Die Kettensäge im Gemüsegarten
Kürzlich ist eine ältere Frau an meinem Garten vorbeigegangen. Sie heisse Frau Meier und pflege auch einen Gemüsegarten und sie staune, dass Politiker neu mit Motorsägen auftreten würden. Bis jetzt sei es ...
Die Kettensäge im Gemüsegarten
Kürzlich ist eine ältere Frau an meinem Garten vorbeigegangen. Sie heisse Frau Meier und pflege auch einen Gemüsegarten und sie staune, dass Politiker neu mit Motorsägen auftreten würden. Bis jetzt sei es ihr nämlich gar nicht bewusst gewesen, dass Politik etwas mit Gartenarbeit zu tun habe. Und nun habe sie darüber nachgedacht und sei zum Schluss gekommen, dass sie die neuen politischen Vorgehensweisen auch bei sich im Garten ausprobieren wolle. Sie schaue dieses Jahr mal, wie sich das anfühlt, wenn die Stärkeren wieder die Stärkeren sein dürften und keine Rücksicht auf die anderen nehmen müssten. Dann beugt sie sich etwas zu mir vor, schaut verstohlen nach links und rechts und flüstert, dass sie sich heute im Baumarkt noch eine Kettensäge kaufen wolle. Sie wolle doch ihren Garten auch wieder grossartig machen.
Das ist für mich eine komplett neue Denkweise. Bis jetzt habe ich meinen Garten sorgfältig gepflegt, mich bemüht mit ordnender Hand einzugreifen, wenn eine Pflanze sich zu stark ausbreitete und einer stillen, etwas verborgenen Schönheit den Platz streitig machte. Aber vielleicht würde es sich wirklich lohnen, Drohungen auszusprechen, rüde Methoden anzuwenden, auf Unvorhersehbarkeit zu setzen, um meine Pflanzen zu Höchstleistungen anzuspornen? Ich könnte meine neu gesetzten Gemüsepflänzchen zum Beispiel immer wieder umpflanzen, sie sollen nie sicher sein, was als nächstes kommt. Ich könnte meinen Gurkenpflanzen bei Trockenheit mit weiterem Wasserentzug drohen. Ich begegne den kleinen, schwächlichen Tomatenpflanzen nach einer kühlen Regenperiode mit Häme und überschütte sie gleich noch mit mehr kaltem Wasser aus meiner Spritzkanne. Ganz nach Frau Meiers Spruch: Mach den Garten wieder grossartig! Und auch ich würde mich wohl durch die viele Macht, die ich gegenüber Schwächeren ausübe, plötzlich grossartig fühlen.
In meine Grossartigkeit mischen sich plötzlich leise Zweifel. Das scheint Frau Meier zu sehen. «Doch, doch,» versucht sie mich zu überzeugen, «geben Sie mir Ihre Handynummer, ich werde Sie über meine Motorsäge-Erfahrungen in einem Chat auf dem Laufenden halten.»
Am Abend bekomme ich dann schon eine Nachricht von Frau Meier. Sie habe anstelle der Motorsäge einen gemütlichen Gartenstuhl gekauft. Sie wolle diese ganze neue Politik zuerst doch noch etwas beobachten, es eile ja nicht mit der Umsetzung in ihrem Garten. Und obwohl Frau Meier laut ihren eigenen Aussagen nie ein hohes Regierungsamt bekleidet hatte, hat sie es geschafft, in unseren Chat nicht noch Fremde einzuladen. Ist das nicht grossartig?
www.landfrauen-laufenburg.chwww.landfrauen-rheinfelden.ch