hause für sie da sein, ohne eine Kita zu beanspruchen, den Tag selbst gestalten. Ganz viel zurückstecken gehöre aber auch zum Alltag. «Irgendetwas kommt immer zu kurz: Das Kind, man selbst oder der Betrieb. Es läuft nie nach Plan. An keinem Abend kann ich sagen, jetzt ist mal alles fertig gemacht!» Ein Jonglierakt, immer auf der Suche nach genügend Zeit und Energie für alle.
Das Beste probieren
Früher sei es nicht leichter gewesen. Ihre Mutter, die auch auf dem Hof arbeitet, hat ihr am Vortag von ihrer Zeit als Jungbäuerin erzählt. Man habe schon um vier Uhr morgens angefangen zu arbeiten und bis am Abend durchgezogen. «Meine Mutter hat sich nicht getraut mit dem Kinderwagen durchs Dorf zu laufen, aus Angst, man könne meinen, sie würde nicht genügend arbeiten.» Die Erntezeit habe sich mittlerweile mit der Weiterentwicklung der Maschinen vereinfacht, die Ansprüche an sich selbst aber nicht, meint Judith Häseli.
Nicht zu unterschätzen seien auch die Änderungen des Klimas auf die Landwirtschaft. «Es wird immer schwieriger, mit dem Wetter zu planen.» Vor allem mit dem im Fricktal typischen Lehmboden müsse der Zeitpunkt für die Saat exakt stimmen. Und dieser verändert sich. Früher wurden die Kirschen während der ganzen Sommerferien gepflückt, jetzt sind sie schon am Anfang der Ferien reif.
Generationenfrage
Herausfordernd sei auch das Zusammenarbeiten und Zusammenleben mit der Familie. Das Geschäft lässt sich nicht nach dem Feierabend vergessen. Obwohl sie und ihre Mutter getrennte Wohnungen im gleichen Haus haben, essen sie fast jeden Tag gemeinsam, früher, vor ihrem Tod, auch mit der Grossmutter. Vier Generationen am Tisch, ein Spagat zwischen Mami, Tochter und Arbeitspartnerin. Nicht mehr die typische Wohnsituation von heute, aber auch ein Privileg, wie sie findet. Auf der anderen Seite braucht es viele Diskussionen, um dieses Privileg ausschöpfen zu können. Vor allem wie der Hof geführt wird. Schnell könne es persönlich und emotional werden. Ein einschneidender Schicksalsschlag war, als Judith Häselis Vater auf dem eigenen Feld bei einem Arbeitsunfall ums Leben kam. Die Familie war dabei gewesen. Noch lange danach blieb sie in einer Schockstarre.
Fehlende finanzielle Wertschätzung
Die Frage kommt auf, ob sie mit ihrer Arbeit als Bäuerin wertgeschätzt wird. Die Antwort fällt ihr nicht leicht. «Nicht gar nicht, aber vom Einkommen her wird es schon nicht wertgeschätzt.» Sie erzählt, wie viele Stunden sie arbeiten muss, um eine Reparaturrechnung zahlen zu können. «Und wenn meine Waschmaschine läuft, hat noch niemand Brot im Laden.» Sie macht eine Pause. «Dass eine Stunde Arbeit nicht gleich viel wert ist wie eine andere, damit habe ich schon Mühe.»
Viele in der Landwirtschaft seien deshalb auf ein Nebeneinkommen angewiesen. Ein Grund, weswegen sie hin und wieder für den Schweizerischen Verein für Schweisstechnik elektrische Geräte überprüfen geht und sich somit einen Zustupf verdienen kann, um beispielsweise der Tochter einen Schwimmkurs zu ermöglichen. Aber auch, um einfach mal rauszukommen. Ein anderes Arbeitsumfeld zu haben und neue Dinge zu lernen, bedeutet ihr viel.
Ihre Schwester wusste schon immer, dass sie den Hof nicht übernehmen möchte, hilft und unterstützt die Familie aber trotzdem immer wieder, was für Judith nicht selbstverständlich ist. «Sie hätte ein Recht zu sagen, damit will ich nichts zu tun haben. Meine Schwester sagt, sie bewundere meine Arbeit, könnte aber niemals die gleiche tun. Ich weiss nicht, ob man mich bewundern muss, ich glaube eher nicht», sagt sie. Sie habe eigentlich nichts Spannendes zu erzählen.