Flüchtlinge an der Fricktaler Grenze
11.05.2025 FricktalSchwierig ist es, die Zeitungsberichte unserer Region während der ersten Hälfte des zweiten Quartals 1945 zusammenzufassen. Alles überschlägt sich in den letzten Kriegstagen in Europa und das spiegelt sich auch in den damaligen Zeitungen.
Ereignisreich für das ...
Schwierig ist es, die Zeitungsberichte unserer Region während der ersten Hälfte des zweiten Quartals 1945 zusammenzufassen. Alles überschlägt sich in den letzten Kriegstagen in Europa und das spiegelt sich auch in den damaligen Zeitungen.
Ereignisreich für das Fricktal sind vor allem die zwei Wochen vom 16. April bis zum 29. April. Detailiert wird bei jeder neuen Zeitungsausgabe berichtet, wieweit die Alliierten im grenznahen Deutschland, und anderswo, vorrückten. Wer sich die Zeit nimmt in den alten Artikeln jener Zeit zu lesen, findet manche Geschichte, die vergessen gegangen ist, aber zum Weiterforschen einlädt. Am Donnerstag, den 26. April 1945, findet sich beispielsweise in «der Volkstimme aus dem Frickthal» ein Artikel über «Eine Geheimsendung von Beromünster». Die älteren Leser heute wissen noch, dass Beromünster, bzw. Radio Beromünster, der offizielle Radiosender in der Schweiz war. Der Artikel informiert nach dem Titel weiter: «Die Radiohörer von Beromünster wurden am letzten Samstagmittag nach Schluss des Nachrichtendienstes der Schweizerischen Depeschenagentur durch eine chiffrierte Sendung überrascht, wie man sie bisher nur von ausländischen Stationen zu hören bekam. Vor dem Ablesen der Zahlenfolgen wurde ein bestimmter Adressat, bezeichnet durch einen vereinbarten Namen, gebeten, am Empfangsapparat zu bleiben, da sofort eine wichtige Meldung durchgegeben werde. Hierauf folgten etwa während einer halben Stunde lange Zahlenreihen. Wir können unseren Lesern mitteilen, dass es sich um eine Botschaft an Schweizer im Ausland handelt. […] » War das eine Fake-Meldung? Kaum denke ich.
Was passierte nun laut den Zeitungsmeldungen an der Landesgrenze in diesen zwei April-Wochen 1945? Am Hochrhein vor Basel tut sich fast nichts bis zum 20. April, während dem Stuttgart bereits am 6. April von den Franzosen erreicht wurde. «Der Frickthaler» berichtet unter dem Titel «Von der Westfront […] Im Süden wurde nach der Besetzung Heilbronn und dem Aufmarsch der französischen 1. Armee am Neckar der Angriff auf die württembergische Hauptstadt Stuttgart eingeleitet […]».
Die kurze Meldung in «der Volkstimme aus dem Frickthal» vom 21. April 1945 lässt aber ahnen, was kommt: «Sperrung der Grenzen – Der Bundesrat hat in der Donnerstagssitzung Beschluss gefasst, über eine Schliessung der Nord- und Nordostgrenze unseres Landes; dieser tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. […]».
Ankunft der Franzosen
Am 24. April beschreiben die Zeitungen im Fricktal dann die Ankunft der Franzosen in unserer Region ausführlich in mehreren Artikeln mit den Titeln. «Vorrücken der Franzosen nach der Rheinüberquerung unterhalb Basels» oder «Am Rhein zwischen Basel und Waldshut», darin: «[…] Die Basel am nächsten gelegenen Ortschaften der badischen Nachbarschaft rheinaufwärts, Grenzach und Wyhlen, sind noch am Dienstagabend von den Franzosen besetzt worden. […] Am Kirchturm in Herten, der Ortschaft nach Wyhlen, wehte bereits die weisse Flagge. In Badisch Rheinfelden war um 11 Uhr vormittags noch nichts Auffälliges zu bemerken. […]»
Seit dem Einrichten des Brückenkopfs Ende März bei Karlsruhe dauerte es also gut drei Wochen, bis die Franzosen bei Basel angekommen waren. Grund war vor allem die starke Festung am Isteiner Klotz. «Der Frickthaler» schrieb am 27. April 1945: «Am späten Donnerstagvormittag ist der gewaltige Kalkfelsen von Istein, 14 Kilometer unterhalb Basels, in den Besitz der Franzosen übergegangen. […]», aber etwas später auch: «Am Donnerstag um 15:35 Uhr war Konstanz von den Franzosen vollständig besetzt. […] Die Nazi-Bonzen wissen kaum mehr, wohin fliehen. […]»
Drei Seiten weiter in derselben Zeitung: «Im Laufe des Mittwochvormittags ist die gesamte Nordgrenze im aargauischen Rheintal von den nach Osten vordringenden Franzosen besetzt worden. Um 12.55 Uhr erschien ein französischer Panzerspähwagen beim Schweizer Grenzposten […] Die französischen Truppen drangen am Dienstag und in der Nacht auf den Mittwoch das Wiesental hinauf vor, um dann nach Osten ins Wehratal überzusetzen und über Wallbach in Säckingen das Rheintal zu erreichen. So bildete Rheinfelden während einiger Zeit eine Tasche, […] Die Besetzung von Badisch-Rheinfelden erfolgte ohne das ein Schuss gefallen ist. […]»
Flüchtlinge in der Saline Rheinfelden
An unser Landesgrenze kommen immer mehr Flüchtlinge an. Deshalb veröffentlicht das Territoriale-Kommando bereits am 24. April 1945 in «der Volkstimme aus dem Frickthal» folgendes: «An die Bevölkerung von Rheinfelden und Umgebung – […] Die Bevölkerung wird dringend ersucht, Folgendes zu beachten: a) […] die Weiterleitung der Flüchtlinge erfolgt in militärischer Ordnung. In den Gebäulichkeiten der Saline Rheinfelden sind für die Aufnahme und Verpflegung von Flüchtlingen verschiedene Räume […] eingerichtet worden. b) Den Flüchtlingen wird jeder Verkehr mit der Zivilbevölkerung verboten. […] c) Es ist damit zu rechnen, das unter den Flüchtlingen solche sind, die ganz ungenügend gekleidet sind. […] Sie (die Bevölkerung) wird hiermit freundlichst gebeten, jetzt schon nach irgendwie entbehrlichen Kleidern, Leibwäsche, Schuhe etc. Umschau zu halten und dieselben auf erstes Ansuchen zu händen der städtischen Fürsorge-Organisationen auf der Stadtpolizei Rheinfelden abzugeben […]»
Heute wissen wir über die letzten Stunden von Adolf Hitler recht gut Bescheid. Auf Wikipedia steht dazu: «Am 30. April mittags verteilte Hitler Giftampullen an seine Begleiter und erlaubte ihnen private Ausbruchsversuche. Die Wirkung des Giftes liess er vorher an seiner Schäferhündin erproben, ohne dabei anwesend zu sein. Etwa um 15:30 Uhr schluckte Eva Braun Zyankali; Hitler erschoss sich. [451] Martin Bormann und andere aus dem Führerbegleitkommando verbrannten wie befohlen ihre Leichen im Garten der Neuen Reichskanzlei und begruben die Überreste mit anderen Leichen in einem Bombenkrater in der Nähe des Bunkerausgangs.[452] Das OKW meldete Hitlers Tod erst am Abend des 1. Mai über den noch verbliebenen Reichssender Hamburg und verschwieg dabei seinen Suizid.»
Am 30. April schreibt «der Frickthaler» in einer kurzen Notitz. «[…] der ‹Führer› hat sich bereits seine Abschiedsansprache verfassen lassen! So berichtet ein deutscher Sender am Samstagabend». Auf der gleichen Seite dann: «Hitler im Sterben? […] Heinrich Himmler hat den Regierungen Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten gleichzeitig mit seinem Kapitulationsangebot mitgeteilt, das Hitler im Sterben liege und keine 48 Stunden mehr leben werde.[…]».
Am 2. Mai 1945 schreibt «Der Frickthaler» in der ersten Zeile: «Zu Ende – […] Mussolini ist tot und niemand senkt deswegen die Fahne auf Halbmast. Hitler ist ‹tot› und niemand ist, der ihn lebendig machen möchte! […]»
Noch ist Hitlers Tod in Anführungszeichen gesetzt. Gross titelt die Zeitung dann weiter unten doch: «Sender Hamburg meldet den Tod Hitlers». Mit Erstaunen las ich auch die Meldung von «der Volkstimme aus dem Frickthal» am 3. Mai 1945: «Das Bundeshaus zum Tod Hitlers. […] Infolgedessen war die Frage zu prüfen, ob das Bundeshaus auf Halbmast zu flaggen habe. […] Offiziell ist der Tod Adolf Hitlers beim Bundesrat noch nicht notifiziert worden. Infolgedessen bestand bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung zur Beflaggung […]» Dieselbe Zeitung schreibt am 5. Mai: «Führer fallen. Im Abstand von nur fünfzehn Stunden haben zuerst Mussolini und dann Hitler ihr Leben verloren – vorausgesetzt, dass die deutsche Meldung über das Ende des Führers zutreffend ist.[…]» eine Seite später dann die Frage: «Selbstmord Hitlers? […]» Bereits einen Tag vorher titelt «Der Frickthaler»: «Hitler hat Selbstmord begangen».
Wie soll das Kriegsende gefeiert werden?
Am 8. Mai 1945 titelt «die Volksstimme aus dem Frickthal»: «Deutschland kapituliert – Siegestag für Europa am heutigen 8. Mai.» dann auf der nächsten Seite die Frage: «Fricktal – Wie soll das Kriegsende gefeiert werden? Nach dem Wunsch des Bundesrates soll der Tag des Kriegsendes in Europa in unserem Lande durch Dankesgottesdienste und Glockengeläute begangen werden. […] Das Friedensgeläute erschallt somit heute von 20.00 bis 20.15»
Nein, der Zweite Weltkrieg ist noch nicht zu Ende. Nur Europa atmet auf, nicht aber der Ferne Osten. Mit dem 8. Mai ist nicht einmal die Hälfte des zweiten Quartals verstrichen. Vieles währe noch zu erwähnen, aber der Platz hier fehlt. Zwei Beiträge möchte ich aber noch beifügen: Dass es die «Fröntler», die Schweizer Sympathisanten der Nazi-Herrschaft gab, war mir bekannt, aber am 12. Mai schrieb «Der Frickthaler»: «Endlich: Auflösung der ‹NSDAP, Landesgruppe Schweiz› – Amtlich wird mitgeteilt: Der Bundes- rat hat in seiner Sitzung vom 8. Mai 1945 die Auflösung der ‹NSDAP, Landesgruppe Schweiz› und aller ihr angeschlossenen Organisationen sowie die Ausweisung des Landesgruppenleiters […] Wilhelm Stegel, beschlossen. […] Endlich wird mit einer Erscheinung Schluss gemacht, die die Schweiz nicht dulden durfte. Die NSDAP, Landesgruppe Schweiz war stets ein Affront gegen die Schweiz, ein schwerer Einbruch gegen das Haftrecht. Die NSDAP war eine Organisation, gerichtet gegen Sicherheit und Unabhängigkeit unserer Demokratie.»
Mir fehlen die Worte …
Mit der Kapitulation Deutschlands ist der Krieg nur in Europa am 8. Mai 1945 zu Ende. Weitere drei Monate vergehen, bis der Zweite Weltkrieg am 2. September endgültig beendet ist. Dazu mehr im nächsten Quartal. Aber nur drei Tage nach dem 8. Mai 1945, am 12. Mai, veröffentlicht «die Volksstimme aus dem Frickthal»: «Die erste Explosion. […] die Spannungen zwischen Ost und West beginnen sehr ernste Formen anzunehmen. […] Die Engländer und die Amerikaner lehnen es ab, weiterhin mit Molotow über die polnische Frage zu verhandeln. Dieser aber ist seit Jahren ein Angelpunkt aller politischen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West, wie sie auch den letzten Anstoss zum Ausbruch des jetzigen Weltkriegs gegeben hat. […] Es ist bestimmt keine ‹gewagte Behauptung›, wenn man heute ruhig ausspricht, dass es die Absicht Moskaus ist, aus Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn […] praktisch kommunistischen Regierungen, Dependancen des Kremls zu errichten. […] Dies ist eine nüchterne Feststellung. Und aus ihr folgt, dass die Westmächte vor der Gefahr eines Kampfes auf Leben und Tod stehen, der kaum demjenigen nachstehen würde, den sie eben erst bestanden haben. […].»
So kam es dann zum kalten Krieg und heute, nach 80 Jahren, befinden wir uns erneut in einem heissen Krieg durch die Besetzung von Teilen der Ukraine durch Russland.
Polen weiss genau, warum es sich bis an die Zähne bewaffnet und über nukleare Bewaffnung nachdenkt. Das Karussell der gegenseitigen Bedrohung, ja sogar des aktiven Kampfes, dreht sich erneut.
Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit
Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal», der «Neuen Rheinfelder Zeitung» und des «Frickthalers» aus den Jahren 1939 bis 1945 im Internet für jedermann zugänglich. Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet. Andreas Rohner, der Autor des hier publizierten Beitrags, ist Leiter des Projektes «Kriegsnachrichten». Als dieses Projekt vor 11 Jahren gestartet wurde, ging es um einen Rückblick auf schlimme, längst vergangene Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkrieges und die Wahrnehmung in der lokalen Öffentlichkeit. Nie hätten es die Initianten des Projektes für möglich gehalten, dass wir heute in Europa wieder Krieg erleben müssen. (nfz)