«Das Feuer für das Gemeinwesen immer wieder neu entfachen»
30.07.2025 PersönlichGaby Gerber, Bier-Sommelière und Kommunikationsleiterin
Im Interview erklärt Gaby Gerber, wie wichtig aus ihrer Sicht Gastronomiebetriebe, respektive Beizen für die Gesellschaft sind. Zudem geht sie darauf ein, zu was die Schweiz am meisten Sorge tragen muss und dass sie sich zum Nationalfeiertag nicht nur die Hymne wünscht.
Janine Tschopp
NFZ: Gaby Gerber, wann haben Sie das letzte Bier getrunken?
Gaby Gerber: In den Ferien in Spanien zum Nachtessen.
2011 liessen Sie sich als erste Schweizerin zur Bier-Sommelière ausbilden. Welche Eigenschaften zeichnen ein gutes Bier aus?
Ein gutes Bier lebt von der Balance zwischen Süsse und Bittere, Süffigkeit und Tiefe. Es gibt über 100 Bierstile. Entscheidend ist, dass das Bier zur Situation passt. Weizenbier trinke ich zum Beispiel selten, aber zu Spargeln ist es einfach perfekt.
Wie unterscheidet sich das Schweizer Bier von internationalen Bieren?
Die Schweiz ist Lagerbier-Land – milde, dezent gehopfte Biere dominieren. In Norddeutschland mag man es bitterer. Geht man Richtung Süden wird es generell leichter im Glas.
Sie arbeiten seit vielen Jahren bei der Brauerei Feldschlösschen und leiten dort seit 2012 die Unternehmenskommunikation. Wie hat sich der Bierkonsum in den letzten Jahren in unserem Land verändert?
2010 trank man noch 57 Liter pro Kopf, heute sind es 49. Alkoholfreies Bier liegt im Trend: Der Marktanteil stieg seit 2010 von 2,3 Prozent auf über 7 Prozent. Neue Rezepturen haben die Akzeptanz erhöht.
Auffällig ist der Rückgang in der Gastronomie – nur noch 30 Prozent des Bieres werden dort getrunken, 70 Prozent im Detailhandel gekauft. Diese Verlagerung ins Private spiegelt einen gesellschaftlichen Wandel wider, der auch das soziale Zusammenleben zunehmend verändert.
Inwiefern?
Gastronomiebetriebe sind viel mehr als Orte, wo Menschen ihren Durst und Hunger stillen – sie sind Treffpunkte, wo Austausch stattfindet. Wenn sie verschwinden, stirbt nicht nur ein Lokal – es stirbt ein Ort der Nähe, der Toleranz, der Kultur. Damit meine ich nicht nur den Stammtisch. Auch bei einem Abendessen in einem Restaurant kann man das Gefühl geniessen, Teil einer Gemeinschaft zu sein.
Das beste Mittel gegen Polarisierung ist das Gespräch. Und nirgendwo gelingt es so unverkrampft wie in der Beiz. Vielleicht reimt sich «Beiz» nicht ganz zufällig so gut auf «Schweiz» (schmunzelt).
Apropos. In wenigen Tagen feiern wir den Geburtstag der Schweiz. Was bedeutet Ihnen dieser Tag?
Ich finde den 1. August wichtig. Er ist ein Ausdruck der Schweizer Volksseele und bietet die Gelegenheit, zurück und nach vorne zu blicken. Ein Tag, der uns daran erinnert, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger an der gemeinsamen Gestaltung unseres Landes beteiligt sein sollten.
Wenn sich Krisen weltweit häufen und auch hier der Optimismus sinkt, ist es auch ein guter Moment, uns bewusst zu werden, dass der bisherige Erfolg auf Fleiss beruht und darauf, dass jede und jeder nach seinen Möglichkeiten einen Beitrag an die Gemeinschaft leistet. Wir müssen dieses Feuer für das Gemeinwesen immer wieder neu entfachen.
Was zeichnet unser Land aus im Vergleich zu anderen Ländern?
Für mich ist das Milizsystem ein Kernstück der Schweiz. Mitgestalten ist hier keine Folklore, sondern Verantwortung für alle. Der Staat, das sind wir. Diese Freiheit, das Gemeinwesen selbst mitzutragen, ist etwas Besonderes.
Die Schweiz war immer dann stark, wenn wir das Verbindende über das Trennende gestellt haben. Gerade in einer Zeit zunehmender Polarisierung, in der Algorithmen unsere Meinungen verstärken, ist der Austausch mit Andersdenkenden wichtiger denn je.
Unsere Stärke war immer, Gegensätze auszuhalten und am Ende ein Gleichgewicht zu finden. Das gelingt, wenn wir einander zuhören.
Zu was muss die Schweiz aus Ihrer Sicht am meisten Sorge tragen?
Wir waren lange Zeit das Land der Vereine. Wo Menschen zusammenkamen, um etwas gemeinsam zu tun. Sport-, Musikvereine, Pfadfindergruppen. Heute scheint es oft mehr wert, eine Stunde allein am Bergsee zu verbringen und das perfekte Instagram-Foto zu posten, als gemeinsam etwas zu erleben.
Das ist kein rein schweizerisches Phänomen. Aber es steht bei uns in besonders starkem Widerspruch zu den Eigenschaften, die unser Land prägen: das gemeinschaftliche Engagement. Denn die Schweiz ist nicht von oben organisiert, sondern von unten aufgebaut. Durch Menschen, die mitanpacken, mitgestalten und Verantwortung übernehmen.
Wenn dieses Fundament bröckelt, sollten wir hellhörig werden. Heute wird immer seltener gefragt, was wir für die Gemeinschaft tun können – und immer häufiger, was sie für uns tun soll. Ich wünsche mir nicht nur die Hymne zum Fest, sondern Stimmen, die sich einbringen – Tag für Tag.
Wie werden Sie selber den 1. August verbringen?
Ich nehme mit meiner Familie an der 1. August-Feier meiner Wohngemeinde Rheinfelden teil und trinke natürlich ein Bier (lacht).
Gaby Gerber wird an der Bundesfeier in Zeiningen die Festansprache halten. Die Feier findet am Donnerstag, 31. Juli, ab 18 Uhr, beim Blockhaus im Brüel statt.
Erste Bier-Sommelière
Gaby Gerber (53) ist in einer Unternehmerfamilie in Arisdorf aufgewachsen. Ihre Eltern betreiben eine Brennerei und einen Obsthandel in dritter Generation. 2011 absolvierte sie als erste Schweizerin die Ausbildung zur Bier-Sommelière in München.
Seit 2012 leitet sie die Unternehmenskommunikation bei Feldschlösschen Getränke AG und ist Mitglied der Geschäftsleitung.
Gaby Gerber ist Vize-Präsidentin des Schweizer Brauereiverbandes, Dozentin und Prüfungsexpertin für die Ausbildung der Schweizer Bier-Sommeliers.
Mit ihrem Mann und den beiden Kindern lebt sie in Rheinfelden. (jtz)