Fricktaler Presse berichtete mit «grösster Präzision»
14.11.2025 RheinfeldenMehrere Tausend Fricktaler Zeitungsseiten aus der Zeit der beiden Weltkriege wurden im Rheinfelder Projekt «kriegsnachrichten. ch» digitalisiert. Begleitet wurde die Arbeit von 40 historischen Essays in dieser Zeitung. Nach zwölf Jahren fand das Projekt nun seinen Abschluss im ...
Mehrere Tausend Fricktaler Zeitungsseiten aus der Zeit der beiden Weltkriege wurden im Rheinfelder Projekt «kriegsnachrichten. ch» digitalisiert. Begleitet wurde die Arbeit von 40 historischen Essays in dieser Zeitung. Nach zwölf Jahren fand das Projekt nun seinen Abschluss im Fricktaler Museum.
Boris Burkhardt
Nach zwölf Jahren hat das Rheinfelder Projekt «kriegsnachrichten.ch» seinen Abschluss gefunden: Beinahe sämtliche Ausgaben der zunächst zwei, später drei Zeitungen des Fricktals wurden für die Jahre des Ersten (1914 bis 1918) und Zweiten Weltkriegs (1939 bis 1945) digitalisiert und somit dem Publikum und der Forschung digital zugänglich gemacht. «Als wir vor zwölf Jahren mit diesem Projekt begannen, konnten wir nicht ahnen, dass es an seinem Ende wieder Krieg in Europa geben würde», sagte Verleger Walter Herzog am Mittwoch an der Abschlussveranstaltung des Projekts im Fricktaler Museum vor rund 40 Gästen.
«Klare Haltung»
Herzog ist Verleger der Neuen Fricktaler Zeitung, in der über die zwölf Jahre hinweg zusätzlich zum eigentlichen Projekt der Digitalisierung insgesamt 40 Essays von Historikern erschienen, die das Weltgeschehen der Kriegszeiten mit den in den Lokalzeitungen gefundenen Ereignissen, Zuständen und Befindlichkeiten vor Ort im Fricktal verknüpften. Herzogs Grossvater war dabei bereits Verleger der «Volksstimme aus dem Fricktal» (Vorgängerzeitung der NFZ). «Was mich erfreut, ist, welche klare Haltung die Rheinfelder Zeitungen gegenüber Nazi-Deutschland hatten“, sagte Herzog: «Mein Grossvater tauchte deswegen auch auf Listen der Nazis auf.» Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurde ausser der «Volksstimme» die katholisch-konservative «Neue Rheinfelder Zeitung» mit dem Titelzusatz «Für Gott und Vaterland! Für Wahrheit und Recht!» digitalisiert, während des Zweiten Weltkriegs zusätzlich «Der Frickthaler» als «Allgemeiner Anzeiger für das Fricktal».
Zu den Autoren erwähnter Essays gehört der Militärhistoriker Jürg Stüssi-Lauterburg. Er liess als Hauptredner des Abends vor allem den Ersten Weltkrieg im Echo der Fricktaler Presse Revue passieren. Auch er lobte die Fricktaler Zeitungen für ihre «grösste Präzision, wenige Schnitzer und wenige Unterlassungen», mit denen sie ohne Schonung ihren Lesern gedient hätten.
Die Beziehungen zwischen dem österreichischen Kaiserhaus Habsburg-Lothringen und dem bis 1803 vorderösterreichischen Fricktal schienen etwa damals noch sehr eng: Die «Volksstimme» erinnert an die «Beweise der aufrichtigen Gefühle zum Nachbarlande» des greisen Kaisers Franz Josef, wenn er am schweizerischen Bodenseeufer geweilt habe. Die «Neue Rheinfelder Zeitung» druckte 1916 sogar ein Bild des verstorbenen Monarchen – eine Seltenheit in einer Zeit, als Bilder in seriösen Zeitungen noch verpönt waren.
Aber auch den nördlichen Nachbarn waren die Deutschschweizer während des Ersten Weltkriegs – ganz im Gegenteil zum Zweiten – wohlgesinnt. So drückt die «Volksstimme» nach dem Ende des Kriegs am 14. November 1918 ihre Hoffnung aus, Deutschland werde «würdig seinen Platz in dem von (US-Präsident Woodrow) Wilson angekündigten Völkerbund einnehmen». Zum Jahresende räsonierte dieselbe Zeitung sinngemäss: «Vielleicht werden unsere Enkel einst zurückschauen auf das Jahr 1918 als eine grosse, bedeutsame Periode der Weltgeschichte. Wir aber, die wir mitten drin stehen, fühlen nur deren schweren Druck, unser ganzes Unvermögen, die geträumte bessere Zeit zu verwirklichen.»
Themen, die wiederkommen
Der Historiker und Archäologe Thomas Bitterli, ein weiterer Autor der Essays, verglich in einer «Themen-Collage» Schlagzeilen von damals mit ähnlichen Themen aus den heutigen Medien. So fragte sich etwa der «Frickthaler» 1944, ob Russland wirklich am Frieden mitarbeiten wolle «– und auf wie lange». «Auf diese Frage haben wir auch heute, 80 Jahre später, noch keine Antwort», kommentierte Bitterli. Innenpolitisch waren es die Bauern, die 1940 ob der Lebensmittelrationierungen «eines vortrefflich können: Jammern!» Ob die Bauernproteste gerechtfertigt waren, wollte Bitterli offenlassen. Wie wenig sich aber ihr Bild in der Öffentlichkeit gewandelt habe, zeige die Schlagzeile im «Blick» im Januar 2025: «Die Bauern jammern seit Jahrzehnten; das einzige, was sie perfekt können.»
Aber auch humorvolle Parallelen fand Bitterli trotz der Kriegszeiten damals. 1942 waren im «Frickthaler» lange, lackierte Frauenfingernägel ebenso ein Grund, sich zu echauffieren, wie 2023 im «Standard» in Wien, die Nacktwanderer in den Bergen 1941 in der «Neuen Rheinfelder Zeitung» ebenso wie 2017 in «20 Minuten» die halbnackten Touristen in italienischen Kirchen. Zufällig war Bitterli in der «Volksstimme» auf die Meldung 1940 gestossen, dass der Gemeinderat Rheinfelden den Bau des unterirdischen Luftschutzbunkers in der Kapuzinergasse beschlossen habe. Dieser Betonbau war mit der Zeit fast vergessen worden und 2017 wieder zum Vorschein gekommen, als Leitungsarbeiten vorgenommen wurden.
Ausgegangen war das private Projekt «kriegsnachrichten.ch» 2014 von Andreas Rohner, einem Museumstechniker mit Erfahrung in digitaler Aufbereitung von Inhalten. In ehrenamtlicher Arbeit photographierte er in rund 3000 Arbeitsstunden 7000 Zeitungsseiten für die Zeit des Ersten Weltkriegs ab. Die Digitalisierung der Zeitungen während des Zweiten Weltkriegs legte er aber dann in professionelle Hände. Er gründete einen Verein, um dafür finanzielle Mittel sammeln zu können. Rohner fragte sich zum Abschluss, ob in 100 Jahren eine Welt ohne Papier überhaupt noch Zugriff haben werde auf die heutige Berichterstattung. Die Webseite des Projekts wird noch mindestens fünf Jahre weiter betreut werden.

