«Ein komplett neuer Lebensabschnitt»

  25.04.2024 Persönlich

Für Livia Schmid beginnt das Leben nach dem Spitzensport

Seit 2017 gehörte Livia Schmid dem Nationalkader Kunstturnen an. Diverse Verletzungen machten eine Teilnahme an internationalen Grossanlässen unmöglich. Letzte Woche gab die 23-Jährige nun ihren Rücktritt vom Spitzensport bekannt, morgen Freitag verlässt sie Magglingen. Vor ihrer Heimkehr ins Fricktal sprach die NFZ mit ihr über Abschied und Neuanfang.

Simone Rufli

NFZ: Wie geht es Ihnen?
Livia Schmid:
Ich durchlebe gerade eine sehr emotionale Phase. Ich bin im Alter von 14 Jahren von daheim ausgezogen und habe seither in Magglingen gelebt. Der Turnsport war mein Leben. Jetzt, mit 23 bin ich daran, mich von diesem prägenden Lebensabschnitt und von meinem turnerischen Umfeld zu verabschieden. Das ist nicht einfach.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie vom Spitzensport zurücktreten werden?
Es war ein längerer Prozess, kein Entscheid von heute auf morgen. Gedanken über die Zukunft habe ich mir schon länger gemacht; vor allem nach der Schulterverletzung im letzten Jahr. Doch selbst als ich im September die Schulter operieren lassen musste, bin ich noch voller Optimismus in die Rehabilitation gestartet.

Was ist dann passiert?
Nachdem ich mich während dreier Monate in der Altius-Klinik in Rheinfelden ganz auf meine Gesundheit konzentriert hatte, bin ich im Januar ins nationale Verbandszentrum nach Magglingen zurückgekehrt, um zu sehen, wie mein Körper reagiert.

Wie hat er reagiert?
Anders als gewohnt und anders als nach Verletzungen zuvor. Ich habe plötzlich gespürt, dass ich nicht mehr alles geben kann, dass ich nicht mehr bereit bin, alles zu riskieren. Schmerzen gehören leider zum Kunstturnen dazu, das ist normal und bin ich mir gewohnt. Wenn der Kopf das akzeptiert, spürt man sie kaum. Diesen Januar aber, nach der Rückkehr nach Magglingen, habe ich mir eingestehen müssen, dass ich auch im Kopf müde geworden bin. Das war wohl der entscheidende Unterschied. Dass ich jetzt vom Spitzensport zu rücktrete, ist schmerzhaft. Mein Herz wird immer beim Turnen bleiben.

«Kein Sportler will aus einer Verletzung heraus aufhören», das haben Sie vor ziemlich genau einem Jahr in dieser Zeitung gesagt…
Ja, das habe ich gesagt. Und doch kann ich heute sagen, der Rücktritt ist mein Entscheid. Er wurde mir nicht aufgezwungen; auch wenn mein Körper sicher schon länger der Meinung war, dass es genug ist. Ich habe jetzt mit dem Kopf entschieden und Stopp gesagt.

So abrupt kann Ihr Körper nach 16 Jahren Leistungssport mit 30 Trainingsstunden pro Woche wohl nicht aufhören?
Nein, aber mein Vorteil ist, dass ich aus der Reha-Phase komme und darum seit Januar schon nicht mehr auf dem Level trainiere, auf dem ich mich zuvor bewegt habe. Andererseits ist mein Körper an Belastung gewöhnt und muss natürlich langsam abtrainiert werden. Ich mache weiter Krafttraining und auch die Schulter-Reha geht noch eine Weile weiter.

Davon abgesehen, beginnt für mich ein komplett neuer Lebensabschnitt. Nachdem ich die Fachmittelschule in Biel erfolgreich abgeschlossen habe, fange ich im August an der FMS Muttenz mit der Fachmaturität im Bereich Gesundheit an, die ich im Frühling 2025 abschliessen werde.

Von der Turnhalle auf die Schulbank.
Nicht nur. Zur Ausbildung gehört ein halbjähriges Praktikum. Das werde ich in Basel im St. Claraspital auf der Kardiologie und Pneumologie machen; es erwartet mich mein erster Einsatz im Berufsleben. Darauf freue ich mich sehr und ich bin auch froh, dass die strukturlose Lücke zwischen dem Rücktritt vom Spitzensport und dem Start in die Fachmaturität relativ kurz ist. Mein Alltagsleben war bisher stark strukturiert, dass ich ab August wieder in festen Strukturen eingebunden bin, ist für mich wichtig.

Als ich Sie vor einem Jahr nach Ihrem Berufswunsch fragte, sprachen Sie von einem Physiotherapie-Studium. Ist das noch aktuell?
Das war tatsächlich lange mein Plan. Nach einem Besuch bei der Studienberatung habe ich nun aber ein anderes Ziel. Ich werde nach der Fachmaturität die Aufnahmeprüfung für die Polizeischule machen. Ich war auch bereits an einem Infoabend der Kapo. Die Arbeit bei der Kantonspolizei Aargau ist herausfordernd und abwechslungsreich und das ist genau das, was ich am Turnsport so sehr geliebt habe und worauf ich auch in Zukunft im Berufsleben nicht verzichten möchte.

Ihre Zeit in Magglingen neigt sich dem Ende zu. Wird das Fricktal nun wieder zu Ihrem Lebensmittelpunkt?
Ja, ich werde wieder in meinem Elternhaus in Sisseln einziehen. Ich freue mich, wieder mehr Zeit mit der Familie und mit Freunden verbringen zu können. Auch darauf, dass ich endlich wieder einmal zwei Wochen Ferien am Stück machen kann – das hatte ich lange nicht mehr.
Ich werde wohl nach und nach viele kleine Dinge im Alltag erleben, die ich schätzen werde, bisher aber nicht einmal vermisst habe, weil sie nicht mit meinem Leben als Spitzensportlerin vereinbar waren. Auch darauf freue ich mich.

Und was werden Sie am meisten vermissen?
Das Team! Trainer, Therapeuten, Kolleginnen. Wir haben in Magglingen so viel Zeit miteinander verbracht, so viel miteinander erlebt, Höhen und Tiefen. Und auch die Turnhalle wird mir fehlen. Sie war ja mein zweites Daheim. Tröstlich ist, dass mir die vielen schönen Erinnerungen bleiben; unter anderem an die vielen Reisen. (Sie lacht) Auch das Herumblödeln in der Halle wird mir fehlen.

Das Kunstturnen hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Dafür bin ich enorm dankbar.

Mit dem Turnsport angefangen hat Livia Schmid in der Kunstturnriege Stein-Fricktal. Zu den Höhepunkten in ihrer Karriere zählt sie die Teilnahme an der Junioren-EM 2016 in Bern, an der sie unter anderem mit dem Team den 6. Rang und im Einzelwettkampf am Sprung den 7. Rang belegt hatte, sowie die EYOF-Teilnahme 2015 in Tiflis (Georgien), wo sie am Sprung den 5. Rang belegte. 


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote