«Du kommst morgen in den Korb»
13.04.2024 Persönlich, Wil, MettauertalHamburger «Deern» landet im Fricktal
Die 52-jährige Sandra Frei lässt sich – als eine von nur zwei Frauen in der Schweiz – zur Ballonpilotin ausbilden. Im Gespräch mit der NFZ spricht die gebürtige Hamburgerin über Höhenangst, ihre ...
Hamburger «Deern» landet im Fricktal
Die 52-jährige Sandra Frei lässt sich – als eine von nur zwei Frauen in der Schweiz – zur Ballonpilotin ausbilden. Im Gespräch mit der NFZ spricht die gebürtige Hamburgerin über Höhenangst, ihre «Landung» im Fricktal, ihre Jobsuche und dem Sprechen mit Pflanzen.
Bernadette Zaniolo
Sandra Frei ist ein bodenständiger und zugleich geerdeter Mensch. Sie hat Humor, aber auch Höhenangst, und dennoch lässt sie sich zur Ballonpilotin ausbilden. Damit gehört sie zu einer der wenigen Frauen in dieser Männerdomaine. «Ich bin eine Hamburger ‹Deern›» sagt sie auf die Frage der Redaktorin, woher sie komme. Die gelernte Garten- und Landschaftspf legerin war lange im Geschäft ihres Vaters in der Konzert- und Eventbranche tätig und später im Reisemanagement. Vor 15 Jahren hatte ihre Freundin sie – zusammen mit anderen – zu einem Meeting «mitgeschleppt». Erst vor Ort stellte die heute 52-Jährige fest, dass es sich um ein Ballonfahrertreffen handelte. «Ich hatte Höhen-, Platzund Feuerangst», sagt Sandra Frei. Später an diesem Treffen habe ihre Freundin ihr dann «einen Kumpel vom Mettauertal» vorgestellt. Dies war Ballonfahrer Rolf Frei. Auf ruhige Art sagte er damals bei der Begrüssung zu Sandra: «Morgen kommst Du in den Korb». Und sie erinnert sich: «Schon beim ersten Blick von Rolf Frei hat meine Mama gewusst: Jetzt wird alles anders. Mütter riechen das», erklärt die gebürtige Norddeutsche. Im April 2019 folgte Sandra ihrem Herzen und zog zu ihrem Mann Rolf nach Wil.
Vom Büro aufs Feld
«Auf 4765 Bewerbungen habe ich zwei Antworten bekommen», sagt die taffe Frau mit einem Lächeln zur Jobsuche in der Schweiz. Nach ihrer ersten Anstellung im Café in Mettau – damals noch unter Armando Filippi – wechselte sie in die Metzgerei Schwyzerhüsli in Wil. Mit einem Schmunzeln erzählt sie: «Mein Grossvater war auch Metzger.» Vom Büro sei sie wieder zum «richtigen Arbeiten» gekommen. Sie krempelt die Ärmel im Café Nova, wo das Interview geführt wurde, hoch und spricht das Schleppen und Abwaschen an. Mittlerweile ist Frei wieder in ihrem ursprünglichen Beruf angelangt. Nach zwei Jahren auf dem Loohof in Endingen arbeitet sie jetzt auf einem Bio-Landwirtschaftsbetrieb in Boppelsen und ist dadurch auch auf Wochenmärkten anzutreffen.
Von der Erde hoch in luftige Höhen
«In der Natur arbeiten zu können, tut so gut. Wenn Du auf dem Feld bist, kannst Du mit den Pf lanzen reden. Das ist befreiend.» Apropos befreiend: Wie ist das mit der Höhenangst und dem Ballonfahren? «Jetzt will ich mal am Gashahn sitzen», erklärt Sandra Frei mit einem Schmunzeln und einer Selbstverständlichkeit, als hätte sich die Angst in Luft aufgelöst. Verschwunden ist sie nicht, aber das Vertrauen und die Glückshormone überwiegen. Normalerweise sei es an solchen internationalen Ballontreffen, wie es sie etwa in Landshut (D) seit 20 Jahren gibt, so, dass die Frauen für das Catering zuständig sind. An diesen Treffen sind zirka 20 bis 30 Ballone auf dem Platz. «Rein gefühlt bin ich seit dem ersten Korb-Bestieg nicht mehr aus dem Korb gekommen. Am nächsten Tag war ich mit meiner Mutter zusammen im Korb», verrät Sandra Frei. Ebenso: «Das ist eine lustige Gesellschaft.»
Durch Fahrprüfung zur Fluglizenz
Gleichwohl geht es auch hier nicht ohne Fleiss. Wer selbst am Steuer eines Gas- oder Heissluftballons sitzen oder stehen will, der muss eine Ausbildung mit Theorie und praktischem Unterricht, wie zum Beispiel beim Erlangen des PW-Führerscheins, durchlaufen. Für die Prüfungszulassung sind 15 bis 20 Fahrstunden, 20 Starts und Landungen sowie zehn «Aufrüstungen», das Vorbereiten des Ballons (unter anderem Auslegen der Hülle, Aufblasen mit Gas usw.) nötig. «Ich bin froh, dass ich die Ausbildung bei einer Frau machen kann, schon deshalb, weil wir Frauen einfach den ‹gleichen Kommunikationsweg› haben», sagt Sandra Frei und unterstreicht, dass die Begegnung ein Zufall gewesen sei. Astrid Gerhardt aus Deutschland, welche im Sommer jeweils in der Schweiz arbeitet, hatte noch einen Ausbildungsplatz frei. Astrid Gerhardt prüft auch Rolfs Ballone (quasi eine TÜV-Prüfung) und macht Checkfahrten mit den Piloten. Checkfahrten muss ein Ballonpilot regelmässig absolvieren. «Hier wird geprüft, ob Du Dein Luftfahrzeug ordnungsgemäss führst und ob Du neue Gesetzesvorlagen in deine Checklisten-Routine mit aufgenommen hast», erklärt Sandra Frei. Sie betont auch, dass Gerhardt eine Koryphäe sei, eine Kennerin dieses Fachgebietes. Mit ihrer fröhlichen Art fügt die naturverbundene Sandra Frei an: «keine Konifere». Das Wort «Koryphäe» bezeichnet sie als einen Zungenbrecher.
Das wichtigste Fach in der Ausbildung sei das Wetter, verrät Sandra Frei. «Im Zweifelsfall wird nicht gestartet», betonen Sandra und Rolf Frei. Sandra Frei ist froh, dass sie nicht unter Druck steht und jeweils in Ruhe entscheiden kann, ob gefahren wird oder nicht. Das Wetter sei entscheidend, ob der Korb mit den Passagieren abhebt oder nicht. Die beiden Mettauertaler geben auch preis, dass sie mehr Zeit in eine Ballonreise investieren müssen, als die eineinhalb bis zwei Stunden, in welcher sie in luftiger Höhe sind.
Von Knieschlottern und enger werdendem Luftraum
Nach 1700 Stunden in der Luft und zirka 950 Landungen gesteht der mittlerweile pensionierte Betriebswächter Rolf Frei gegenüber der NFZ: «Ich gehe heute noch nicht auf eine Leiter. Die Knie schlottern mir vor Angst.» Doch die menschliche Psyche und das Verhalten werde in der theoretischen Ausbildung thematisiert. Der Ballonpilot beziehungsweise die -pilotin bildet mit den Passagieren eine Seilschaft. Da muss man sich auf die anderen verlassen können. Die Passagiere müssen beim Auf bau des Ballons mithelfen. Nebst der Meteorologie gehören auch Flugrecht und die Grundlagen des Fahrens, sprich die Auftriebsberechnungen und wieviel Gewicht ein Ballon tragen kann, zur Ausbildung. Oder wie es Rolf Frei kurz erklärt: Die Berechnung des Brems- und Überholweges. Er betont in diesem Zusammenhang, dass die Lufträume immer enger werden und die Ballonfahrer teils von anderen Flugverkehrs-Teilnehmern als störend empfunden werden. Lufträume könnten nicht für Ballonfahrer gesperrt werden.
«Massive Telefonarbeit»
Der Wind ist das Hauptkriterium, ob gestartet wird oder nicht. Durch die Langsamkeit lasse sich der Fahrtweg besser berechnen. Aufwändig ist dagegen das Zusammenbringen der Passagiere. Denn sind die Chancen intakt, dass am anderen Tag gestartet werden könnte, ist «massive Telefonarbeit» angesagt. Manchmal müsse man zehn bis zwölf Personen kontaktieren, um dann zwei oder drei Fahrgäste – die meist einen Gutschein einlösen oder sonst Interesse bekundet haben – rekrutieren zu können. Rolf Frei fügt auch an, dass sich die Ballonführer, wie die Flugzeugpiloten, alle Jahre einem Gesundheitscheck des Schweizerischen Ballonverbandes unterziehen müssen. Das Ballonpiloten-Brevet berechtigt auch noch nicht zum Mitnehmen von Menschen. Dafür ist eine europäische Fluglizenz (EASA) nötig. Bis zu drei Passagieren und einer Hüllengrösse von 1600 bis 3400 Kubikmetern ist keine gewerbliche Lizenz nötig. In dieser Kategorie sind auch Rolf und Sandra Frei unterwegs.
Immer weniger Ballonfahrer
Gemäss Rolf Frei hat es früher in der Schweiz 400 bis 450 Ballonpiloten gegeben; die Zahl sei aber seit ein paar Jahren rückläufig. Der gelernte Briefträger geht davon aus, dass es heute noch rund 250 Aktive gibt. Dies habe wohl mit dem finanziellen sowie dem zeitlichen Aufwand zu tun. Deshalb freuen sich Sandra und Rolf Frei, dass sie dieses Hobby teilen – zu Sandra Freis weiteren Hobbys gehören Töpfern, Zeichnen, Basteln und Dekorieren – und sich beim Fahren abwechseln zu können. In Zukunft wollen sie ihre Ferien vermehrt mit Ballonreisen im Ausland gestalten. Voller Freude über das liebgewonnene Hobby sagt die Hamburgerin: «Wann kannst Du schon so in die Alpen hineinblicken, als wie auf einer Ballonfahrt?» Dennoch: «Ich vermisse die steife Brise, die mir im Norden um die Nase wehte, schon ein bisschen.» Ob dies auch ihre Mutter und Grossmutter vermissen, lassen wir offen. Sie sind ihrer Tochter, beziehungsweise ihrer Enkelin in den Süden gefolgt und wohnen in der Region von badisch Laufenburg. Auch Sandra Frei ist angekommen: Im Garten Eden der Liebe und des Glücks.
Übrigens: ein Ballonkorb mit Gasf lasche wiegt rund 200 Kilogramm. In diesem Gewichtsbereich bewegt sich auch die Hülle.