Fricktalerin? – «Bärner Meitschi!»
18.06.2023 Persönlich, EikenAnita Stammbach-Bindt hat ihr Glück trotzdem gefunden
Vor dem Haus ein Wegweiser, «Burgdorf». Im Garten die Berner Fahne. Könnte sie das Haus samt Nachbarschaft ausgraben, sie würde alles im Bernbiet absetzen. Weil das nicht geht, macht sie Theater, aber so ...
Anita Stammbach-Bindt hat ihr Glück trotzdem gefunden
Vor dem Haus ein Wegweiser, «Burgdorf». Im Garten die Berner Fahne. Könnte sie das Haus samt Nachbarschaft ausgraben, sie würde alles im Bernbiet absetzen. Weil das nicht geht, macht sie Theater, aber so richtig, am liebsten zusammen mit Kindern und Jugendlichen.
Simone Rufli
Schon als kleines Mädchen sei sie im Wald auf Baumstrünke geklettert und habe von oben herab referiert, erzählt Anita Stammbach-Bindt und sagt selber: «Mein Weg schien vorgezeichnet.» Pfarrerin oder Schauspielerin. In Hindelbank bei Bern, wo drei Klassen zusammen die Schulbank drückten, war sie als Jüngste bereits Klassenchefin. «Weil man mir glaubte, was ich sagte.» Manchmal schoss sie übers Ziel hinaus. «Was für ein Glück, wenn ich aus dem Klassenzimmer geschmissen wurde!» Der Unterricht sei langweilig gewesen, sie unterfordert. «Vor der Türe konnte ich den ‹Nebelspalter› lesen. Das war spannend!» Aus ihren Augen leuchtet der Schalk. Gab es in der Schule Theater, spielte Anita die Hauptrolle. Nicht anders bei der Musikgesellschaft Hindelbank. Dort war sie unter 42 Männern das einzige Mädchen. Sie spielte Trompete und jedes Jahr bei der Theateraufführung eine wichtige Rolle.
Und wie war das jetzt? Pfarrerin oder Schauspielerin? Sie lacht. «Weder noch. Ich wurde Arztgehilfin.» Allerdings in der Humanmedizin, nicht beim Tierarzt, wo sie sich lieber gesehen hätte. «Meine Grosseltern väterlicherseits, die Bindts, verkehrten in der noblen Berner Gesellschaft. Sie wollten nicht, dass ich mir die Hände schmutzig mache.»
Weg von der Insel
Während der Ausbildung zur Arztgehilfin kam sie wider Erwarten in den Genuss von Psychologie-Vorlesungen. «Reingeschleust von einem Dozenten.» Die Erkenntnisse, die sie heimlich gewann, konnte sie Jahre später bei der Arbeit mit psychisch kranken Menschen in Königsfelden umsetzen. 13 Jahre lang war sie ehrenamtlich tätig, wehrte sich gegen eine Festanstellung, «weil ich Zeit haben wollte für die Patienten». Selbstkritisch meint sie: «Ich bin ein Wirbelwind, aber ich kann gut zuhören.» Sie nahm die Patienten jeweils «weg von der Insel», wie sie es nennt, heim nach Eiken und zog sie in die Arbeit mit ihren damals zahlreichen Haustieren mit ein.
Theater blieb Hobby und Passion; ob in Sisseln beim Aufbau des Theatervereins, als ausgebildete Theater-Regisseurin, im Zentralverband Schweizer Volkstheater (ZSV) oder im Kantonalverband Aargauer Theater AarThe, den sie derzeit präsidiert. Aufmerksamkeit bekam sie aber auch neben der Bühne: «Ich war damals das erste Mädchen im Dorf, das ins Militär ging.» Ein Entscheid mit Folgen, lernte sie im Militärdienst in Lausanne doch ihren Mann kennen. Urs Stammbach, den Lehrer. «Ausgerechnet ein Lehrer! Wo ich doch gar nicht gerne zur Schule gegangen bin.» Sie lacht und schenkt ihrem Mann, der dem Gespräch für einen Moment zugehört hat, eine Tasse Kaffee ein. An seinen Beruf konnte sie sich gewöhnen, jahrelang aber nur mit grösster Mühe an seinen Arbeitsort Eiken. Sie zuckt mit den Schultern: «1980 musste man schauen, wo man eine Anstellung als Lehrer fand. Es gab zu viele Lehrer.»
Das Leben umgekrempelt
Den Umzug ins Fricktal habe sie bis zum Tag der Hochzeit hinausgeschoben. «Wäre ich am Hochzeitstag nicht nach Eiken gegangen, ich hätte das Bernbiet nie verlassen», gesteht sie und erzählt, dass sie ihr Leben damals komplett umgekrempelt hat. «Trompete, Reitsattel, Judokleid – alles habe ich mit der Hochzeit an den Nagel gehängt.» Und ernst: «Ich lebe jetzt 41 Jahre in Eiken. Eine Fricktalerin werde ich nie. Ich bleibe für immer ein Bärner Meitschi.» In den ersten Jahren sei sie zweimal die Woche nach Hindelbank zurückgefahren und an jedem Wochenende. «Es ging nur, weil mein Mann so lieb ist und mich immer verstanden und unterstützt hat.» Später zogen ihre Eltern ins Fricktal. Die Mutter lebt heute im Alterszentrum Klostermatte in Laufenburg. Der Vater ist vor rund einem Jahr gestorben. «Als meine Eltern 65 Jahre verheiratet waren, habe ich für alle Bewohner Herzen gebacken.»
Das mit dem Backen ist auch so eine Sache. Gastgeberin mit Leib und Seele, findet sie immer eine Gelegenheit, jemandem mit Backen oder Kochen eine Freude zu machen. Nur etwas macht sie nicht mehr: In der Adventszeit 200 Kilo Guetzli backen – verteilt auf 60 Sorten. «Nach 30 Jahren habe ich damit aufgehört.»
Auf dem Tisch steht ein Platte mit Muffins. Das Gebäck ist herrlich. «Ich gebe viel lieber als ich nehme.» Sagt’s und schenkt Kaffee nach.
Zum 65. Geburtstag habe sie sich ein Theater geschenkt, erzählt Anita Stammbach-Bindt und kommt in Fahrt: «Bei meinem Kinder- und JugendTheaterStärndli lernen die Kinder, das Wir vor das Ich zu stellen, Kontakt aufzunehmen und Distanz zu wahren, richtig zu atmen und frei zu reden. Sie lernen, das Gegenüber anzuschauen, während sie reden, sich zu konzentrieren und zu entspannen.» Pfarrer Christian Vogt, ein Freund der Familie, war von der Idee so angetan, dass die reformierte Kirche Frick nun nicht nur das Kirchgemeindehaus zur Verfügung stellt, sondern auch mit Geld aushilft, wenn eine Familie die 80 Franken Jahresbeitrag nicht aufbringen kann. Und so konnte sie Anfang Mai mit acht Kindern in Alter zwischen 9 und 14 Jahren mit dem Theaterprojekt starten. Sie hofft, dass noch mehr Kinder dazustossen. «Wir proben immer am Montagabend von 17 bis 18.45 Uhr.» Die erste Aufführung ist bereits für den kommenden Winter geplant.
Kantonalpräsidentin
Je mehr Theater umso wohler ist es Anita Stammbach-Bindt. So hat sie beim ZSV jahrelang das Kurswesen organisiert und festgestellt, dass jene Kurse am besten laufen, bei denen sie für die Verpflegung sorgt. Oder in der Schule. «Wir haben so viele Theater und Lager für die Klassen meines Mannes zusammen organisiert.» Seit Urs Stammbach pensioniert ist, bleibt mehr Zeit für den grossen Garten: Birnen, Pfirsiche, Kirschen, jede Menge Beeren. Immer Zeit finden die beiden für ihre vier Enkel. «Dabei habe ich immer gesagt, ich will nie heiraten und nie Kinder bekommen. Und habe doch schon als 10-Jährige gerne kleine Kinder gehütet. Kinder und Hunde – da bin ich wie ein Magnet.» Ihre Enkel leben in Windisch. «Sind sie eine Weile bei uns, fangen sie an Berndeutsch zu reden.» Es sind die kleinen Siege, die grosse Freude bereiten.