Vom Chorherren-Saal zur geheimnisvollen Rumpelkammer
10.07.2025 BrennpunktWelchem Zweck diente der kleine Saal über der Sakristei in der Rheinfelder Stadtkirche? Die NFZ macht sich mit dem Stadtführer Robi Conrad auf Spurensuche.
Valentin Zumsteg
Wer in der Rheinfelder Stadtkirche St. Martin auf einer Bank sitzt und Richtung Hauptaltar schaut, sieht sie nicht, die kleine Holztür im südlichen Kirchenschiff, hinter der eine enge Wendeltreppe versteckt ist. Steigt man die Stiegen hinauf, kommt man in den ersten Stock der Kirche. Hinter einer Tür befindet sich die ehemalige Stiftsbibliothek. Die meisten Regale sind leergeräumt, einige wenige Bände setzen hier noch Staub an. Der Grossteil der historischen Bände wird heute aber in einem Archiv unterhalb des Roberstenschulhauses gelagert.
Eine Schublade für jede Ortschaft
In dieser alten Bibliothek in der Stadtkirche findet sich eine metallbeschlagene Türe (eine mittelalterliche Form des Brandschutzes), die in einen weiteren Raum führt. Stadtführer Robi Conrad öffnet sie und sagt: «Das ist der ehemalige Chorherren-Saal.» Wie und wozu der Raum in früheren Jahrhunderten genutzt wurde, darüber ist nicht viel bekannt. Die Sitzbänke entlang der Wände lassen aber gemäss dem Fricktaler Historiker Linus Hüsser vermuten, dass der Raum als Versammlungsort gedient haben könnte – vielleicht bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sicher war der Raum auch ein Archiv.
In einem alten Schrank, der gleich links neben dem Eingang steht, befinden sich heute noch Archivschubladen. «Diese sind angeschrieben mit den Ortschaften, in denen das Stift über Bodenzinsrechte verfügte. Eigenartigerweise fehlt Herznach, wo das Stift von 1407 bis 1867 das Patronats- und Zehntbezugsrecht besass», wie Linus Hüsser festhält.
Gemäss Robi Conrad sind in diesem Raum früher in einer alten Truhe Utensilien der Sebastiani-Bruderschaft aufbewahrt worden. An diese Kiste erinnert sich Sebastiani-Bruder Klaus Heilmann. Als klar war, dass er in die Bruderschaft aufgenommen wird, stieg er 1992 mit Karl Becker, dem damaligen Senior der Bruderschaft, hinauf in die «geheimnisvollen Höhen» von St. Martin. «Dort oben, mit Spinnweben und in Dunkelheit, ging es dann eben zu besagter Truhe.» In ihr befanden sich alte Zylinder von ehemaligen Brüdern. Heilmann durfte sich ein gut erhaltenes Exemplar in seiner Grösse aussuchen. «Aus einem danebenstehenden Schrank entnahm der Senior eine schwarze Hutschachtel, in die ich den Zylinder bis heute immer wieder versorge», schildert er weiter. Erst später hat er entdeckt, dass der Hut innendrin mit Initialen versehen war. «Das F und R konnte ich schliesslich meinem früheren und schon einige Zeit verstorbenen Bruder Fredi Rosenthaler zuordnen.»
Eine Büste in der Fensternische
Doch zurück zu den Chorherren und ihrem kleinen Saal: Das Rheinfelder-Chorherrenstift St. Martin bestand von 1228 bis 1870, dannzumal wurde es durch einen Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau aufgelöst. «Chorherren, auch Kanoniker oder Stiftsherren genannt, hatten die Aufgabe, in Gemeinschaft zu leben und die Liturgie zu feiern, insbesondere das Stundengebet», schildert Robi Conrad. Sie waren oft Priester und übernahmen seelsorgerische Aufgaben, sowohl innerhalb des Stifts als auch in den zugehörigen Pfarrgemeinden.
Heute wird der ehemalige Chorherren-Saal, der sich oberhalb der Sakristei befindet, vor allem als Abstellraum genutzt. In den Regalen hat es einige Bücher, in einem anderen Schrank lagern alte Orgelnoten. Kruzifixe stehen am Boden, kirchliche Bilder hängen an den Wänden. Imposant ist eine Männerbüste, die in einer Fensternische platziert worden ist. Wen sie abbildet, ist unbekannt. «Aufgrund der Kleidung dürfte es sich um einen Kirchenmann gehandelt haben», vermutet Robi Conrad.
Man kann es nicht anders sagen: Der ehemalige Chorherren-Saal ist heute eine Rumpelkammer. Aber eine, die wohl noch so manches Geheimnis birgt.