Der kleine Junge von nebenan
13.07.2025 PersönlichVielleicht erinnern sich seine damaligen Jugendtrainer in diesen Tagen noch einmal ganz besonders daran, wie er im viel zu grossen Trikot des FC Möhlin Tore am Laufmeter schoss. Jetzt hat Ivan Rakitic seine Weltkarriere beendet.
Ronny Wittenwiler
Er ist derzeit in aller ...
Vielleicht erinnern sich seine damaligen Jugendtrainer in diesen Tagen noch einmal ganz besonders daran, wie er im viel zu grossen Trikot des FC Möhlin Tore am Laufmeter schoss. Jetzt hat Ivan Rakitic seine Weltkarriere beendet.
Ronny Wittenwiler
Er ist derzeit in aller Munde. Ivan Rakitic, 37, liess diese Woche die Fussballwelt wissen, dass er Schluss macht. Er tat es mit einem emotionalen Social-Media-Post. Das Video zeigt Stationen einer Wahnsinnskarriere, selbstverständlich ist da sein Tor mit Barcelona im Champions League-Final gegen Juventus Turin, natürlich ist da der WM-Final mit dem kroatischen Nationalteam gegen Frankreich oder der zweimalige Gewinn der Europa League mit Sevilla, keine Frage – doch als Ouvertüre zeigt das Video mit über 400 000 Likes den kleinen Ivan Rakitic am Ort, wo alles begann. Von dort, auf einem kleinen Kinderfussballfeld, stürmte er einst los zu den Sternen.
Möhlin mittendrin
Geboren am 10. März 1988, wächst Ivan Rakitic in der «Fröschmatt» auf, einer Überbauung mit Menschen unterschiedlicher Kulturen, nur einen Steilpass vom Steinli entfernt, wo im Clubhaus beim FC Möhlin heute noch einige seiner Jugendtrainer ein und aus gehen.
Das Abschiedsvideo, das dieser Tage um die Welt geht, knüpft an eine Tradition an: Ganz egal, wo er war, Rakitic sprach immer wieder von seinem Möhlin. Vom Steinli, wo er die Primarschule besuchte. Noch lieber aber kickte. Und weil er mit dem Ball am Fuss umzugehen weiss wie kein anderer in seinem Alter, wie kaum eines der älteren Kinder im Team, wechselt er bereits mit acht Jahren zu den Junioren beim FC Basel, und ja: alles schon gehört, alles schon gelesen – und immer wieder darüber gestaunt. Die Fussball-Karriere des kleinen Jungen gleich nebenan vom Steinli gehört mit Abstand zu den grössten, die je einer aus der Schweiz hingelegt hat. «Es gibt keinen Platz dafür, sich das zu erträumen», soll er einmal gesagt haben.
Er lächelte: «Das wäre traumhaft»
Es war fast auf den Tag genau vor zwanzig Jahren. Gerade einmal siebzehn, unterschreibt Rakitic beim FC Basel seinen ersten Profivertrag. Diese Zeitung besucht ihn darauf im St. Jakob Park, im Anschluss an ein Training. Am Tisch sitzt ein freundlicher Jugendlicher, fast bemerkenswert defensiv wählt er seine Worte. «Rossi ist ein gestandener Mann, dagegen bin ich noch ein Bub», sagt er beispielsweise. Doch nicht nur Julio Hernán Rossi entzückt vor zwanzig Jahren die Basler – es sind Namen wie Pascal Zuberbühler, Scott Chipperfield, Christian Giménez oder Mladen Petric, die zu jener Zeit tonangebend sind. Rakitic hofft dagegen vorsichtig, einfach mal den Sprung in die Stammelf zu schaffen. Und dann ist da noch diese kleine, ja fast schon naive Spielerei, als er kurz mal eine Schlagzeile vorgeschlagen bekommt: «Rakitic entscheidet Champions League-Final!» Mit einem fast schon schüchternen Lächeln im Gesicht meinte er dann bloss: «Das wäre traumhaft.»
Zehn Jahre später, am 6. Juni 2015, schiesst derselbe Ivan Rakitic für den FC Barcelona das 1:0 zum späteren 3:1-Sieg gegen Juventus Turin und gewinnt sie: die Champions League! 2018 steht er mit Kroatien im WM-Final und er ist bis heute – gemäss einem Bericht der Aargauer Zeitung – neben Olivier Neuville (Vizeweltmeister 2002 mit Deutschland) der einzige in der Schweiz geborene Fussballer, der überhaupt je in einem WM-Endspiel gestanden war.
Die Fussballschweiz wurde zu klein
Zwei Jahre nach dem ersten Treffen folgt ein zweites. Wieder im St. Jakob Park. Rakitic ist längst Stammspieler beim FC Basel. «Bei einem solchen Verein mit einem so grossen Stadion einen Profivertrag unterschreiben zu dürfen, das ist sicherlich ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist. Ich bin überglücklich.» Noch im selben Sommer, 2007, wechselt er in die Bundesliga zu Schalke 04. Die Fussballschweiz wird für ihn zu klein, mit Grössenwahn hat das nichts zu tun, vielmehr mit seinem Genie, wie man später feststellen wird. Doch vor diesem Abgang in die grosse, weite Fussballwelt, da sass er also für ein letztes Interview mit der NFZ im Joggeli an einem Tisch und sagte: «Damals in der Schule habe ich schon gesagt, dass ich Fussballprofi werden will. Klar, haben manche halt gelacht. Und jetzt ist es doch soweit. Das ist das Grösste für mich.»
Diese Woche gab Ivan Rakitic seinen Rücktritt bekannt. Aus dem kleinen Jungen gleich nebenan vom Steinli wurde ein ganz Grosser.