Die neue Ruhe im Stadelbach
11.04.2024 MöhlinDas Möhliner Wohn- und Pflegezentrum zwei Jahre nach der Krise
Als im Frühjahr 2022 eine neue Führung im Möhliner Wohn- und Pflegezentrum übernahm, war das Vertrauen in die Institution massiv erschüttert. Der Weg zurück brachte Unangenehmes zutage. ...
Das Möhliner Wohn- und Pflegezentrum zwei Jahre nach der Krise
Als im Frühjahr 2022 eine neue Führung im Möhliner Wohn- und Pflegezentrum übernahm, war das Vertrauen in die Institution massiv erschüttert. Der Weg zurück brachte Unangenehmes zutage. Darunter einen Gerichtsfall.
Ronny Wittenwiler
«Wir waren am Tiefpunkt angelangt», sagt Marion Wegner-Hänggi. Das war vor zwei Jahren anlässlich der Generalversammlung des Stadelbach-Trägervereins «Wohnen im Alter». Wegner-Hänggi hatte gerade erst die operative Führung im Möhliner Wohn- und Pflegezentrum übernommen, Markus Fäs wurde an jenem Abend von der Generalversammlung zum neuen Präsidenten des Trägervereins gewählt. Es war ein Neuanfang mitten in einer fundamentalen Krise: Hausärzte, die massive Pflegemissstände im Stadelbach beklagten, ständig wechselnde Mitarbeitende; freiwillige Cafeteria-Helferinnen, die offenbar nicht mehr erwünscht waren.
Deutlich bessere Zahlen
Die Generalversammlung vor wenigen Tagen ging in einem Wisch über die Bühne. Mehrere Punkte belegen eine Entspannung im Stadelbach: deutlich tiefere Mitarbeiter-Fluktuation, viel weniger krankheitsbedingte Ausfälle und mittlerweile sind auch mehrere Mitarbeitende ins Stadelbach zurückgekehrt, die damals im Unfrieden gegangen waren. Änderungen im Personalreglement und die Anpassung der Löhne sind zwei Massnahmen, welche die neue Führung unter anderem vollzog. Marion Wegner-Hänggi sagt: «Wir hatten innerhalb des Lohngefüges riesige Unterschiede über alle Bereiche. In der Vergangenheit wurde wohl etwas gar nach Sympathie verteilt. Wir hatten zunehmend das Problem, dass wir junge, neue Mitarbeitende anstellen mussten zu deutlich höheren Löhnen als Leute, die schon lange hier und uns treu waren. Wir steckten sehr viel Effort hinein, um eine Lohnfairness hinzubekommen.»
Stück für Stück scheint eine neue Führung das Vertrauen ins Stadelbach wieder herstellen zu können. «Es ist ein unglaubliches Privileg und ein Geschenk, dass heute Vereine, Institutionen und Private auf uns zukommen und fragen, ob sie uns unterstützen können; sei das im kulturellen oder auch im pflegerischen Bereich. Wir spüren sehr viel Goodwill.» Das sei allerdings das Verdienst von ganz vielen Leuten, möchte Wegner-Hänggi als Vorsitzende der Geschäftsleitung betont haben. «Da ist ein ganzes Team, das knochenharte Arbeit geleistet hat und viel Herzblut investiert. Ich bin höchstens das Schmiermittel, damit die vielen Zahnräder ineinandergreifen.»
Die Krise war kein Spaziergang
Fakt ist aber auch: Der Weg zurück zur Normalität war kein einfacher, es war gar ein höchst unangenehmer. «Ein überragend grosser Teil der Kritikpunkte war absolut berechtigt. Da gibt es nichts schönzureden», sagt Marion Wegner-Hänggi und legt offen dar, wie man bei der Aufarbeitung auf Dinge gestossen war, «die weit über das hinausgingen, was wir erwartet hatten.» Ein Unternehmen, das in der Vergangenheit für die Vermittlung von Temporären zuständig war, sah man gar vor Gericht wieder. Es sind Altlasten, die zu beseitigen viel Aufwand erforderten.
Im grossen Interview spricht Wegner-Hänggi über die letzten zwei Jahre. Ob sie nie Angst hatte, grandios zu scheitern? Antwort: «eine Heidenangst!»
«Da gibt es nichts schönzureden»
Über die Aufarbeitung im Möhliner Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach
Seit zwei Jahren ist Marion Wegner-Hänggi Vorsitzende der Geschäftsleitung im Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach. Sie übernahm mitten in einer fundamentalen Krise. Nun ist es ruhig geworden um die Institution. Zu ruhig?
Ronny Wittenwiler
NFZ: Marion Wegner-Hänggi, mitten in der Krise übernahmen Sie im Stadelbach. Warum haben Sie sich das angetan?
Marion Wegner-Hänggi: Als Vorstandsmitglied im Trägerverein erlebte ich die turbulenten Zeiten hautnah mit. Wir versuchten mit allen Mitteln, näher ans operative Geschäft heranzukommen, um Ruhe hineinzubringen. Das schafften wir nicht. Da war für mich klar: Entweder trete ich aus dem Vorstand aus und kehre dem Stadelbach den Rücken – oder ich versuche, etwas zu bewirken. Bis heute weiss ich nicht weshalb, aber schliesslich kamen die Worte doch über meine Lippen. Ich erklärte, in welcher Form ich meine Kompetenzen einbringen und mich zur Verfügung stellen würde. Bevor ich das zweite Mal geblinzelt hatte, war es dann auch soweit.
Sie kannten die Kritik: ständig wechselnde Mitarbeitende, unzufriedene Hausärzte, die Pflegemissstände beklagten, und freiwillige Cafeteria-Frauen, die nicht mehr erwünscht waren. Hatten Sie nie Angst, grandios zu scheitern?
Eine Heidenangst! Schon im Moment meiner Zusage hat es mir fast die Kehle zugeschnürt. Ich hatte unzählige schlaflose Nächte. Ein überragend grosser Teil der Kritikpunkte war ja auch absolut berechtigt, da gibt es nichts schönzureden. Ebenso war mir die Komplexität der Angelegenheit bewusst. Wir konnten auf wenig Substanz zurückgreifen, vieles musste neu geschaffen werden. Ich darf ehrlich sein: Noch heute plagen mich manchmal Zweifel und ich fühle mich grandios überfordert. Kann ich das? Bin ich dem gewachsen? Bin ich die richtige Person, dieses Haus in eine Zukunft zu führen, damit es für die Bewohnenden zu einem Mehrgewinn kommt? Diese Zweifel kommen immer wieder, ich müsste lügen, wenn es anders wäre.
In diesen zwei Jahren ist es ruhig geworden ums Stadelbach. Zu ruhig?
Nein. Stabilität, Ruhe und Sicherheit für die verbleibenden Mitarbeitenden, die Bewohnenden und ihre Angehörigen zu erlangen, war oberste Devise. Das ist uns zu weiten Teilen gelungen. Aber auch wenn ich den Satz bald selbst nicht mehr hören kann: Wir sind noch lange nicht am Ziel, sondern erst auf dem Weg.
Vor einem Jahr sagten Sie tatsächlich bereits diesen Satz. Markus Fäs, Präsident des Trägervereins, ergänzte: Es lägen weiterhin Leichen im Keller. Womit haben Sie seither aufgeräumt?
Mit Altlasten. Wir mussten auch rechtliche Wege beschreiten gegenüber Partnern aus der Vergangenheit, mit denen wir alles andere als happy waren.
Welche Partner meinen Sie?
Es ging um einen Personalvermittler für Temporär-Anstellungen. Die Kooperation mit dieser Firma wurde vor unserer Zeit durch einen damaligen Verantwortlichen aufgegleist. Wir hatten schon länger Fragezeichen und wurden hellhörig, als wir mit dieser Firma in Verhandlungen gingen und gewisse Dinge optimiert haben wollten. Die Firma stellte sich quer. Im Rahmen unserer Aufarbeitung kamen massive Mängel punkto Betriebsbewilligung und Abrechnungen zum Vorschein. Nicht nur wir, auch andere Institutionen, nahmen die Dienste dieser Firma in Anspruch. Es traten Dinge zutage, die weit über das hinausgingen, was wir erwartet hatten. Das war sehr unangenehm, auch für mich persönlich. Meine Sicherheitslage war über geraume Zeit heikel.
Das Stadelbach hat sich von dieser Partnerfirma getrennt?
Wir haben uns sofort getrennt. Es erfolgte eine gerichtliche Einigung. Diese Krise standen wir erfolgreich durch.
Wie steht es jetzt um die Personalsituation?
Wir haben eine Stabilität hinbekommen. Vor zwei Jahren lag die Mitarbeiter-Fluktuation bei über vierzig Prozent. Jetzt sind wir bei acht Prozent, der Branchendurchschnitt liegt bei über 20 Prozent. Die Temporär-Anstellungen konnten wir im Geschäftsjahr 2023 enorm reduzieren – um 79 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wir wollten mit allen Mitteln weg von den temporär Mitarbeitenden, dieses Geld investierten wir in feste Mitarbeitende, die sich mit dem Haus identifizieren. Dadurch haben wir eine deutliche Qualitätssteigerung hinbekommen. In allen Bereichen, nicht nur in der Pflege, wurden die Teams vergrössert. In der Pflege liegen wir deutlich über den kantonalen Vorgaben.
Krankheitsbedingte Ausfälle waren auch ein grosses Problem.
Die Ausfallrate war enorm. Da verzeichnen wir im Geschäftsjahr 2023 ein Minus von 62 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Ist Personalmangel kein Thema?
Nein. Über die letzten Monate verzeichneten wir deutlich mehr Bewerbungen als offene Stellen und wir hatten keinerlei vakante Stellen.
Wie ist das Verhältnis mit den Hausärzten?
Sehr viel besser. Wir stellten uns überall vor, haben sie gleich zu Beginn alle zusammen für ein Treffen zu uns eingeladen und wir stehen mit ihnen in einem engen Dialog.
Wo sehen Sie für das Stadelbach Handlungsbedarf in kurz- und mittelfristiger Zukunft?
Wir wollen den Pflegebereich strukturell auf ein höheres Niveau heben: Nach wie vor haben wir für Mitarbeitende geteilte Dienste, das ist für viele nicht attraktiv. Auch wollen wir die Abläufe auf den beiden offenen Stationen und auf der Demenzabteilung vereinheitlichen und damit eine zusätzliche Qualitätssteigerung erreichen.
Vor zwei Jahren übernahmen Sie die Führung im Stadelbach. Mitten in der Krise. Warum hat es sich gelohnt?
Ganz egoistisch gesehen, weil ich jede Stunde, die ich hier verbringe, Neues dazulernen darf. Gelohnt hat es sich auch, weil es uns gelungen ist, wieder ein attraktiver Arbeitsgeber zu werden und – das steht über allem – weil es uns gelungen ist, für unsere Bewohnenden bereits eine deutliche Steigerung der Qualität hinzubringen.