Über das Arbeit geben und Arbeit nehmen
Niklaus Leemann
In unserer Sprache verbergen sich ja so manche Kuriositäten. Wieso beispielsweise nennen wir eine arbeitende Person einen Arbeitnehmer und die beauftragende Person oder Organisation eine ...
Über das Arbeit geben und Arbeit nehmen
Niklaus Leemann
In unserer Sprache verbergen sich ja so manche Kuriositäten. Wieso beispielsweise nennen wir eine arbeitende Person einen Arbeitnehmer und die beauftragende Person oder Organisation eine Arbeitgeberin? Eigentlich ist das doch genau umgekehrt.
Der Arbeitnehmer nimmt nicht etwa Arbeit, sondern er gibt Arbeit, und zwar eben der Arbeitgeberin – die eigentlich nimmt und nicht gibt. Verwirrt? Ein Beispiel: Arbeit ist eine bestimmte Leistung eines Arbeitnehmers für eine Arbeitgeberin. So backt etwa eine Bäckerin in einer Schicht, sagen wir, dreihundert Gipfeli, hundert Speckbrötli und achtzig Crèmeschnitten. Die Bäckerei nimmt diese Arbeit, verkauft die Brötchen und erwirtschaftet damit einen Gewinn. Wer in diesem Beispiel Arbeit gibt und wer Arbeit nimmt ist doch klar – und zwar eben genau andersrum als in unserem Sprachgebrauch üblich.
Stellen Sie sich mal vor, wir würden diese Bezeichnungen in unserer Sprache abtauschen. Das wäre doch mal eine Neuerung in den Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeberinnen. Die (bisherigen) Arbeitgeberinnen würden also nicht mehr sozusagen als Wohltat den (bisherigen) Arbeitnehmern gütigerweise Arbeit geben, sondern vielmehr bei ihnen die dringend benötigte Arbeitsleistung einkaufen. Ohne diesen Einkauf, kein Gewinn. (Bisherige) Arbeitnehmer würden damit sprachlich gestärkt – und sowieso: Geben ist doch etwas Schöneres als nehmen.
In der Kolumne «Die Wirtschaft sind wir» beschreibt der Ökonom und Unternehmensberater Niklaus Leemann, wie die Wirtschaft fester Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres Lebens ist.