«Der Beruf der Lehrperson hat sich verändert»
10.09.2023 PersönlichIm Gespräch mit Philipp Grolimund, Schulleiter in Laufenburg
Philipp Grolimund, 62, wohnt in Unterentfelden und ist seit fünf Jahren als Schulleiter für die Kindergärten und Primarschule Laufenburg/Sulz tätig. Ausserdem präsidiert er gemeinsam mit Beat ...
Im Gespräch mit Philipp Grolimund, Schulleiter in Laufenburg
Philipp Grolimund, 62, wohnt in Unterentfelden und ist seit fünf Jahren als Schulleiter für die Kindergärten und Primarschule Laufenburg/Sulz tätig. Ausserdem präsidiert er gemeinsam mit Beat Petermann den Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Aargau. Er ist fest davon überzeugt: «wenn wir den Lernenden die gut funktionierende Gemeinschaft nicht mitgeben können, dann haben wir das Wichtigste verpasst.»
Regula Laux
NFZ: Herr Grolimund, seit mehr als 40 Jahren sind Sie als Lehrer und Schulleiter im Kanton Aargau tätig. Wo orten Sie die grössten Veränderungen? Bei den Lernenden, den Eltern, den Vorgaben durch den Kanton oder ganz woanders?
Philipp Grolimund: Für die Entwicklung der Kinder ist die Volksschule noch wichtiger geworden als damals vor vierzig Jahren, als ich meine Lehrtätigkeit begann. Das Gefühl der Gemeinschaft, der Wert, hat sich verändert. Die wichtigste Aufgabe der Volksschule ist es, den Kindern aufzuzeigen, dass alles zusammenpassen kann. Das bedingt aber, dass man sich darauf einlässt, es ist mit viel Arbeit verbunden. Das klappt nur in einer Volksschule, die alle Kinder integriert.
Die Anspruchshaltung der Eltern hat enorm zugenommen. Für viele Eltern stellt die Schule eine Art Dienstleistung dar, die das bieten muss, was die Eltern wollen und brauchen. Heute müssen wir bei allen Plänen und Veränderungen an die Eltern denken. Früher hat man sie informiert und ihnen erklärt, was ihre Aufgabe ist.
Von Kantonsseite werden die Schulen heute evaluiert, kontrolliert und beurteilt. Obschon sie mit der Ressourcierung (Anmerkung der Redaktion: Pensenplanung aufgrund bestimmter Kriterien wie Grösse, sprachliche und soziale Herausforderungen etc.) grösseren Gestaltungsraum erhielten, haben die Vorgaben, was eine Schule darf und was nicht, sehr zugenommen. Ich denke da z. B. an die Bereiche Datenschutz und Sicherheit.
Als Schulleiter stehe ich immer wieder zwischen dem Anspruch der Eltern, beispielsweise bei Versetzungen oder Klassenzuteilungen und den kantonalen Vorgaben. Der Kanton legt keine Regelungen für einzelne Schulen fest, sondern für alle 200 Schulträger.
Was sind aus Ihrer Sicht heute die grössten Herausforderungen für die Lehrkräfte?
Der Beruf der Lehrpersonen hat sich enorm verändert. Aber das ist wohl allgemein so: Früher wurden der Pfarrer, der Lehrer und der Arzt in einem Dorf kaum hinterfragt, heute ist das Umfeld viel kritischer. Ich muss als Lehrer detailliert planen und belegen. Durch immer mehr Formulare und Vorschriften erhofft man sich eine grössere Kontrolle und Effizienz, gleichzeitig gehen so die Freiräume zurück, was sich negativ auf die Spontaneität und Kreativität auswirkt. Lehrpersonen wehren sich mit Recht gegen das immer straffere Korsett.
Aber auch sonst ist der Lehrerberuf heute ein ganz anderer: Früher waren Lehrpersonen als Einzelkämpfer unterwegs, heute arbeiten sie in Teams mit anderen Fachpersonen. Und die Teilzeitarbeit hat enorm zugenommen. Ohne Teilzeitlehrkräfte könnten wir die heutige Schule nicht mehr führen.
Haben Sie alle offenen Stellen an der Primarschule Burgmatt zum Beginn des Schuljahres besetzen können?
Ja, und ich bin sehr glücklich darüber. Die Besetzung der Stellen ist heute viel anspruchsvoller als früher. Es gibt Lehrpersonen, die sich auf mehrere Stellen bewerben und dann mal schauen. Selbst nach einer Zusage, gibt es Lehrpersonen, die dann nicht kommen. Da haben wir wirklich Glück! Überhaupt ist an unserer Schule die Fluktuation sehr gering, wir haben seit drei Jahren den gleichen Stundenplan. Für Lehrpersonen, Eltern und Schulleitung ist das super, weil vieles im gewohnten Rahmen verläuft.
Sind alle neu eingestellten Lehrkräfte ausgebildet?
Eine junge Kollegin befindet sich noch in der Ausbildung, aber sie ist schon sehr gut unterwegs. Überhaupt finde ich die Diskussion rund um eine adäquate Ausbildung schwierig, gerade bei Lehrkräften. Da kann jemand fachlich noch so gut ausgebildet sein, wenn die soziale Kompetenz nicht stimmt, klappt es auch nicht im Schulzimmer. Persönliche Elemente dürfen in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Und wir stellen fest, dass die Arbeit mit den ganz Kleinen, den Kindergartenkindern, die sich grad erst vom familiären Umfeld lösen, besonders anspruchsvoll ist und eine grosse soziale Kompetenz braucht.
Persönlich betätigen Sie sich ja auch fleissig beim Enkelhüten. Was für eine Schule wünschen Sie sich für Ihre Enkel?
(lacht) Ja, unsere Enkel, dreijährige Zwillinge, fordern uns sehr. Immer freitags. Aber sie entwickeln sich gut, werden immer vernünftiger und können sich jetzt auch schon sprachlich ganz gut ausdrücken. Was ich für die beiden von der Schule erwarte? Das sind zwei Dinge: Die Förderung ihrer persönlichen Entwicklung, aber auch die klare Vermittlung des Eingebettet sein in der Gemeinschaft. Daran arbeiten wir in Kindergarten und Primarschule mit grossem Einsatz. Beste mathematische Leistungen sind mir weniger wichtig, als dass sich unsere Schülerinnen und Schüler in der Gemeinschaft aufgehoben fühlen. Wenn wir ihnen die gut funktionierende Gemeinschaft nicht mitgeben können, dann haben wir das Wichtigste verpasst.
Und, dazu muss die Volksschule immer mehr beitragen. Die Gesellschaft ist sehr individualisierend unterwegs und dabei wird oft zu wenig berücksichtigt, dass der Mensch ein Sozialwesen ist.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach das Schulsystem in den nächsten 10 bis 20 Jahren verändern?
Die Digitalisierung wird zunehmen und es wird immer wichtiger werden, wirklichen Nutzen daraus zu ziehen und gute Lösungen im Umgang mit diesen Entwicklungen zu finden. Da meine ich nicht nur die Künstliche Intelligenz, sondern den Umgang mit Medien ganz allgemein. Beim Thema Fachkräftemangel bin ich überzeugt davon, dass wir das Problem nur mit gezielter Zuwanderung lösen können. Ausserdem glaube ich, dass die Bereiche Schule, Familie und Betreuung immer mehr zusammenwachsen werden. Wir brauchen Frauen im Arbeitsmarkt, also müssen wir die Tagesstrukturen ausbauen. Die Thematik wird sich akzentuieren und es braucht einen pragmatischen Blick zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme.