Die Ersatzwindel im Kindsgi-Täschli?
13.02.2024 FricktalSchulen sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert
Windeln tragende Mädchen und Buben in Kindergärten und teils sogar in Primarschulen sind keine Seltenheit mehr. Auch im Fricktal. Die Gründe sind vielfältig, die Erwartungen der Eltern an die Schulen ...
Schulen sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert
Windeln tragende Mädchen und Buben in Kindergärten und teils sogar in Primarschulen sind keine Seltenheit mehr. Auch im Fricktal. Die Gründe sind vielfältig, die Erwartungen der Eltern an die Schulen teilweise gross.
Susanne Hörth
«Wir kennen die Thematik im Bereich Kindergarten und akzeptieren dies nur im Einzelfall und mit der nötigen Unterstützung der betreffenden Eltern in Sinne eines temporären Sondersettings», sagt Philipp Grolimund. Er ist Schulleiter in Laufenburg und zugleich auch Präsident der Aargauer Schulleiterinnen und Schulleiter.
Grolimunds Aussage kann die Mutter von Tim (Name von der Redaktion geändert) bestätigen. Die Fricktaler Familie möchte anonym bleiben. «Nicht wegen uns Eltern, sondern wegen Tim. Ich habe Angst, dass er sonst von den anderen Kindern gehänselt wird», sagt die Mutter. Tim ist sechs, wird bald sieben und besucht aktuell den grossen «Kindsgi». Und er trägt noch Windeln. Müssen diese gewechselt werden, so bekommt die Mutter von der Kindergartenlehrerin eine Nachricht aufs Smartphone. «Zum Glück wohnen wir nahe der Schule. Ich gehe dann kurz hin und wechsle die Windeln.» Für sie selbstverständlich, dass das nicht Aufgabe des Kindergarten- und Schulteams ist. Froh ist sie zudem, als nicht berufstätige Mutter spontan reagieren zu können. Sie weiss von anderen Eltern nicht «trockener» Kindergarten- und Schulkindern, dass diese froh wären, wenn jemand da wäre, um den Kindern bei Bedarf saubere Windeln anzuziehen.
Im Sommer kommt Tim in die erste Klasse. Darauf freut sich der Bub, der bereits gut lesen kann und auch die Zahlen bis 100 kennt, sehr. Ob er dann noch Windeln tragen wird, kann seine Mutter nicht sagen. Der grosse Bruder sei mit knapp drei Jahren «trocken» gewesen. Bei Tim haben Abklärungen erst spät gezeigt, dass er unter einer Autismus-Spektrum-Störung leidet. Nicht immer sind es aber gesundheitliche Probleme, die dafür verantwortlich sein können, dass ein Kind noch Windeln braucht.
Selbstständigkeit einüben
In den Kindergärten sei das Windel-Thema eine wachsende Problematik, so Schulleiter Philipp Grolimund. «Sie geht einher mit der zunehmenden Unselbstständigkeit der neueintretenden Kindergartenkinder. Eltern neigen vermehrt dazu, den Kindern Aufgaben abzunehmen, statt sie in der Bewältigung zu unterstützen und Selbstständigkeit auch einzufordern und einzuüben.» Diese Problematik stellt auch Benie Ankli, Schulgemeinderätin in Stein fest. Im Austausch mit Schulverantwortlichen anderer Gemeinden sei darüber schon mehrfach diskutiert worden. «Es beschäftigt sehr.» Die Steiner Frau Vizeammann sieht unter anderem die hohe Erwartungshaltung der Eltern an die Schule als steigende Herausforderung an. Philipp Grolimund sieht das ähnlich: «Den Eltern muss klar sein, was in ihrer Verantwortung und in ihrem Aufgabenbereich liegt und was im Aufgabenbereich der Schule.» Er betont deshalb auch: «Die Körperpflege von Schülerinnen und Schülern, der Gang zur Toilette gehört nicht in den Berufsauftrag von Lehrpersonen. Windeln wechseln auch nicht.»
Er verweist diesbezüglich auf die Broschüre des LehrerInnenverbands Aargau «Ist mein Kind bereit für den Kindergarten?». In dieser steht: «Das Kind merkt, wann es zur Toilette gehen muss, und kann mit kleinen Hilfen selbstständig aufs WC gehen. Windeln braucht es nicht mehr.» Frühzeitig – rund ein halbes Jahr vor Kindergarteneintritt – werden die Eltern laut Grolimund an einem Anlass umfassend über den Kindergartenbetrieb und die gestellten Anforderungen an die Mädchen und Buben informiert. Ebenso würden die Vorbereitungsmöglichkeiten erklärt. Schliesslich sollten die Mädchen und Buben in ihren Rucksäcklis ein gesundes Znüni, aber keine Ersatzwindel in den Kindsgi mitbringen.