Joshua Freiermuth denkt gerne
09.04.2025 Persönlich, Gipf-Oberfrick«Wenn man sich für Geschichte und Politik interessiert und anfängt, Zusammenhänge zu hinterfragen, landet man irgendwann unweigerlich bei der Philosophie», sagt der Maturand aus Gipf-Oberfrick. Anfang März hat er die Philosophie-Olympiade in Basel gewonnen.
...«Wenn man sich für Geschichte und Politik interessiert und anfängt, Zusammenhänge zu hinterfragen, landet man irgendwann unweigerlich bei der Philosophie», sagt der Maturand aus Gipf-Oberfrick. Anfang März hat er die Philosophie-Olympiade in Basel gewonnen.
Karin Pfister
Über 1000 Mittelschülerinnen und Mittelschüler aus der gesamten Schweiz hatten im Vorfeld ihre Texte für die Philosophie-Olympiade eingereicht. 160 davon wurden ausgewählt vor Ort ein Essay zu schreiben, rund 50 davon kamen in die zweite Runde, 15 ins Finale; gewonnen hat dort Joshua Freiermuth aus Gipf-Oberfrick. «Das ist schon cool», sagt er. Er habe während des Wettbewerbes nicht einschätzen können, wo er leistungsmässig stehe. Die Auszeichnung sei für ihn darum auch eine Bestätigung. «Ich kann das und ich bin am richtigen Ort.» Joshua Freiermuth besucht das Gymnasium in Basel, seine Schwerpunktfächer sind Biologie und Chemie; als Ergänzungsfach hat er Philosophie gewählt.
Komplexe Zusammenhänge hinter struktureller Unterdrückung
Für das Essay hatte er vier Stunden Zeit. Er konnte aus vier verschiedenen Zitaten auswählen und dazu einen Text, ohne Hilfe des Internets, schreiben. Joshua Freiermuth entschied sich für das Zitat von Franz Fanon: «(…) wenn mir ein antillanischer Philosophie-Lizentiat erklärt, er könne wegen seiner Hautfarbe kein Staatsexamen ablegen, dann sage ich, dass die Philosophie noch nie jemanden gerettet hat. Und wenn ein anderer mir unbedingt beweisen will, dass die Schwarzen genauso intelligent seien wie die Weissen, dann sage ich: auch die Intelligenz hat noch nie jemanden gerettet; und das stimmt, denn wiewohl man im Namen der Intelligenz und der Philosophie die Gleichheit der Menschen verkündet, beschliesst man in ihrem Namen auch deren Ausrottung.»
Joshua Freiermuth schreibt dazu unter anderen: «Nun aber zurück zu Fanon, der schreibt, die Philosophie sei nicht die Rettung: Es gibt Menschengruppen, die 1950, aber auch heute noch strukturell diskriminiert werden. Wenn wir ein Problem damit haben, liegt es nahe, nach Argumenten oder ganzen (ethischen) Theorien zu suchen, die dies als unethisch entlarven und das Ende solcher Diskriminierung und Unterdrückung fordern. Besonders gut würde sich eine Ethik eignen, von der zumindest ein grosser Teil der Unterdrückenden überzeugt ist oder sich überzeugen lässt. Dabei könnte man zum Beispiel an den Kantianismus und Immanuel Kants Begriff der «Menschenwürde» denken. Diese ist unveräusserlich, unaufwiegbar und nur durch das Menschsein bedingt. Aus dieser Menschenwürde werden dann sämtliche Menschenrechte abgleitet, auch das Recht auf ein Leben frei von Unterdrückung und Diskriminierung. Schaut man sich aber genauer an, woraus Kant diese Würde ableitet, steht man schnell vor Problemen. Kant nämlich leitete die Würde vom Verstand ab. Diesen Verstand hat Kant dann aber beispielsweise Frauen und Schwarzen Menschen abgesprochen.» Joshua Freiermuth zog in seinem Essay folgendes Fazit: «So lässt sich abschliessend festhalten, dass gerade ein Philosoph wie Kant, der mit seinem Würdebegriff eine starke ethische Grundlage für den Kampf gegen Diskriminierung hätte liefern können, ebendies nicht tat. Stattdessen lieferte er die philosophische Legitimierung für das Fortbestehen der Unterdrückung. Es muss also nicht diskutiert werden, ob Philosophie und Intelligenz retten können, sondern welche Philosophie und wie Intelligenz verstanden und eingesetzt wird und zu welchem Ziel. Philosophie und Intelligenz müssen in diesem Zusammenhang als Mittel verstanden werden, die ethisch positiv, neutral oder negativ eingesetzt werden können.» (Der gesamte Text ist abrufbar bei www.philosophie.ch)
Viele spannende Diskussionen
«Es ging nicht darum, einfach Wissen aufzuzählen, sondern zu zeigen, dass ich das Zitat und die Gedanken dahinter verstanden hatte und in der Lage bin, selber Erkenntnisse zu entwickeln und diese kohärent wiederzugeben.» Die Philosophie-Olympiade könne man sich wie ein dreitägiges Lager vorstellen. «Es war sehr interessant, so viel Zeit mit Menschen zu verbringen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Daraus ergaben sich viele spannende Diskussionen.» Die zwei Bestklassierten der Philosophie-Olympiade dürfen in Italien an den internationalen Meisterschaften teilnehmen, dort werden die Texte in Englisch oder Spanisch abgefasst. Allerdings gilt als Altersbegrenzung der 20. Geburtstag. «Da ich diesen schon hinter mir habe, darf ich dort nicht mitwirken.»
Joshua Freiermuth ist im oberen Fricktal aufgewachsen. «Als ich acht Jahre alt war, hat mir meine Mutter vom Holocaust erzählt. Damals wurde mein Interesse für Geschichte geweckt. Wie entstehen solche Ideologien, Diskriminierung und Gewalt und vor allem, was kann man dagegen tun? Diese Zusammenhänge interessieren mich.» Wichtig sei ihm persönlich aber der Fokus auf das Positive. «Ich möchte mich nicht die ganze Zeit mit Katastrophen beschäftigen oder alle Zeitungsartikel über Trump lesen; das würde mich deprimieren; sondern Visionen entwickeln, wie die Welt gerechter und besser werden könnte.»
Diesen Sommer wird der junge Mann die Matura absolvieren, danach möchte Joshua Freiermuth Geschichte und Philosophie studieren. Einen konkreten Berufswunsch hat er noch nicht. «Langfristig würde mich eine Doktorarbeit sicher interessieren. Die Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum sehr vertieft mit dem selben Thema zu beschäftigen, fasziniert mich.»
Auf seine Hobbys angesprochen, sagt Joshua Freiermuth schmunzelnd: «Ich lese gerne. Sachbücher, zum Beispiel über Philosophie und Soziologie, aber auch Romane.» Ein wichtiger Ausgleich sei für ihn die Feuerwehr Frick, wo er seit einem Jahr Mitglied ist. «Dort kann ich nochmal ganz andere Dinge lernen, die in der Schule oder der Uni nicht vorkommen und es gibt mir die Möglichkeit, etwas Konkretes für die Gesellschaft zu tun.»