Die Mär der Millennials
06.08.2024 KolumneDIE WIRTSCHAFT SIND WIR
Niklaus Leemann
Wenn die Diskussion dieser Tage in den Sitzungszimmern der Firmen auf den Fachkräftemangel kommt, kocht bisweilen die blanke Panik hoch. Wie rekrutieren wir bloss die vielen Fachkräfte, die wir als Ersatz von ...
DIE WIRTSCHAFT SIND WIR
Niklaus Leemann
Wenn die Diskussion dieser Tage in den Sitzungszimmern der Firmen auf den Fachkräftemangel kommt, kocht bisweilen die blanke Panik hoch. Wie rekrutieren wir bloss die vielen Fachkräfte, die wir als Ersatz von Abgängen – geschweige denn für unsere Wachstumsziele – brauchen? Der grosse Preis der Stunde: die Millennials. Das ist die Generation mit den Geburtsjahrgängen 1980 bis 1995, also die Arbeitnehmenden im Alter von dreissig bis Mitte vierzig.
Die lautesten Stimmen charakterisieren diese Zielgruppe etwa so: Ihnen ist eine Work Life Balance besonders wichtig. Sie wollen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Sie lehnen Hierarchien und Regeln ab. Und natürlich denken und kommunizieren sie nur noch digital.
Eifrig interpretieren sich die Firmen neu, um den Kampf um die Millennials zu gewinnen. So gehört ein «Purpose» – eine hochtrabende Erklärung, wieso die Firma einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leistet – zum Standardrepertoire. Statt klare Ansagen zu machen, diskutieren Managerinnen und Manager lieber jede Entscheidung in langen Teamsitzungen ausführlich aus. Und ohne den Anstrich des Digitalen geht sowieso gar nichts.
So weit, so gut. Das Problem ist nur: Die Grundannahme dieser Massnahmen ist falsch! Wer sagt denn, dass eine gesamte Generation – im Fricktal sind es rund 19 300 Millennials oder 23 % der Bevölkerung – exakt gleich denkt und fühlt? Es muss doch unterschiedliche Motivationen und Lebenseinstellungen geben. Unterscheiden sich die Menschen nicht eher nach Bildungsniveau, Einkommen, Geschlecht oder Herkunft, statt nach ihrer Generation? Und sowieso, hätten die Generationen mit Geburtsjahr vor 1980 nicht auch gerne eine sinnstiftende Arbeit oder weniger Hierarchie gehabt? Die Aussage, dass alle Millennials gleich ticken, ist schlicht eine kühne Behauptung ohne jegliche wissenschaftliche Fundierung.
Die Firmen sollten sich vielmehr fragen, welche konkreten Profile die Organisation wirklich braucht und dann gezielt danach suchen, statt sich für vermeintliche Stereotypen einer Generation zu verbiegen. Denn die Menschen sind vielseitig, bunt und einzigartig – den Millennial gibt es nicht.
In der Kolumne «Die Wirtschaft sind wir» beschreibt der Ökonom und Unternehmensberater Niklaus Leemann, wie die Wirtschaft fester Bestandteil unserer Gesellschaft und unseres Lebens ist.