Girsch aus dem Garten statt Spinat vom Grosshandel
17.12.2025 PersönlichGundermann, Brennessel, Löwenzahn: Was zahlreiche Gartenbesitzer jährlich zu bekämpfen versuchen, ist für Stephanie Kiefer aus Möhlin Gold wert. Die Expertin für Wild- und Heilpflanzen macht sich deshalb für eine andere Sichtweise stark.
Birgit ...
Gundermann, Brennessel, Löwenzahn: Was zahlreiche Gartenbesitzer jährlich zu bekämpfen versuchen, ist für Stephanie Kiefer aus Möhlin Gold wert. Die Expertin für Wild- und Heilpflanzen macht sich deshalb für eine andere Sichtweise stark.
Birgit Schlegel
«Willkommen in meiner kleinen Hexenküche!» Kleine braune Glasfläschchen reihen sich auf, Glasgefässe und Kolben zum Abfüllen stehen bereit und eine Tonne angefüllt mit getrockneten Pflanzen verströmt einen betörenden Duft, wenn ihr Geheimnis gelüftet wird. Stephanie Kiefer hat sich in ihrer Wohnung ein kleines Reich geschaffen, in welchem sie ihrer Leidenschaft nachgehen kann: dem Konservieren und Verarbeiten von Wildkräutern.
Während einer beruflichen Auszeit 2022 hat sie die Kräuterheilkunde entdeckt. «Die Ringelblumensalbe der Oma hat mir immer gefehlt. Da habe ich begonnen, sie selbst herzustellen.» Seither beschäftigt sich die 42-jährige gelernte Laborantin in ihrer Freizeit mit allem, was in der unmittelbaren Umgebung spriesst und gedeiht, experimentiert mit Kochrezepten und stellt Salben und Naturkosmetika her. In mehreren Kursen hat sie sich ihr Wissen angeeignet und schliesslich nach Lehrgängen, unter anderem im Heilkräutergarten des Botanischen Gartens Zürich, das Zertifikat zur Heilpflanzenexpertin erlangt. Stephanie Kiefer weiss, wovon sie spricht. In ihrer heutigen Tätigkeit als Projektleiterin in einem kleinen Pharmabetrieb beschäftigt sie sich beinahe täglich mit Heilmitteln und begleitet den Prozess von der Entwicklung bis zum fertigen Arzneimittel. Das Wissen um die synthetische Medikamentenherstellung ist für ihr neues Hobby eine ideale Ergänzung.
Unkraut – alles andere als lästig
Gegen den Begriff Unkraut wehrt sich Stephanie Kiefer vehement. Dieser sei schliesslich lediglich eine nichtwissenschaftliche Bezeichnung für Pflanzen aller Art, die in kultivierten und bebauten Bereichen ohne menschliche Unterstützung ihre Wurzeln schlagen, stellt sie richtig. Viele Ideen hat sie, um ihr Umfeld für diesen besonderen Pf lanzenreichtum zu sensibilisieren in der Hoffnung, dass das Wildkraut – auch Beikraut genannt – vielleicht nicht länger als etwas Unerwünschtes und Lästiges angesehen wird. Denn das meiste, was direkt vor der eigenen Haustür wächst, ist nicht nur essbar und sehr wohlschmeckend, sondern hat häufig – auch äusserlich angewendet – zusätzlich eine heilende oder reinigende Wirkung. In ihrem monatlichen Newsletter stellt die Wildkrautexpertin jeweils eine Pflanze in den Mittelpunkt, erläutert Wirkung und Vorkommen und regt mit eigenen Kochrezepten zum Ausprobieren an. In ausgedehnten Spaziergängen erklärt sie das umliegende Pflanzenreich und seine artenspezifischen Merkmale. Und beim Waldbaden legen sich die Teilnehmenden nicht in einen Blätterhaufen, sondern werden unter Stephanie Kiefers Moderation in kleinen Einheiten zu Achtsamkeit und Entspannung angeleitet. Die Augen schliessen, das Blätterrauschen wahrnehmen, das Knacken der Äste, das Steineknirschen durch die Schritte vorbeigehender Wanderer. Aufmerksam umherschauen und die Pf lanzenblätter, Blüten und Früchte aufmerksam studieren. Auch viele Erste Hilfe-Tipps hat die Fachfrau auf Lager. Wer weiss schon, dass beispielsweise der Breitwegerich auch als Wiesenpf laster bekannt ist und nicht nur gegen kleine Schürfwunden und Blasen beim Wandern als Verband dient, sondern sein Saft auch gegen das Jucken während der sommerlichen Mückenplage Soforthilfe leistet?
Gerne möchte sie zukünftig auch Privatgärten besuchen und die Besitzer über den verkannten Schatz aufklären. Statt sich über Girsch, Brennessel oder Vogelmiere zu ärgern, wäre es einen Versuch wert, die zarten Blätter in einer Gemüsewähe unterzumischen, den Beilagensalat mit den Blüten von Löwenzahn und Gänseblumen zu dekorieren und mit gehackter Knoblauchsrauke abzuschmecken.
Augen auf bei der Pflanzensuche!
Auf ihre Rundgänge nimmt Stephanie Kiefer jeweils ein dickes Wildpflanzenbuch mit. Auch nutzt sie zusätzlich eine Handy-App zum genauen Bestimmen der Pflanzen. Die detaillierten Beschreibungen helfen nicht nur, um sich über die geschmacklichen Eigenschaften des Krautes und seine Verwendung beim Kochen zu informieren, sondern vor allem auch, um Ungeniessbarkeit und Toxizität auszuschliessen. Denn während der Pilzler seine Funde bei einer Kontrollstelle vorzeigen kann, fehlt diese bei den Wildkräutern. «Augen auf!», heisst es deshalb. «Wo der Bärlauch wächst, ist auch der hochgiftige Aronstab nicht weit», nennt die Fachfrau ein Beispiel. «Auch im Wald zwischen Möhlin und Rheinfelden ist er häufig anzutreffen und kann sich wegen der Ähnlichkeit der Blätter gut im Bärlauchteppich verstecken.» Besonders im Frühling, wenn alles gleichzeitig zu spriessen beginnt und der Blattwuchs noch nicht ganz ausgereift ist, kann es zu Verwechslungen mit unangenehmen Folgen kommen.
Stephanie Kiefers Kochkünste stossen auch im Familien- und Freundeskreis auf Anklang. Alles geglückt bisher? «Oh nein», meint sie lachend. «Das Gundermann-Pesto war derart bitter, dass es völlig ungeniessbar sofort entsorgt worden ist.»

