«Chli sälbele, dann ins Bett»
03.07.2023 MöhlinKnapp zehn Jahre war er Leiter Kultur und Standortmarketing der Gemeinde Möhlin. Nun geht André Beyeler, gute Seele hinter den Kulissen, in Pension.
Ronny Wittenwiler
NFZ: André Beyeler, wie viele Tage müssen Sie noch arbeiten?
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Knapp zehn Jahre war er Leiter Kultur und Standortmarketing der Gemeinde Möhlin. Nun geht André Beyeler, gute Seele hinter den Kulissen, in Pension.
Ronny Wittenwiler
NFZ: André Beyeler, wie viele Tage müssen Sie noch arbeiten?
André Beyeler: Noch 33 Tage.
Sie haben eine Art Countdown eingerichtet. Können Sie es kaum erwarten, das Gemeindehaus hinter sich zu lassen?
(Lacht) Im Gegenteil. Es ist ein eigenartiges Gefühl, dass ich dann plötzlich pensioniert bin. So weiss ich, wann dieser Moment wirklich da ist.
Was war das Schönste in zehn Jahren als Leiter Kultur und Standortmarketing?
Das Gemeindeduell, an dem wir fünfmal teilgenommen und einmal sogar schweizweit am meisten Bewegungsminuten gesammelt hatten, war ein Highlight. Auch die 1225-Jahr-Feier der Gemeinde war eine Riesensache. Generell am schönsten war die Zusammenarbeit mit den Vereinen. Nie hat mich ein Verein im Stich gelassen, im Gegenteil. Ging beim Organisieren mal etwas vergessen, hat man sich ausgeholfen. Hätte ich mit den Vereinen kein gutes Einvernehmen gehabt, hätten die mich ja auch mal auflaufen lassen können und ich hätte eine schlechte Falle gemacht.
Was ist das Geheimnis eines guten Einvernehmens?
Es braucht einen respektvollen Umgang. Übertrieben gesagt: Man muss einander mögen. Stimmt die Chemie nicht, besteht die Gefahr, dass ein Event, den man gemeinsam organisiert, nicht optimal läuft, weil es an Unterstützung fehlt. Der ehemalige FC Möhlin-Präsident Thomas Metzger war oft meine Lebensversicherung für die Bundesfeier. Er hat stets mitgedacht. Viele Vereine waren eine Versicherung für das Gelingen eines Anlasses.
Aber Vereine haben es zunehmend schwerer mit dem Individualismus, nicht?
Corona hat einiges verändert, das ist so. Doch ich staune immer wieder, wie es nach Rücktritten aus Vorstandsgremien eben doch weiter geht; wie plötzlich neue Leute übernehmen und man merkt: da ist Potenzial.
Das Ende der Vereinskultur zu prophezeien ist Schwarzmalerei?
Ich denke schon. Es gibt immer wieder gute, junge Leute. Die Kunst ist es, diese für mögliche Ämter auch an Bord zu holen und nicht immer im selben Gärtchen nach Leuten zu suchen.
Dafür braucht es aber eine Offenheit.
Eine Offenheit einerseits; und Leute im Vorstand, die halt auch mal sagen: Ich lass los, ich will das Zepter an die Jungen übergeben.
Durch Ihre Arbeit waren Sie nah bei Entscheidungsträgern in der Gemeinde: Haben Sie den Eindruck, dass der Ton rauer geworden ist?
Der Ton der Bevölkerung ist rauer geworden. Eine gewisse Aggressivität ist gegenüber Gemeinderäten und Gemeindeammann vorhanden, das habe ich schon so mitgekriegt.
Täte uns mehr Gelassenheit gut?
Ja. Ich stelle zudem ein Gartenzaundenken fest. An Gemeindeversammlungen sieht man gewisse Leute nur, wenn für sie gerade ein einziges Thema von Interesse ist. Sie treten als Gruppierung auf, bis sie ihr Anliegen durchgebracht haben. Dann ziehen sie sich wieder zurück und nehmen am politischen und gesellschaftlichen Leben kaum mehr teil.
Apropos Gelassenheit: Worauf freuen Sie sich nach Ihrer Zeit als Leiter Kultur und Standortmarketing?
Ich war immer ein Vereinsmensch. Ich werde mich bei den Naturfreunden im Vorstand engagieren; Jassen, Kollegschaften pf legen – darauf freue ich mich.
Man hört, Sie packen Ihre sieben Sachen und laufen davon?
Nächstes Jahr möchte ich den portugiesischen Jakobsweg gehen. Vor zwei Monaten habe ich einen Testlauf gemacht und bin einen Teil des deutschen Jakobswegs gegangen.
Wie war’s?
Unheimlich schön! Ich war eine Woche unterwegs, wanderte durch die Wälder, ganz allein. Fünf Tage habe ich keinen Menschen getroffen auf dieser Tour.
War Ihnen zu viel Geschwätz im Gemeindehaus?
Nein, nein. Ich wandere einfach sehr gerne. Der Jakobsweg war immer ein Thema. Dann sah ich diese Tour im Schwarzwald und dachte mir: Das teste ich jetzt aus.
Sie haben mit Blumen gesprochen?
Mit Bäumen, eher mit Bäumen (lacht).
Es war aber wirklich auch ein Krafttanken.
Du gehst stundenlang, hast Anstrengung und doch ist es Erholung, selbst bei schlechtem Wetter. Am Abend kommst du in eine Unterkunft, bist kaputt, aber zufrieden, nimmst ein Nachtessen ein, chli sälbele, ins Bett. Am andern Morgen gehst du früh wieder los. Ja: Das war ein Krafttanken.
Ihre Frau gab keine Vermisstenanzeige auf?
Sie und die Kinder gaben mir einen Tracker mit in den Rucksack, mit dem sie mich jederzeit orten konnten. Sie hatten sich schon Sorgen gemacht, ich könnte mich verlaufen (lacht). So konnten sie immer schauen, wo ich ungefähr bin.
Und jetzt machen Sie sich auf in einen neuen Lebensabschnitt. Wenn Sie zurückblicken: Gibt es etwas, was Sie bereuen oder bis heute als unerfüllten Traum ansehen?
Ich glaube, wenn man auf ein Ziel hinarbeitet, geht es irgendwann in Erfüllung. Plötzlich ist die Zeit reif. Man muss aber immer auch die eigenen Möglichkeiten bedenken und die Ziele entsprechend realistisch setzen, statt dem nicht Machbaren nachzurennen. In diesem Sinn: Ich bereue nichts.
Am 1. August sieht man Sie ein letztes Mal im Einsatz für die Gemeinde?
Ich werde meine Nachfolgerin (Patrizia Tufilli Chautems; die Redaktion) begleiten. Die Bundesfeier auf der Allmend ist meine letzte Amtshandlung als Leiter Kultur und Standortmarketing.
Ein Feuerwerk ist vorgesehen.
Das ist richtig.
Beyeler geht quasi mit einem richtigen Knall in Pension?
Also das dürfen Sie so nicht schreiben, sonst heisst es noch, ich bin schuld am Feuerwerk (lacht).