Die Schreiberin und ihr Feu sacré

  17.05.2025 Persönlich

Während 25 Jahren spürte Karin Pfister Geschichten im Fricktal auf. Mit so viel Leidenschaft, dass sie dies noch lange gemacht hätte. Doch Mitte April ist sie überraschend verstorben.

Sarah Fasolin*

KARIN PFISTER. Seit vielen Jahren und unzählige Male schon stand dieser Name in dieser Zeitung. Aber immer nur in der Autoren- und Fotonachweiszeile, nie im Text. Heute ist das anders. Dieser Text ist über sie, über eine leidenschaftliche Lokaljournalistin, die vor Kurzem und viel zu früh im Alter von 48 Jahren an Herzversagen verstorben ist. Karin Pfister schrieb über Chorproben, Trachtenvereine, Krippenbauer, Künstlerinnen, Traktorentreffen oder Food-Bloggerinnen – alleine in den letzten zwei Jahren rund 150 Artikel. «Ich liebe meinen Beruf», sagte sie noch vor wenigen Wochen.

Ihr Talent fürs Schreiben ist bereits in der Schulzeit aufgefallen, in der Bezirksschule in Frick und in der Kantonsschule in Baden. Karin Pfister schrieb mit Leichtigkeit und sprachlicher Raffinesse: Briefe, Tagebücher, Gedichte und im Deutschunterricht brillante Aufsätze. Kein Wunder, publizierte sie schon als Kantonsschülerin Artikel auf der Jugendseite Box des damaligen Badener Tagblatts. Man durfte schreiben, wofür man sich interessierte. Karin schrieb über eine Freundin und deren Zimmer, über Schulkollegen, die ohne Fernseher aufwachsen oder eine Reportage aus dem letzten Zug.

Nach Abschluss der Kantonsschule wurde sie Stagiaire bei der noch jungen Aargauer Zeitung, die damals einen Ausbildungsgang für junge Journalistinnen einführte. Karin war eine der ersten, die in diesem System einen Platz bekam. Während andere Berufseinsteigende den Lokaljournalismus oft nur als nötige Etappe sahen, um auf das nationale Niveau zu gelangen, wollte Karin genau das Gegenteil: darüber schreiben, was vor ihrer Haustüre passiert. Im Fricktal, der für sie schönsten Region überhaupt in der Schweiz (und wahrscheinlich auf der ganzen Welt).

Die Liebe zum Fricktal
Karin Pfister ist in Bözen auf dem Lindenhof aufgewachsen. Sie liebte die Fricktaler Landschaft mit den Hochstammbäumen, den Hügeln und beschaulichen Dörfern. Und sie liebte die Geschichte dieser Region, zum Beispiel jene Episode, als das Fricktal 1802 beschloss, ein eigener Kanton zu werden und im Eiker Pfarrhaus eine eigene Kantonsverfassung geschrieben wurde. Ein Akt der Selbstbehauptung, der unter Napoleon Bonaparte zunichte gemacht wurde, als dieser das Fricktal nur ein Jahr später dem Kanton Aargau zuschlug. Oder auch Episoden rund um die österreichische Kaiserin Maria Theresia, die mit ihren Reformen das Leben der Bevölkerung verbessern wollte. Was sich eigenständig behauptet und seinen eigenen Weg geht – solches hat Karin Pfister immer begeistert. Wenn Freundinnen aus dem Fricktal wegzogen, erhielten sie von ihr mitunter jene Flagge geschenkt, die der Kanton Fricktal damals vor über 200 Jahren als sein Kantonswappen führte – eine Fahne mit Lindenblatt. Eine Erinnerung an eine selbstbestimmte Heimat.

Und so ging auch Karin Pfister ihren eigenen Weg. 2001 schrieb sie ihre Abschlussarbeit am Medienausbildungszentrum Luzern über ein lokalpolitisches Thema, die geplante Fusion der beiden Gemeinden Oberhof und Wölflinswil. Der Titel: «Ich bin ein Oberhöfler und ich will ein Oberhöfler bleiben». Auch nach der Journalistenschule verfolgte sie das, was sie am liebsten tat: Lokaljournalismus. Erst zwei Jahre als Redaktorin bei der Neuen Fricktaler Zeitung, später als freischaffende Journalistin für verschiedene Medien, vorwiegend die NFZ.

Berührende Geschichten
Nirgendwo sonst im Journalismus müssen Nähe und Distanz sorgfältiger dosiert werden. Nirgendwo sonst trifft man aber auch auf so viele berührende Geschichten, die dem Alltag entspringen. «Jeder Mensch, jedes Leben besteht aus Geschichten, jeder Augenblick ist eine Erzählung», schrieb Karin Pfister auf ihre Homepage. Hörte sie von einem Menschen, der Velonummern sammelt, zog sie los, ihn zu porträtieren. Erzählte ihr jemand von einer Hundertjährigen, die mit Unterstützung zwar, aber trotzdem noch alleine im Haus lebt – Karin Pfister wollte mehr darüber wissen und traf die Frau zum Interview. «Solche Begegnungen erfüllen mich, nicht nur beruflich, auch menschlich», sagte sie unlängst, die privat mit ihren beiden Teenager-Töchtern in Zeihen lebte.

Geschichten finden, Menschen treffen und darüber schreiben – es war Karin Pfisters Berufung. «In ihren Texten wurden die Menschen spürbar», sagt Susanne Hörth, die zuständige Redaktorin für das Obere Fricktal bei der NFZ. Viele Jahre nahm sie Inputs und Texte von Karin entgegen. «Sie war für uns eine grosse Unterstützung und hinterlässt eine Lücke, die sich nicht schliessen lässt.» Auch Chefredaktor Walter Herzog sagt: «Wir haben Karin Pfister als freie Mitarbeiterin sehr geschätzt – aber auch als Menschen.» Pfisters Professionalität und ihre Gabe, auf Menschen zugehen und deren Geschichten in Worte fassen zu können. Gerade bei ihrem letzten Artikel über Doris Rebmann, der Präsidentin des Besuchsdienstes der Region Laufenburg, sei dies einmal mehr deutlich zum Ausdruck gekommen. Geschrieben hatte Karin Pfister den Text wenige Tage vor ihrem Tod.

Für den Beruf der Journalistin braucht es ein Feu sacré, lernte Karin Pfister während der Zeit ihrer Ausbildung. Das ihre brannte bis zuletzt.

*Sarah Fasolin kannte Karin Pfister seit ihrer Schulzeit, hat mit ihr die Ausbildung zur Journalistin durchlaufen und war mit Karin lange und eng befreundet. 


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