Gastfreundschaft hat Grenzen
10.11.2023 FricktalIn den ersten Monaten nach Kriegsbeginn kam ein Grossteil der ukrainischen Geflüchteten bei privaten Gastgebern unter. Die Situation hat sich zwischenzeitlich geändert – auch im Fricktal.
Susanne Hörth
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff, ...
In den ersten Monaten nach Kriegsbeginn kam ein Grossteil der ukrainischen Geflüchteten bei privaten Gastgebern unter. Die Situation hat sich zwischenzeitlich geändert – auch im Fricktal.
Susanne Hörth
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff, setzte in vielen europäischen Ländern eine grosse Solidarität mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine ein. Wie in der ganzen Schweiz öffneten auch im Fricktal viele private Gastgeber spontan ihre Türen und boten den Gef lüchteten ein Zuhause auf Zeit an. Wie lange dieses «auf Zeit» sein würde, wusste niemand. Aus erwarteten, beziehungsweise erhofften, wenigen Monaten sind mittlerweile mehr als eineinhalb Jahre geworden. Ein Ende des Krieges ist nach wie vor nicht in Sicht. Gleichwohl beenden immer mehr Gastfamilien ihr Engagement.
Ende Mai 2022 lebten gemäss Statistik des kantonalen Sozialdienstes im Aargau 3077 Schutzsuchende in Privatunterkünften, was einem Anteil von 74 Prozent entspricht. «Seither ist der Anteil kontinuierlich abnehmend», so Michel Hassler, Leiter Kommunikation beim kantonalen Departement für Gesundheit und Soziales. Am 6. November 2023 waren im Aargau 5194 Personen aus der Ukraine registriert; 26,6 Prozent sind noch privat untergebracht, 59,5 Prozent in Gemeindeunterkünften und 13,9 Prozent in kantonalen Unterkünften.
Der Rückgang der begleiteten Gastfamilien und anderer Privatunterbringungen habe verschiedene Gründe, erklärt Michel Hassler. «Für viele Gastfamilien war die Aufnahme von Schutzsuchenden von Beginn an ein temporäres Angebot, bis ein dauerhafter Platz gefunden war.» Weitere Gründe für die Beendigung von Privatunterbringungen seien familiäre Entwicklungen, Änderungen der Lebenssituationen, sich verändernde Bedürfnisse oder unterschiedliche Vorstellungen bezüglich des Zusammenlebens von Gastfamilien und Schutzsuchenden. Betreffend der sich in den letzten Monaten verändernden Bedürfnisse der Schutzsuchenden fügt Hassler an: «Es gab mehr vulnerable oder ältere Personen sowie grössere Familien, für die es zunehmend schwierig wurde, eine passende Gastfamilie zu finden.»
Keine Privatunterbringungen mehr
In Gipf-Oberfrick hat die Gemeinde sehr früh auf die Situation mit den ukrainischen Geflüchteten reagiert und eine ukrainisch/russisch sprechende Person zur Unterstützung eingestellt. Das Mandat im Auftragsverhältnis mit der Gemeinde bestehe noch immer, erklärt Joëlle Tobler. Die Leiterin des Gipf-Oberfricker Sozialdienstes fügt an: «Am Anfang waren rund 80 Prozent bei privaten Gastgebern und 20 Prozent in Gemeindeunterkünften untergebracht. Mittlerweile hat sich das geändert und es ist niemand mehr bei privaten Gastgebern.» Es habe sich gezeigt, dass die Unterbringung von Flüchtlingen bei privaten Gastgebern für die Dauer von einigen Monaten bis höchstens einem Jahr machbar ist. «Darüber hinaus und weil die Aufenthaltsdauer nicht absehbar war, wünschten die meisten Gastgeber verständlicherweise einen Wechsel. Die Gemeinde konnte glücklicherweise etliche Wohnungen im Dorf mieten.» Aktuell leben in Gipf-Oberfrick 50 Frauen, Männer und Kinder aus der Ukraine.
Die privaten Gastgeber werden weniger
Nach rund 20 Monaten ist nach wie vor kein Ende des russischen Angriffskrieges in der Ukraine in Sicht. In Laufenburg kamen zu Beginn des Krieges bis zu 90 Prozent, in Stein gar 100 Prozent der ukrainischen Geflüchteten privat unter. Das hat sich mittlerweile geändert.
Susanne Hörth
39 Geflüchtete aus der Ukraine leben zurzeit in Laufenburg. Wie in Gipf-Oberfrick hat die Gemeinde früh eine Frau mit an Bord geholt, die im Stundenlohn bis heute Begleitungen und Übersetzungen wahrnimmt. «Der Bedarf ist aber abnehmend, da die Personen aus der Ukraine immer selbstständiger werden und viele bereits gut deutsch sprechen», sagt Marco Schwab, Leiter des regionalen Sozialdienstes. 90 Prozent der ukrainischen Gef lüchteten kamen in den ersten Monaten des Krieges bei privaten Gastgebern unter. Nach wie vor würden mehrere Familien in Gastwohnungen leben, die privat zur Verfügung gestellt worden sind. Schwab betont aber auch, dass sich andere Wohnsituationen deutlich geändert hätten. «So haben mehrere Familien, die finanziell selbstständig sind, eigene Wohnungen angemietet. Darunter auch zwei Familien, welche zuerst von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Wohnungen nun selbst mieten.»
Keine Dauerlösung
In Stein, so erklärt Gemeindeschreiber Sascha Roth, waren nach Beginn des russischen Angriffskrieges 100 Prozent der Gef lüchteten aus der Ukraine bei privaten und kirchlichen Gastgebern untergebracht. «Nach den ersten Monaten mussten für immer mehr Personen neue Unterkünfte gesucht werden, weil die private Unterbringung schlussendlich für beide Seiten keine Dauerlösung war.» Neben gemeindeeigener Liegenschaft für die Unterbringung wurde auch zusätzlicher Wohnraum angemietet. Hierzu hält Sascha Roth auch fest: «Wir haben derzeit vier Wohnungen für ukrainische Flüchtlingen gemietet. Die Suche nach privatem Wohnraum war nicht einfach. Teilweise konnten nur zeitlich befristete Mietverhältnisse abgeschlossen werden, was die Suche nach Anschlusslösungen notwendig machte, beziehungsweise machen wird.» In Stein wohnen aktuell 24 Personen mit Status S. Fünf davon leben in einer privaten Umgebung oder eigenen Mietwohnung. Michel Hassler, Leiter Kommunikation Departement Gesundheit und Soziales, hält abschliessend fest, wie sehr der kantonale Sozialdienst das Engagement der Gastfamilien begrüsse. Ihnen gelte ein grosser Dank. «Ohne sie wäre die Flüchtlingswelle aus der Ukraine im Jahr 2022 mit rund 6500 Gef lüchteten nicht zu bewältigen gewesen. Ihr Engagement verschaffte Kanton und Gemeinden Zeit, um ihre Unterbringungskapazitäten hochzufahren.». Auch heute sei man nach wie vor froh, wenn sich eine Privatunterbringung ergebe.