Ein harter Schlag für das Fricktal
27.11.2025 SteinNovartis will in Stein 550 Stellen abbauen. Gemeinderat, Regierungsrat und die Gewerkschaft Unia reagieren bestürzt.
Novartis hat am Dienstag Anpassungen ihrer Schweizer Produktionsaktivitäten angekündigt. Die geplanten Veränderungen können am Standort Stein einen grossen Stellenabbau zur Folge haben. Gemeinderat, Regierungsrat und die Gewerkschaft Unia reagieren bestürzt.
Susanne Hörth
«Eine mittlere Katastrophe, ein Schock», sagt Gemeindeammann Beat Käser zum geplanten Stellenabbau der Novartis am Standort Stein. «Es betrifft nicht nur Stein, sondern die ganze Region», so Käser weiter. Der Pharmakonzern hat am Dienstag öffentlich gemacht, dass in Stein bis Ende 2027 die Produktion von Tabletten und Kapseln sowie von Verpackungen für sterile Arzneimittel eingestellt wird. Das und geplante Automatisierungen führen zu einem massiven Stellenabbau. Konkret geht es um bis zu 550 Arbeitsplätze. Insgesamt beschäftige Novartis in Stein derzeit rund 1500 Personen, teilt das Unternehmen auf Nachfrage der NFZ mit. «Jeder Arbeitsplatz, der verloren geht, betrifft eine Person. Das tut mir persönlich sehr weh», bedauert Beat Käser.
«Um eine wettbewerbsfähige Produktion in der Schweiz aufrechtzuerhalten, müssen wir uns darauf fokussieren, in innovative Herstelltechnologien und einen hohen Grad an Automatisierung zu investieren», erklärt Steffen Lang, President Operations von Novartis, in der Medienmitteilung. Novartis plane, 80 Millionen US-Dollar in ihre Produktion am Standort Schweizerhalle zu investieren und dort bis Ende 2028 rund 80 neue Vollzeitstellen zu schaffen. 26 Millionen US-Dollar will das Pharmaunternehmen in Stein in die Automatisierung im Bereich steriler Darreichungsformen investieren. Die Jobs von einem Drittel der aktuellen Belegschaft sind durch diese Automatisierung wie auch die Einstellung der eingangs erwähnten Produktion in Gefahr. Beat Käser setzt sehr darauf, dass Novartis ihr Versprechen bezüglich des Sozialplans einhält und diesen konsequent umsetzt.
Froh ist er, dass andere Firmen wie Lonza ein klares Bekenntnis zu Stein abgeben. Das Unternehmen erweitert zurzeit seine Produktion mit der neuen Abfüll- und Veredelungsanlage «Dolphin». Nächstes Jahr soll sie in Betrieb genommen werden. Ein weiteres Produktionsgebäude sei bereits geplant, so Käser. Er geht auch darauf ein, dass das Novartis-Areal schon länger der Getec gehöre. Dieser Industrieparkbetreiber hat unter anderem eines der Bürogebäude an die Bachem vermietet. Bachem-Mitarbeitende arbeiten hier mit Hochdruck an den Plänen für die Umsetzung des neuen Produktionsstandorts im Sisslerfeld, Gemeindegebiet Eiken. Käser ist überzeugt, dass zusätzlich freiwerdende Gebäude ebenfalls neue Mieter finden und in Stein weitere Synergien und damit auch neue Arbeitsplätze entstehen.
Regierungsrat fordert sozial verträgliche Lösungen
Die Ankündigungen von Novartis lösen nicht nur bei der Gemeinde Stein, sondern auch beim Aargauer Regierungsrat grosse Besorgnis aus. «Ein Stellenabbau in diesem Ausmass trifft den Kanton Aargau und das Fricktal als Standort für die Pharmaindustrie hart», sagt Landammann Dieter Egli. Sein Departement für Volkswirtschaft und Inneres ist mit den regionalen Verantwortlichen von Novartis in Kontakt und sei vorgängig über den geplanten Stellenabbau informiert worden. Im Hinblick auf das anstehende Konsultationsverfahren mit den Sozialpartnern und Novartis betont Egli: «Wir erwarten von Novartis, dass alles dafür getan wird, um den Stellenabbau möglichst tief zu halten und für die Betroffenen sozialverträgliche Lösungen zu finden.»
Die Gewerkschaft Unia verurteilt den angekündigten Stellenabbau mit den Worten; «Kein Stellenabbau für noch höhere Profite.» Noch vor wenigen Wochen sei gegenüber der Unia seitens der Novartis beteuert worden, dass keine Stellen gefährdet sind und in den Standort Stein investiert werden soll. Die Gewerkschaft Unia fordert von Novartis dringend die Prüfung von Alternativen.
Das Sisslerfeld braucht Vielfalt statt Monokultur
Gastbeitrag zum Stellenabbau von Novartis in Stein
Christoph Grenacher über die Abhängigkeit einer Region von einer einzigen Branche – und warum jetzt der Moment für eine echte Zeitenwende ist.
Walter Herzog, Verleger der «Neuen Fricktaler Zeitung» (NFZ) sowie lang jähriger Beobachter der Fricktaler Wirtschaft, mahnte kürzlich: Es sei wichtig, im Sisslerfeld nicht nur chemische Industrie anzusiedeln. Ein Satz, der auf horchen lässt – gerade jetzt, wo sich im grössten entwicklungsfähigen Industriegebiet der Nordwestschweiz entscheidet, wie die Region in zwanzig Jahren aussehen wird – und Novartis weitere 550 Jobs in Stein streicht.
Eine historische Weichenstellung
Bis 2040 sollen auf den 80 Hektaren noch unbebauter Industrief läche im insgesamt 200 Hektar grossen Sisslerfeld zwischen Stein, Eiken, Sisseln und Münchwilen 10 000 bis 15 000 neue Arbeitsplätze entstehen. Die Wertschöpfung könnte bis zu 5,3 Milliarden Franken jährlich betragen. Die entscheidende Frage aber lautet: Welche Arbeitsplätze? Welche Branchen? Welche Zukunft?
Aktuell läuft die Planung auf eine pharmalastige Entwicklung hinaus. Bachem investiert 750 Millionen Franken in einen neuen Produktionsstandort mit zunächst 500 Arbeitsplätzen. Ein Leuchtturmprojekt, zweifellos; doch wie Heiko Ehrich von Bachem realistisch ergänzte: «Trotz aller Schönheit bleibt es ein Produktionsstandort.»
Die Warnsignale sind da
Zwar ist der Börsenwert unserer Pharmaunternehmen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Doch die Pharmaforschung wird immer teurer, die Gewinnmargen schrumpfen. Im Sisslerfeld hat die Chemie seit 2018 kontinuierlich Stellen abgebaut – von ursprünglich rund 1800 auf heute etwa 1600 Beschäftigte. Die neuste Ankündigung von Novartis, am Standort Stein bis Ende 2027 weitere 550 Festanstellungen abzubauen, spiegelt den Branchentrend – und die jüngsten Entwicklungen in den USA mit drohenden Zöllen verschärfen die Situation weiter. Eine Region, die sich einseitig auf eine Branche fokussiert, macht sich verwundbar. Das ist keine neue Erkenntnis, aber eine, die gerne verdrängt wird, wenn die Steuereinnahmen sprudeln.
Der Moment für eine Zeitenwende
Genau jetzt bietet sich eine einmalige Chance. Der Planungsverband Fricktal Regio steht vor einem fundamentalen Wechsel: Vier von sieben Vorstandsmitgliedern treten Ende 2025 zurück, darunter Präsidentin Françoise Moser und Vizepräsident Franco Mazzi. Im März 2026 wird ein neuer Vorstand gewählt.
2026 wird laut der abtretenden Präsidentin ein «Übergangsjahr». Aber Übergänge sind auch Momente der Neuausrichtung. Momente, in denen man Strategien hinterfragt und mutige Entscheidungen trifft.
Was es jetzt braucht
Der neue Vorstand von Fricktal Regio hätte – in enger Zusammenarbeit mit dem kantonalen Standortmarketing, den Wirtschaftsförderungsstellen und den grenzüberschreitenden Organen – die Chance und die Pflicht, das Sisslerfeld als zukunftsfähiges, diversifiziertes Wirtschaftsgebiet zu entwickeln:
1. Eine verbindliche Diversifikationsstrategie: Nötig wären dabei nicht nur wie bisher Absichtserklärungen, sondern messbare Ziele: Wie viel Prozent der Fläche für andere Branchen? Welche Unternehmen werden aktiv akquiriert? Zukunftsträchtige Sektoren wie Präzisionsmechanik, Cleantech, Digitalisierung oder Kreativwirtschaft müssten gezielt angesprochen werden.
2. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit intensivieren: Das Sisslerfeld liegt keine fünf Kilometer von Deutschland entfernt. Die Zusammenarbeit mit den Landkreisen Waldshut und Lörrach muss strategisch noch viel stärker ausgebaut werden: Fachkräftepools grenzüberschreitend organisieren, Forschungskooperationen fördern, Infrastruktur koordiniert planen.
3. Partizipation mit Substanz: Ich bin Mit-Initiant der Plattform (www.plattform-sisslerfeld.com),dieam Sisslerfeldtag 2025 vom 13. September eingeweiht wurde. Gebaut von Lernenden der Häring AG, steht sie als Symbol für Transparenz und Mitgestaltung und wird im Frühjahr 2026 definitiv im Sisslerfeld installiert.
Die Plattform ist mehr als ein Bauwerk – sie ist ein Instrument für echte Partizipation. Von dort oben sieht man nicht nur, was entsteht, sondern auch, was möglich wäre. Man sieht, dass noch viel Platz ist für Unternehmen jenseits der Pharma. Doch Partizipation darf nicht bei Plattformen enden. Es braucht echte Mitwirkung bei strategischen Entscheidungen: Welche Unternehmen wollen wir hier? Welche Art von Arbeitsplätzen? Und: Um zu verstehen, was wir brauchen, müssen wir unsere eigene Geschichte aufarbeiten und aus den Erkenntnissen lernen.
Verantwortung und Zukunft
Stellen wir uns vor, das Sisslerfeld würde zum Modell für resiliente Regionalentwicklung: Ein diversifizierter Branchenmix, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, echte Partizipation. Das wäre nicht nur gut fürs Fricktal. Das wäre ein Signal für die ganze Schweiz.
Der neue Vorstand von Fricktal Regio sollte darum 2026 nicht als reines Übergangsjahr verstehen, sondern als Aufbruch. Walter Herzog hat recht: Es ist wichtig, nicht nur chemische Industrie anzusiedeln – und um diesen Weg zu gehen, braucht es das Einverständnis auch der Anwohnenden. Die Plattform Sisslerfeld, die 2026 neben einem reichhaltigen Angebot an Events demnächst auch noch andere Aktivitäten lancieren wird, ist ein Beispiel für Partizipation und Teilhabe aller. Jetzt, zum richtigen Zeitpunkt.

