Plötzlich ein Pfeifen im Ohr: Seit über vier Jahrzehnten lebt Rainer H. Porschien mit Tinnitus. Als Präsident der Schweizerischen Tinnitus-Liga will der 67-Jährige aus Rheinfelden den Betroffenen die Angst nehmen, über das Symptom zu reden.
Valentin Zumsteg
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Plötzlich ein Pfeifen im Ohr: Seit über vier Jahrzehnten lebt Rainer H. Porschien mit Tinnitus. Als Präsident der Schweizerischen Tinnitus-Liga will der 67-Jährige aus Rheinfelden den Betroffenen die Angst nehmen, über das Symptom zu reden.
Valentin Zumsteg
«Der Tinnitus war plötzlich da; von einem Moment auf den anderen hatte ich ein lästiges Pfeifen im Ohr», erinnert sich Rainer H. Porschien. Er war damals 25 Jahre alt, arbeitete in einem anstrengenden Pflegejob und studierte daneben. «Die psychische Belastung war sicher gross», erzählt der gebürtige Lübecker. Zwei Mal erlitt der junge Vater einen Hörsturz. Er schliesst heute nicht aus, dass es einen Zusammenhang mit einem Vorkommnis beim Militär gab, das einige Zeit zurücklag: «Als ich als Zeitsoldat in einer grossen Fahrzeughalle stand, hatte ein Panzer eine Fehlzündung beim Starten. Es gab einen lauten Knall. Am nächsten Tag hörte ich nicht gut, doch das ging wieder weg.»
Vom hohen Pfeifen zum tiefen Rauschen
Der Tinnitus, der sich später bemerkbar machte, hingegen blieb; das laute Pfeifen gehörte von da an zu seinem Alltag. Porschien fühlte sich dadurch angespannter, nervöser und ungeduldiger. «Mein Umfeld litt darunter.» Besser wurde es erst, als er eine belastende Arbeitssituation kündigte und mit seiner Familie von Norddeutschland in die Schweiz zog, wo er in Basel eine Stelle antrat und in Rheinfelden eine Wohnung bezog. «Das hohe Pfeifen verschwand, es blieb ein tiefes Rauschen. Damit konnte ich leben», erzählt Porschien. Er engagierte sich in seiner Freizeit in der Rheinfelder Feuerwehr, war einige Jahre Kommandant. «Wenn die berufliche Belastung zunahm, dann machte sich der Tinnitus stärker bemerkbar. Doch in den Ferien wurde es besser.»
Als Corona kam, verschlimmerte sich die Situation drastisch. Rainer Porschien arbeitete mittlerweile bei der medizinischen Notrufzentrale Basel. Pro Tag bewältigte er normalerweise zwischen 60 und 80 Anrufe. «In der Pandemiezeit stieg die Zahl auf 120. Viele Leute, die anriefen, reagierten aggressiv und gereizt. Das war sehr anstrengend.» Als er im Frühling 2021 selbst schwer an Covid erkrankte, musste er zehn Tage ins Spital. Er erholte sich danach langsam wieder, doch der Tinnitus war mit Wucht zurück. Rainer Porschien liess sich deswegen in eine spezialisierte Klinik im Bündnerland einweisen. Die psychologischen Einzelgespräche, Musiktherapien und Massagen halfen ihm. «Es wurde eine depressive Störung festgestellt, was nicht untypisch ist für Tinnitus-Betroffene», so Porschien. Heute fühlt sich der 67-jährige sechsfache Grossvater deutlich besser. «Der Tinnitus ist nicht weg, aber in den Hintergrund gerückt. Ich sehe ihn als Warnzeichen für mich, wenn die Belastung zu hoch wird. Dann muss ich einen Gang zurückschalten.»
Singen hilft ihm
Seit 2022 arbeitet Rainer Porschien bei der Schweizerischen Tinnitus-Liga mit, seit 2023 ist er deren Präsident. Er hält in dieser Funktion Vorträge und bietet Kurzberatungen für Betroffene an. Daneben leitet er je eine Selbsthilfegruppe in Basel und Rheinfelden. «Studien zeigen, dass bei jedem Tinnitus eine Schwerhörigkeit vorausgeht. Folgen sind häufig der soziale Rückzug, die Vereinsamung und ein erhöhtes Demenzrisiko», schildert Porschien. Sein Hörvermögen auf dem rechten Ohr liegt noch bei 5 Prozent. Ihm ist es ein Anliegen, dass das Thema Tinnitus ernst genommen wird. «Die Betroffenen sollen keine Angst haben, darüber zu sprechen und möglichst schnell einen HNO-Arzt aufsuchen.»
Porschien hat gelernt, dem Tinnitus nicht zu viel Platz einzuräumen. Er singt sehr gerne und ist Mitglied im Shanty-Chor Störtebekers in Basel und dem Chortett in Rheinfelden: «Wenn ich singe, nehme ich den Tinnitus nicht mehr wahr.»
www.tinnitus-liga.ch