Die Lüdis und ihre «Basellandschaftliche Zeitung»
05.06.2024 NordwestschweizRoger Blum arbeitet die wechselvolle Geschichte der «Basellandschaftlichen Zeitung» auf.
Karl Lüönd, Publizist
LIESTAL. Wohl keine andere Ecke der Eidgenossenschaft war zwischen dem Ende des Ancien Régime und der Gründung des Bundesstaats von ...
Roger Blum arbeitet die wechselvolle Geschichte der «Basellandschaftlichen Zeitung» auf.
Karl Lüönd, Publizist
LIESTAL. Wohl keine andere Ecke der Eidgenossenschaft war zwischen dem Ende des Ancien Régime und der Gründung des Bundesstaats von 1848 politisch bewegter und heftiger umkämpft als Basel. Die Landschäftler galten als aufsässig. Es ging um ihre demokratischen Rechte, aber auch um Gebietsansprüche. 1833 kam es zum Bürgerkrieg. Rund siebzig Kämpfer fielen, die grosse Mehrheit Stadtbasler.
Nach dieser Schlacht verfügte die Tagsatzung die Trennung von Stadt und Landschaft. Baselland zählte damals zwar nur knapp 50 000 Einwohner. Jetzt musste sich der neue Stand behelfsmässig mit allem ausrüsten, was ein geordnetes Gemeinwesen brauchte: Schulen, Spitäler, Waisenhäuser, Verwaltung. Die als raubeinig bekannten Landschäftler, von den Städtern verächtlich als «Rammel» bezeichnet, wollten anfänglich wohl auch die öffentliche Meinung unter ihre Kontrolle bringen und kauften eine Druckmaschine aus einem Nachlass in Zofingen. Die beiden Drucker nahmen sie gleich mit, aber das Experiment einer Staatsdruckerei mit offizieller Zeitung endete, bevor es richtig begonnen hatte. 1833 erschien «Der unerschrockene Rauracher», die erste Basellandschäftler Zeitung, im Verlag von Banga und Honegger. Honegger war einer der beiden eingewanderten Drucker, Benedikt Banga wurde später Regierungsrat.
Überraschender Verkauf
Der Eigenwille der Baselbieter drückte sich auch in der Anzahl und in den Namen der Zeitungen aus, die in rascher Folge, oft nach Streitigkeiten, gegründet wurden: «Der freie Baselbieter», das «Basellandschaftliche Volksblatt», «Der Rechts- und Wahrheitsfreund aus Basellandschaft». Sie bildeten die grossen politischen Tendenzen ab: den kämpferischen Freisinn, die Konservativen, dazu die regionalen Schattierungen. Die Blätter beschimpften einander munter und liefen wirtschaftlich alle auf dem Zahnfleisch, zumal es wegen der kleinen Zahl der Lesekundigen keine grossen Auflagen gab.
Nach weiteren Gründungen lancierte der liberal gesinnte Lehrer Matthias Lüdin die Zeitung, die seither den Luftraum über dem Baselbiet beherrscht: «Der Bundesfreund aus Baselland», ab 1854 «Basellandschaftliche Zeitung» («BZ») genannt. 1898 wagte sie den Schritt zur Tageszeitung. Fünf Generationen lang führten Männer aus der Familie Lüdin die Zeitung, die zu einem typischen Vertreter der Schweizer Presse in der Nachkriegszeit wurde: regional eng ver- und gebunden, zugleich mit dem Anspruch, alle wichtigen Ressorts zu bespielen: Ausland, Inland, Kanton, Lokales/Regionales, Sport. Die hohen Fixkosten waren tragbar, solange sie in der ab den frühen 1950er Jahren einsetzenden Hochkonjunktur von der Werbung gedeckt waren – und das von der Publicitas diskret verwaltete Kartell sozusagen die Bank spielte. Dann ging die «BZ» den gleich Weg wie manche andere mittelgrosse Schweizer Tageszeitung («Thurgauer Zeitung», «Thuner Tagblatt» usw.): Sie flüchtete vor dem digitalen Sturm unter das Dach einer der grossen verbleibenden Schweizer Zeitungsgruppen.
Bis 2007 hielt man in der seit der Jahrtausendwende ausgebrochenen Pressekrise durch, dann wurde der Zeitungsbetrieb überraschend an die von Peter Wanner gegründete Zeitungsgruppe (heute CH Media) verkauft, nicht an die damals noch selbständige «Basler Zeitung» («BaZ»). Er sei nicht bereit gewesen, «einen strategischen Preis» zu bezahlen», sagte der damalige «BaZ»-Verleger Matthias Hagemann. Die Grössenordnung soll zwischen 15 und 18 Millionen Franken gelegen haben. Den Lüdins war der Handel nicht nur wegen des hohen Preises recht; sie hofften dem Schicksal zu entgehen, in der grossen «Basler Zeitung» aufgelöst zu werden wie der Zucker im Tee.
Nationalsozialismus: Politische Linie korrigiert
Es hat in den letzten Jahren mehrere Dutzend Monografien über gewesene und noch bestehende Zeitungen gegeben. Aber was Roger Blum als Geschichte der «Basellandschaftlichen Zeitung» vorlegt, ragt aus der Masse hervor. Der Autor ist wie geschaffen für das Thema: aufgewachsen im Baselland, Historiker, langjähriger Redaktor in Luzern und Zürich, von 1989 bis 2010 Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Bern. Blum zeigt, wie die kleine Zeitung aus Liestal wesentliche Themen behandelt hat, etwa die Aushandlung der direkten Demokratie oder den Aufstieg der Nazis.
Die Zeitung im Grenzgebiet hatte anfänglich, wie viele andere, Sympathien zum «Dritten Reich». Dies, weil sie den Linken entgegentrat, die man noch vom Landesstreik 1918 her fürchtete. Am Anfang veröffentlichte die Redaktion viele Respektbezeugungen für die Erfolge der Nazis. Starken Widerstand leistete der Meinungsführer in der Redaktion, Ernst Boerlin, der 1943 Nationalrat wurde und die Judenverfolgungen scharf kritisierte. So verfolgte die Zeitung nach anfänglicher Verirrung eine differenziertantifaschistische Linie.
Später kamen der Kalte Krieg, die deutsche Wiedervereinigungsfrage und die Ökologie. Roger Blum zeigt auch, wie viel Wissens- und Meinungsvielfalt durch das Verschwinden der kleinen, als provinziell belächelten Blätter im Laufe der «Konsolidierung» in den letzten zwanzig Jahren verlorengegangen ist.
Roger Blum: Das Blatt der Patrioten. Geschichte der «Basellandschaftlichen Zeitung», Verlag Baselland