«… daran scheitern die Amerikaner»

  30.10.2025 Fokus

Grosses Interesse am 3. Fricktaler Werkgespräch bei der Jehle AG

Wie bleibt ein KMU regional verwurzelt und trotzdem international? Welche Auswirkungen haben die US-Zölle? Von welchen Standortfaktoren hängt das Wohl der Tech-Industrie ab? So zahlreich die Fragen am Dienstagabend in Etzgen, so gross die Herausforderungen, mit denen die Exportindustrie konfrontiert ist.

Simone Rufli

Überwältigt vom Interesse sei er, meinte Markus Fäs, Mitglied im Vorstand des organisierenden Planungsverbands Fricktal Regio beim Blick auf die rund 150 Personen aus der Bevölkerung, aus Unternehmen und Politik, die sich für das 3. Fricktaler Werkgespräch beim führenden Schweizer Unternehmen in der Zulieferindustrie mit eigenem Werkzeug- und Formenbau angemeldet hatten. Dann zog er Goethes «Grenzen der Menschheit» heran, um den Spagat aufzuzeigen, den regional verankerte, aber international tätige KMUs bewerkstelligen müssen. «Regional verwurzelt sein, bedeutet immer auch ein Stück weit immobil sein», so Fäs.

Dass Verwurzelung kein Hindernis für Erfolg sein muss, zeigte Adrian Schoop, CEO der Schoop Gruppe, Grossrat, Vorstandsmitglied des Aargauischen Gewerbeverbands und Moderator des Werkgesprächs anhand eindrücklicher Zahlen: Die 40 000 Beschäftigten im Fricktal erzielten eine Wertschöpfung von rund 9 Milliarden Franken, «das entspricht rund 300 000 Franken pro Person und damit einer der höchsten regionalen Wertschöpfungen der Schweiz».

Breit abgestützt
Für einen Exporteuer (50 Prozent der Waren gehen direkt in den Export) seien die Herausforderungen allerdings gross, so Raphael Jehle. Für den Erfolg des Familienunternehmens immer wichtiger sei deshalb Diversifikation. «Sie hilft, einigermassen gut mit den konjunkturellen Schwankungen zurechtzukommen.» Mit dem Effekt, dass der Umsatz am Standort Etzgen in den letzten Jahren gehalten werden konnte. Prozentual etwas zurückgegangen sei der Absatz bei den Automotiven (von 30% auf zirka 27- 28%). Der Marktanteil der Bauindustrie am Umsatz beträgt 10%, Elektrogeräte machen rund 30% aus, Elektronik, Energie und Elektrotechnik 10%, Anlagen- und Maschinenbau 10%. Die restlichen 10% verteilen sich auf die Bereiche Gesundheit- und Medizinaltechnik, Möbelindustrie, Luftfahrt und Bahntechnik. Mit rund 200 Mitarbeitenden stellt das mehrfach zertifizierte Unternehmen (seit neustem auch für Lohngleichheit von Mann und Frau) in fünf Produktionsgebäuden auf 25 000 m2 Produktionsf läche pro Jahr rund 150 Millionen Teile her.

Eher düster
Mit Blick auf die gesamte Branche zeichnete Dr. Jean-Philippe Kohl ein eher düsteres Bild. Die Auftragseingänge seien seit neun Quartalen rückläufig, allein die Exporte in die USA zwischen Juli und September 2025 um 14 Prozent zurückgegangen. Der Vizedirektor und Leiter Wirtschaftspolitik Swissmem (schweizerischer Verband, der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie sowie verwandter Technologiebranchen mit schweizweit 329 000 Beschäftigten und 20 000 Lehrstellen) wies darauf hin, dass die Mitgliederfirmen 80 Prozent des Umsatzes im Export erwirtschafteten. Je unberechenbarer der internationale Handel, umso wichtiger würden die nationalen Standortfaktoren. Dazu zählen: Preisstabilität – erreicht durch Unabhängigkeit der Nationalbank und Schuldenbremse des Bundes; offene Aussenwirtschaftspolitik; sichere Stromversorgung, «die Industrie ist auf Strom angewiesen, darum ist der Atomausstieg, wie ihn Deutschland beschlossen hat, falsch»; Berufsbildungssystem, «daran scheitern die Amerikaner»; enge Zusammenarbeit mit Hochschulen; Kooperation über Firmen hinweg sowie der flexible Arbeitsmarkt, der es erlaubt, auf veränderte Situationen mit Anstellungen oder auch Entlassungen zu reagieren.

Zu den Auswirkungen des US-Zollhammers meinte Kohl: «Rund 6 Prozent der Swissmem-Firmen können sich zurücklehnen, weil es weltweit keine Konkurrenz für ihre Produkte gibt, weitere 18 Prozent spüren nur leichte Auswirkungen. Andere haben ernsthafte Konkurrenten in den USA.» Typisch für die Investitionsgüterindustrie: «Man sieht von aussen nicht, was drinsteckt. Abgewandelt auf die Jehle AG: Wenn Jehle nicht draufsteht, ist Jehle trotzdem drin.» Zum Beispiel bei Nespresso-Maschinen, wo Jehle Exklusiv-Lieferant für Sichtbauteile ist. Desgleichen bei sicherheitsrelevanten Bauteilen für Auto-Lenksysteme von Thyssen Krupp.

Zu viel Bürokratie
Andy Steinacher, Landwirt, Grossrat und Präsident der Kommission Volkswirtschaft und Abgaben, prangerte die zunehmende Bürokratie an. Es sei wichtig, dass KMU-Vertreter in die Politik gingen, so Steinacher. «Ich verstehe aber jeden, der es nicht tut, weil er seinen Betrieb am Laufen halten muss.» Ein zunehmendes Problem: «Viele Leute haben sich von der Industrie entfernt, immer mehr sind in der Verwaltung beschäftigt. Dort besetzen sie mit Steuergeld finanzierte Stellen.» «Die Steuern, um diese Stellen zu bezahlen, müssen aber zuerst durch Arbeit hereingeholt werden», so Raphael Jehle. «Es ist schön, wenn man, wie wir seit 1947, Arbeitsplätze schaffen kann.» Was die Jehle AG für die eigene Zukunft tun könne, sei Lernende auszubilden. Aktuell elf in den Berufen Polymechanik und Konstruktion. Ab 2027 sollen auch wieder KV-Lernende ausgebildet werden. Das Prinzip selbst ausbilden und möglichst viele Lernende im Betrieb behalten, war Firmengründer Josef Jehle 1947 wichtig, es galt in zweiter Generation unter Ulrich Jehle und wird seit 2012 von Raphael Jehle hochgehalten. Genauso wichtig seien permanente Investitionen und Innovationen. Wobei Innovation primär vom Kunden ausgehe, so Martin Hummel, Leiter Verkauf und Marketing der Jehle AG. Die Kundschaft profitiere dann aber von der Entwicklung über die Fertigung bis zur Logistik von einem durchgängigen Wertschöpfungsprozess. «Wir sind Dienstleister und Technologiepartner.» Das Ziel für 2026: die vollständige Integration der im Frühjahr übernommenen Springfix AG, deren rund 30 Mitarbeitende derzeit noch am Standort in Wohlen tätig sind.


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