«Hier lebten keine armen Leute»
22.08.2023 WölflinswilWölflinswil war bereits im Frühmittelalter ein wichtiger Ort
Speziell, spektakulär und einzigartig in ihrer Grösse: Die Kantonsarchäologie Aargau ist begeistert. Bei den Aushubarbeiten für eine grosse Überbauung im Gebiet Steimet in Wölflinswil ...
Wölflinswil war bereits im Frühmittelalter ein wichtiger Ort
Speziell, spektakulär und einzigartig in ihrer Grösse: Die Kantonsarchäologie Aargau ist begeistert. Bei den Aushubarbeiten für eine grosse Überbauung im Gebiet Steimet in Wölflinswil wurde entdeckt, dass es im Frühmittelalter hier schon einmal eine Siedlung mit aussergewöhnlichen Bauten gegeben hatte.
Susanne Hörth
Auf dem grossen Bauplatz eingangs Wölflinswil sind zahlreiche Personen am Arbeiten. Einige von ihnen knien am Boden, kratzen mit kleinen Werkzeugen behutsam Erde weg. Andere vermessen helle, Streifen auf dem Boden und wiederum andere prüfen kritisch kleinste Gesteinsbrocken. Es ist offensichtlich: die Kantonsarchäologie ist zugange. Auf deren überraschend viele Mitarbeitenden auf dem Platz angesprochen, erklärt Archäologe Christian Maise: «Diese Baustelle hat gegenüber allen anderen zurzeit bei der Kantonsarchäologie erste Priorität.» Bei den Aushubarbeiten für eine neue Überbauung wurden Überreste einer, in vielerlei Hinsicht speziellen Siedlung entdeckt. Auf dem grossen Areal, auf dem in absehbarer Zeit fünf Mehrfamilienhäuser mit 38 Wohnungen entstehen, befand sich einst ein bisher unbekannter Ortsteil von Wölflinswil.
Die beiden Grabungsleiter David Wälchli und Mariusz Maciejczak sowie Christian Maise erklären im Gespräch mit der NFZ die Besonderheiten dieser früh- und mittelalterlichen Siedlung. Die Männer zeigen auf die hellen, zirka einen halben Meter breiten Linien auf dem Gelände. Auf einer Drohnenaufnahme erkennt man die Grundrisse von mehreren Gebäuden. «Es sind Sockelmauern, auf die dann Holzbauten erstellt wurden», sagt David Wälchli. Christian Maise hat dazu in seinem Bericht geschrieben: «Die Sockelmauern sind so sorgfältig gesetzt, dass man sie zunächst für typisch römische Bauten hielt. Erst als deutlich wurde, dass die Mauern über einem verfüllten Grubenhaus des frühen Mittelalters aus dem 7. Jahrhundert fundamentiert waren, setzte das Umdenken ein – und das Staunen.» Dieses Staunen und die gleichzeitige Begeisterung hält noch immer an. Solche Steinbauten seien im 8 bis 10 Jahrhundert Ausnahmen gewesen, erklären die Archäologen. Die beiden, nacheinander erstellten Häuser in Wölf linswil haben mit 9,80 mal 12,6 Metern und 8 mal 12 Metern eine stattliche Grösse.
Einzigartig
Die entdeckte Siedlung mit ihren besonderen Gebäuden sei in ihrer Grösse einzigartig, nicht nur im Kanton, sondern wahrscheinlich auch schweizweit, sind sich die Archäologen einig. Christian Maise weist zudem auf weitere aufschlussreiche «Schätze» in Wölf linswiler Grabungsgebiet hin. Funde, die auch vom Leben der Menschen in der Siedlung erzählen. Wie die Bauten deuten auch sie darauf hin, dass es sich damals um keine armen Leute gehandelt hatte. «Neben Speckstein-Gefässen aus Graubünden oder dem Tessin stammt auch ein Grossteil der Koch- und Vorratstöpfe nicht aus der Region, sondern wurde vom Kaiserstuhl in Südbaden und aus dem Raum Strassburg im Elsass importiert», hält Christian Maise dazu fest. Er erzählt im Gespräch ebenfalls von einem Messerfutteral aus kunstvoll geschnitztem Knochen, einer Silbermünze und einer bronzenen «burgundischen» Gürtelschnalle. Sie alle würden die weiträumigen Beziehungen der einstigen Wölf linswiler Siedlung widerspiegeln.
Die Mitarbeitenden der Kantonsarchäologie haben auf dem Gelände weiter auch noch Gebäude aus dem 11. bis 12. Jahrhundert entdeckt. Ebenfalls gross, aber keine Holzhäuser auf Steinsockeln, sondern einfache Pfostenbauten.
Wenn es auch noch viel zu erforschen und zu untersuchen gibt, so zeigen die aktuellen Entdeckungen im Gebiet Steimet, dass Wölflinswil am Passübergang über das Benkerjoch bereits im Frühmittelalter und nicht erst mit der später folgenden Eisenproduktion ein bedeutender und damit wichtiger Ort war. «Es ist natürlich auf für uns sehr spannend, mitzuerleben, was hier vor langer Zeit schon einmal war», betont Marco Zimmerli vom zuständigen Baugeschäft Frutiger AG, Basel. Wer einmal in einer der neuen Wohnungen in einem der fünf Mehrfamilienhäuser leben wird, befinde sich an einem speziellen, geschichtsträchtigen Ort.
Interessierte, die noch mehr über die einstige Siedlung erfahren möchte, kann das am nächsten Donnerstag tun. Die Kantonsarchäologie Aargau lädt dann auf 18 Uhr zu einer öffentlichen Führung ein.