Ein Entscheid gegen das «Heroische Management»
18.03.2025 NordwestschweizGedanken im Nachgang zur Bundesratswahl
Gastbeitrag von Hans A. Wüthrich*
Die Bundesratswahl ist auch eine Absage an das «Heroische Management» – eine Vorstellung, in der eine Einzelperson als Held, Retter oder alleiniger Pacemaker agiert. Besonders in ...
Gedanken im Nachgang zur Bundesratswahl
Gastbeitrag von Hans A. Wüthrich*
Die Bundesratswahl ist auch eine Absage an das «Heroische Management» – eine Vorstellung, in der eine Einzelperson als Held, Retter oder alleiniger Pacemaker agiert. Besonders in Krisenzeiten ist der Ruf nach charismatischen Führungspersönlichkeiten laut. Frei nach dem Motto: Inmitten des Sturms, übernimmt der Kapitän das Steuer, gibt Orientierung, setzt strategische Impulse, vermittelt Sinn, motiviert Mitarbeitende, etabliert funktionierende Strukturen und Prozesse, nimmt Komplexität aus dem System – und rettet letztlich das Schiff.
Im Vorfeld der Bundesratswahl wurden unterschiedlichste Erwartungen an die Kandidierenden formuliert: Mal zurückhaltend – Vertrauen wiederherstellen, Ruhe ins Departement bringen. Mal überzogen und naiv – aufräumen, das Departement «in den Griff bekommen», schlingernde Projekte retten. Doch diese überhöhten Forderungen beruhen auf einer verzerrten Wahrnehmung der Realität. Charismatische Führung kann zwar Ordnung in die Kompliziertheit bringen, aber die tiefere, systemische Komplexität unserer Welt lässt sich nicht einfach eliminieren. Komplexität ist wie Wasser, sie lässt sich nicht komprimieren.
Das «Heroische Management» hat gravierende Nebenwirkungen: Es gefährdet die Teamdynamik und die Nutzung der Intelligenz im Kollektiv. Die Abhängigkeit von Einzelpersonen macht das System anfälliger, fördert Passivität, untergräbt Eigenverantwortung und hemmt Potenzialentfaltung. Die Verehrung einzelner Helden erweist sich als kurzfristige, aber letztlich nicht nachhaltige Strategie der Simplifizierung und Trivialisierung.
«Stell dir vor, es gibt Führung und keine(r) merkt es!»
Wie sieht die Alternative aus? Einziger Standard, es gibt keinen Standard – und genau das ist der Punkt. Exzellente Führung lässt sich nicht idealtypisch beschreiben. Sie ist das Ergebnis einer experimentellen Annäherung und lediglich in Umrissen erkennbar.
• Weil Führung anspruchsvoller wird, verändert sich das Führungsverständnis. Führungsaufgaben werden zunehmend temporär, kompetenzbasiert sowie aufgaben- und projektbezogen von Einzelpersonen oder Teams übernommen.
• Weil kluge Entscheidungen die Nutzung der Intelligenz im Kollektiv erfordern, gilt es, Vielfalt zu nutzen, echte Dialoge zu fördern und eine Haltung des gemeinsamen Klügerwerdens zu entwickeln.
• Weil Resilienz wichtiger ist als reine Effizienz, braucht es eine Kultur des Zutrauens, der Selbstorganisation und der konsequenten Einbeziehung der Betroffenen in Entscheidungsprozesse.
• Weil der Mehrwert von Führung vor allem in der Arbeit am System liegt, sollten Führungskräfte psychologische Sicherheit schaffen, geschützte Lernräume ermöglichen, den Stillen eine Bühne geben und sich als Türöffner(in) für unerwartete Chancen verstehen.
Diese Art der Führung erfordert Persönlichkeiten mit ausgeprägter intellektueller Bescheidenheit. Menschen, die bereit und in der Lage sind:
• Die Pluralität der Perspektiven anzuerkennen, anstatt Deutungshoheit zu beanspruchen.
• Gemeinsam klüger zu werden, anstatt die Welt zu erklären.
• Nichtwissen auszuhalten, anstatt mit Scheinkompetenz zu blenden.
• Durch Handeln zu verstehen, anstatt alles im Voraus wissen zu wollen.
• Barrierefrei zu denken, anstatt sich an «Best Practices» zu klammern.
Und in der Politik? Postheroisches Management in Bern könnte bedeuten: Das gesamte Departement lebt Führung – und Chefsein ist keine Chefsache mehr. Eine utopische Vorstellung? Vielleicht. Aber stellen wir sie uns doch einfach einmal vor.
* Hans A. Wüthrich (Rheinfelden) ist emeritierter Professor für internationales Management an der Universität der Bundeswehr München und Privatdozent an der Universität St. Gallen.