«Das weltoffene Rheinfelden hat mich geprägt»
17.05.2025 RheinfeldenDie gebürtige Rheinfelderin Manuela Leimgruber ist seit 2023 Schweizer Botschafterin im Vatikan. Die vergangenen Wochen waren für sie eine intensive Zeit. Einmal pro Jahr besucht sie das Fricktal und ihre Verwandten in Möhlin.
Valentin Zumsteg
NFZ: ...
Die gebürtige Rheinfelderin Manuela Leimgruber ist seit 2023 Schweizer Botschafterin im Vatikan. Die vergangenen Wochen waren für sie eine intensive Zeit. Einmal pro Jahr besucht sie das Fricktal und ihre Verwandten in Möhlin.
Valentin Zumsteg
NFZ: Frau Leimgruber, am Ostermontag ist Papst Franziskus verstorben, am Donnerstag vor einer Woche ist ein neuer Papst gewählt worden. Wie haben Sie als Schweizer Botschafterin im Vatikan die vergangenen Tage und Wochen erlebt?
Manuela Leimgruber: Es ist ein grosses Privileg für eine Botschafterin am Heiligen Stuhl, wenn sie ein Konklave miterleben darf. Das ist eine intensive und sehr spannende Zeit. Auf dem ganzen Erdball haben die Menschen mitgefiebert – nicht nur die Katholiken. Der Vatikan stand im Schaufenster der Weltöffentlichkeit. Gleichzeitig ist es für uns eine arbeitsintensive Zeit. Wir durften unter anderem die Teilnahme von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter an der Trauerfeier für Papst Franziskus und an der Amtseinsetzung von Papst Leo XIV. organisieren. Es war aber auch eine emotionale Zeit für mich. Ich habe Papst Franziskus persönlich gekannt und geschätzt. Deswegen war es für mich wichtig, nicht nur zu funktionieren, sondern auch Abschied nehmen zu können.
Wie behalten Sie ihn in Erinnerung?
Ich habe ihn als herzlich und humorvoll kennengelernt. Er war ein sehr engagierter und guter Zuhörer. Was er geleistet hat in seinem Pontifikat, ist bemerkenswert. Es war ihm ein Anliegen, die Kultur zu ändern. Er wollte eine Kirche schaffen, die nahe bei den Leuten ist. Unvergesslich ist sein Einsatz für die Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sein grosses Engagement für den Frieden bleibt mir ebenfalls in Erinnerung. Was er von anderen verlangt hat, das lebte er selbst vor. Das hat mich beeindruckt.
Was erwarten Sie vom neuen Papst?
In seinen ersten Worten als neuer Papst hat er seinen Vorgänger gewürdigt und es spricht vieles dafür, dass er den Weg von Franziskus weitergehen wird. Papst Leo XIV. unterstreicht, dass soziale Gerechtigkeit, Friede, Umweltschutz und Künstliche Intelligenz für ihn zentrale Themen sind.
Im Oktober 2021 beschloss der Bundesrat, eine eigene Schweizer Botschaft in Rom zu eröffnen. Braucht es das überhaupt?
Der Heilige Stuhl ist ein bedeutender globaler Akteur. Es ist wichtig, dass wir hier vor Ort vertreten sind, denn dadurch hat die Schweiz einen direkten Zugang zu den Gesprächspartnern im Vatikan. Wir pflegen vor Ort auch ein grosses Kontaktnetz zu anderen Organisationen und Konfessionsgemeinschaften, die hier ebenfalls vertreten sind.
Welches sind die gemeinsamen Interessen des Vatikans und der Schweiz?
Der Papst hat zwei Hüte auf: jener als Oberhaupt der Kirche und jener als Staatsoberhaupt. Die Schweiz macht keine Kirchenpolitik und interessiert sich vor allem für die aussenpolitische Komponente des Heiligen Stuhls. Das Friedensengagement des Vatikans steht bei uns ganz oben auf der Agenda. Die katholische Kirche ist überall auf der Welt präsent; deswegen ist der Heilige Stuhl für uns in der Friedensförderung ein wichtiger Akteur. Gemeinsam setzen wir uns für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Ein weiteres gemeinsames Interesse ist die Religionsfreiheit. Im vergangenen Jahr haben wir eine internationale Konferenz mit dem Heiligen Stuhl zum Thema Künstliche Intelligenz und deren Einfluss auf das humanitäre Völkerrecht durchgeführt. Für die bilateralen Beziehungen ist für uns auch die Schweizergarde zentral. Sie stellt eine natürliche Brücke zwischen dem Heiligen Stuhl und der Schweiz dar und öffnet uns Türen für die Besuchsdiplomatie. Dank der jährlichen Vereidigung der neuen Gardisten gehört die Schweiz zu den wenigen Staaten, denen jedes Jahr auf höchster Ebene ein Besuch im Vatikan mit offiziellen Gesprächen und Audienz beim Papst gewährt wird.
Wo gibt es Meinungsverschiedenheiten?
In gesellschaftlichen Fragen sind wir nicht überall gleicher Meinung.
Sie sind die erste Botschafterin der Schweiz im Vatikan. Spielt Ihr Geschlecht dabei eine Rolle?
Meine Gesprächspartner in der Kurie sind vor allem Männer. Aber ich hatte noch nie das Gefühl, dass mir das Vor- oder Nachteile gebracht hätte. Ich empfinde den Umgang als sehr respektvoll. Was interessant ist: Ein Drittel der Botschafter im Vatikan sind Frauen. Wir pflegen ein sehr gutes informelles Netzwerk untereinander; davon fühlte ich mich vor allem zu Beginn sehr getragen.
Sie sind in Rheinfelden aufgewachsen. Welche Erinnerungen haben Sie an das Städtchen?
Ich habe allerbeste Erinnerungen an Rheinfelden. Mein Vater besass eine Buchhandlung gegenüber vom Rathaus, ich habe dort mitgeholfen und war viel im Städtchen. Ich bin in Rheinfelden in die Primarund Bezirksschule gegangen und war Mitglied in verschiedenen Vereinen. Im Sommer genoss ich das Strandbad, im Winter die Kunsteisbahn. Ich habe Rheinfelden als sehr weltoffen wahrgenommen. Der Austausch über die Grenze ist intensiv. Der Rhein verbindet, er trennt nicht. Das Weltoffene hat mich geprägt, davon bin ich überzeugt. Als junge Diplomatin habe ich einmal einen Ausflug der Direktion für Völkerrecht des EDA nach Rheinfelden organisiert. Dort war auch der Oberbürgermeister von Badisch Rheinfelden zu Gast. Er sagte etwas, das ich nicht vergessen habe: «Wir sind jetzt mit der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit wieder dort, wo wir vor dem Ersten Weltkrieg waren.» Das Denken in Regionen ist etwas sehr Altes. Durch die beiden Weltkriege wurde der Rhein jedoch vor allem als Grenze wahrgenommen. Es brauchte viele Jahrzehnte, bis das Vertrauen wieder hergestellt war. Wir sollten uns bewusst sein, dass es lange Zeit braucht, bis ein gestörtes Vertrauen wieder aufgebaut ist.
Gibt es etwas von Rheinfelden, das Sie in Rom vermissen?
Ja, die Wellnesswelt «Sole uno». Ich bin mit dem Solebad aufgewachsen, das früher noch Kurzentrum hiess.
Wie häufig besuchen Sie das Fricktal?
Ich komme in der Regel einmal pro Jahr ins Fricktal und besuche Verwandte in Möhlin. Dabei versuche ich immer, dies mit einem Besuch im «Sole uno» zu verbinden.
Ihr Ehemann ist Botschafter für Nigeria, Tschad und Niger. Ihr Sohn studiert in Barcelona. Wie muss man sich Ihr Familienleben vorstellen?
Wir führen ein bisschen ein Nomadenleben. Das ist eine grosse Bereicherung, aber auch eine Herausforderung. Die Wiedersehensfreude ist immer sehr gross. Unser Wunsch ist, dass mein Mann und ich wieder einmal am gleichen Ort oder zumindest in derselben Weltregion tätig sein werden.