Bözberglinie: Weichenstellung vor 150 Jahren
03.08.2025 FokusFricktaler Gemeinden halfen bei der Finanzierung mit
Mit der Idee einer Alpentransversale durch den Gotthard kam in den Jahren nach 1860 als möglicher Zubringer für den Güterverkehr ab Basel die Bözberglinie ins Spiel. Sie wurde als kürzeste und zugleich ...
Fricktaler Gemeinden halfen bei der Finanzierung mit
Mit der Idee einer Alpentransversale durch den Gotthard kam in den Jahren nach 1860 als möglicher Zubringer für den Güterverkehr ab Basel die Bözberglinie ins Spiel. Sie wurde als kürzeste und zugleich kostengünstigste Zufahrtsstrecke von Basel zum Gotthard erkannt.
Rudolf Hofer
Vor genau 150 Jahren, am 2. August 1875, konnte die neue Bözberg-Bahnlinie feierlich eröffnet werden. Vorausgegangen waren längere verkehrstechnische, politische und finanzielle Diskussionen. Doch angefangen hat alles bereits viel früher:
Nach dem Bau der römischen Militärsiedlungen Augusta Raurica (44 v. Chr.) und Vindonissa (14 n. Chr.) wurde eine Verbindungsstrasse über den Bözberg zwischen den beiden Orten angelegt. Trotz der steilen Flanken des Tafeljuraberges überwand die Strasse den Berg dank römischer Strassenbaukunst. Diese Strasse wurde bis ins 14. Jahrhundert benutzt. Auf Drängen Österreichs beauftragte der Berner Rat 1773 den Ingenieur Antonio Maria Mirani mit der Ausarbeitung eines neuen Strassenprojekts. 1775/78 bewilligte der Rat eine weitgehend neue Strassenführung, die ihren Dienst bis heute versieht. Die definitive Eröffnung erfolgte Mitte November 1779.
Reise Basel-Zürich dauerte 10,5 Stunden
Die habsburgisch-österreichische Postroute führte von Basel über R hei n felden-St ei n-L au fen bu rg-Waldshut nach Schaffhausen. Der Kanton Aargau stellte 1810 mit der Postroute Rheinfelden-Frick-Staffelegg-Aarau die Verbindung vom Fricktal zur Kantonshauptstadt her. Und 1826 vereinbarten Basel und Zürich einen Eilwagenkurs durchs Fricktal über den Bözberg. Die Reise Basel-Zürich dauerte 10,5 Stunden.
Schon 1836 kam daher die Idee auf, eine direkte Eisenbahnlinie von Basel über den Bözberg nach Zürich zu bauen. Kantonale Animositäten, finanzielle Engpässe und technische Herausforderungen wie der Bau eines langen Tunnels verhinderten jedoch eine Realisierung dieser Verkehrsverbindung.
1856 wurde die Strecke Basel Badischer Bahnhof nach Waldshut gebaut und später bis Konstanz verlängert. Drei Jahre später erfolgte der Bau der Strecke Waldshut nach Turgi. Somit bestand eine flache Bahnverbindung zwischen Basel und Zürich, die über deutsches Territorium führte. 1858 wurde der obere Hauensteintunnel bei Läufelfingen durchbrochen und Basel über Olten mit der Strecke Zürich nach Bern verbunden. Somit erübrigte sich eine Gebirgsbahn über den Bözberg – vorläufig!
Doch schon zehn Jahre später war die Kapazitätsgrenze des Hauensteintunnels erreicht. In dieser Zeit kam die Idee einer Alpentransversale auf. Zunächst wurde die Route über den Lukmanier bevorzugt, doch letztlich setzte sich die Strecke über den Gotthard durch. Besonders Alfred Escher (1819–1882) setzte sich als Präsident der Schweizerischen Nordostbahn für dieses Vorhaben ein. Als möglicher Zubringer für den Güterverkehr ab Basel kam nun die Bözberglinie wieder ins Spiel. Sie wurde als kürzeste und zugleich kostengünstigste Zufahrtsstrecke von Basel zum Gotthard erkannt.
Tunnelbau dank Dynamit
Eine technische Erfindung erleichterte zudem den Tunnelbau erheblich. 1866 erfand Alfred Nobel (1833–1896) das Dynamit und liess es entsprechend patentieren.
Am 27. Dezember 1869 erhielt ein neu gegründetes Bözberg-Komitee vom Grossen Rat die Konzession für den Bau einer Eisenbahnstrecke. Diese sollte von der Kantonsgrenze bei Kaiseraugst durch den Bözberg bis nach Brugg führen. Mit Vertrag vom 14. Februar 1870 verpflichteten sich die beteiligten Gesellschaften — Schweizerische Nordostbahn (NOB mit Sitz in Zürich) und Schweizerische Centralbahn (SCB mit Sitz in Basel) – zum gemeinsamen Bau und Betrieb der Bözberglinie.
Gemeinden mussten mitfinanzieren
Die Bahngesellschaften zeigten sich nur am Bau der Bözberglinie interessiert, wenn die erschlossenen Regionen bereit waren, sich mit einem Kapital von zwei Millionen Franken daran zu beteiligen. Zwischen dem 25. April und dem 10. November 1869 sicherten 31 aargauische und 3 basellandschaftliche Gemeinden eine Aktienübernahme von total 2 216 000 Franken zu. Gestützt auf diese Versprechen gelang es dem Komitee, die NOB und SCB mit Vertrag zum Bahnbau zu verpflichten. Allerdings mussten die beschlossenen Aktienbeteiligungen nach dem Willen der Bahngesellschaften in Obligationenanleihen der Gemeinden umgewandelt werden.
Der frühere Oberingenieur der Nordostbahn, Baurat August von Beckh (1809–1899) aus Stuttgart, wurde beauftragt, Projektvarianten auszuarbeiten. Beim Entscheid galt es zu berücksichtigen, dass der Bahn internationale Bedeutung zukam, weil sie «zur Vermittlung eines grossartigen Waarenverkehrs bestimmt ist, dabei aber mit theilweise mächtigen und in besonders günstigen Steigungsverhältnissen befindlichen Konkurrenzbahnen zu kämpfen hat.» (Quelle: Frick – Gestern und Heute, Band 2, 1987).
Bereits im Februar 1871 lag ein 4-Varianten-Projekt vor. Weitsichtig wurde die gesamte Strecke von Anfang an als Doppelspur konzipiert – dieser Umstand wurde auch beim Landerwerb entsprechend berücksichtigt. Dennoch bestand die Nordostbahn aus finanziellen Gründen vorerst auf einem einspurigen Ausbau. Nur die Kunstbauten waren bereits für eine später einzurichtende zweite Spur ausgelegt. Neben dem 2526 Meter langen Bözbergtunnel bildete die Brücke über die Aare oberhalb von Brugg, die in einer langgezogenen Kurve die Aareschlucht überquert, das aufwendigste Bauwerk der neuen Eisenbahnlinie. Beim Bau kam es zu verschiedenen Herausforderungen: Hangrutschungen führten zu Verzögerungen und der Bahndamm oberhalb von Frick war aufgrund einer zu schmalen Dammsohle statisch unzureichend geplant.
Die Berechnungen des Ingenieurs wiesen ein Trassee mit 12 Promille Steigung als vorteilhafteste Lösung aus. Die höhere Nutzlast bei geringerer Steigung liess Mehreinnahmen erwarten, welche die Einsparungen an Baukosten bei einer kürzeren, aber steileren Strecke übertrafen. Im Jahr 1895 wurde der Streckenabschnitt von Pratteln über Rheinfelden bis zum Bahnhof Stein-Säckingen auf Doppelspur ausgebaut. Erst nach der Eingliederung der Bözbergbahn in die SBB am 1. Januar 1902 erhielten auch die übrigen Streckenteile die zweite Spur. Im November 1904 war der Abschnitt von Stein-Säckingen nach Frick fertig ausgebaut, im April 1905 die Ostrampe zum Bözbergtunnel von Brugg bis nach Schinznach-Dorf und im September 1905 auch der Abschnitt von der Station Schinznach-Dorf durch den Tunnel nach Effingen im Fricktal und bis nach Frick. Am 18. Oktober 1926 konnten die SBB die Elektrifizierung der gesamten Strecke von Pratteln bis nach Brugg abschlies-sen.
Provisorische Stationsgebäude
Aus Spargründen, bedingt durch eine Finanzkrise bei der Nordostbahn, entstanden lediglich provisorische «Güterstationsgebäude» oder «Stationsgebäude V.ter Classe» aus Holz. Diese enthielten alle nötigen Räume für einen kleinen Landbahnhof-Schalter, Güterschuppen und Wohnung für den Bahnhofvorstand – unter einem Dach. Einige davon haben mit Anbauten und durch Umnutzung bis heute überlebt. Der heutige, umgenutzte Güterschuppen des Bahnhofs Kaiseraugst, ist die Schuppenstation an der Strecke, die die Zeit mit den wenigsten Um- und Anbauten bis heute überstanden hat. Einzig der Bahnhof Rheinfelden erhielt zur Eröffnung am 2. August 1875 ein repräsentatives, mittelgrosses Stationsgebäude. Dieses erlebte im Jahr 1915 eine erste Erweiterung und auch in den folgenden Jahren kamen weitere bauliche und technische Neuerungen hinzu. Die letzte bauliche Änderung im Aufnahmegebäude selbst erfolgte ungefähr um 1943/44.
Tunnelausbau im 21. Jahrhundert
Um den alpenquerenden Gütertransport vermehrt von der Strasse auf die Schiene verlagern zu können, beschloss das Eidgenössische Parlament 2013 auf Antrag der SBB die Gotthard-Achse zu einem 4-Meter-Korridor auszubauen. Der alte Bözbergtunnel war jedoch baulich nicht geeignet. Verschiedene Varianten wurden in Vorprojekten geprüft. Der Neubau eines doppelspurigen Tunnels hat sich als die beste Variante erwiesen. Der bestehende Bözbergtunnel wird nach Umbaumassnahmen als Dienst- und Rettungsstollen genutzt. Die beiden Tunnels werden über fünf Querverbindungen miteinander verbunden. Mit dem Baubeginn am 9. März 2016 starteten die Arbeiten; die letzte Schwelle wurde am 6. Februar 2020 verlegt, und die Inbetriebnahme des neuen Tunnels erfolgte am 9. November 2020. Die Umbauarbeiten am alten Tunnel konnten im April 2022 abgeschlossen werden.
Holzklasse und Luxus
Bei der Gründung der SBB 1902 wurden Lokomotiven, Personen- und Güterwagen von den verstaatlichten Privatbahnen übernommen. Viele Wagen der 3. Klasse waren für einen zeitgemässen Betrieb nicht brauchbar. Man sass auf Holzlattenbänken. Es fehlten vielfach Heizung und Toiletten, die Beleuchtung war mangelhaft oder nicht vorhanden. Solche Wagen findet man heute noch auf Museums-bahnen. Die 1.-Klasse-Wagen der NOB galten als ausgesprochen luxuriös: Sie boten Gas- und Petroleumbeleuchtung, Oberlichter, klappbare Armlehnen, Gepäcknetze, Teppichböden und Fenster mit Messingrahmen – ein Komfort, der seinerzeit vielfach als übertrieben angesehen wurde.
Eine zeitgenössische Beschreibung hielt Folgendes fest: «In Betreff der inneren Ausstattung so sind bei den Coupés 1. Klasse die Fauteuils aus Mahagoni gefertigt und mit rotem Plüsch überzogen. Die Vorhänge bestehen aus blauem Seidenstoff. Der Plafond ist mit weissem Wachstuch bespannt, welches mit ornamentalen, in grau, roth und gold ausgeführten Verzierungen bemalt ist; die weiss lackierten, mit Goldstäbchen verzierten Dachrippen sind sichtbar. Die Wände sind in den Füllungen weiss, in den Friesen grau erhalten und mit Mahagoni und Goldstäbchen eingefasst. Der Fussboden ist mit dickem Plüschteppich belegt. Toilette und Retirade sind äusserst zweckmässig eingerichtet. Die Untertheile der Achsbüchsen sind aus Glas, damit der Ölstand kontrolliert werden kann.» (Quelle: Walter Trüb: Die Personenwagen der SBB 1902–1977).
Positive Auswirkungen des Bahnausbaus auf Rheinfelden
Die ehemalige Beuggengasse (Rindergasse bis Kapuzinergasse) wurde 1875 bis zum Bahnhof erweitert. Die neue Bahnhofstrasse begann nun bei der Marktgasse und endet am Bahnhofplatz. Johann Blatt (1815–1884) erlangte als Schuhmachermeister in London beträchtlichen Wohlstand und heiratete dort die Engländerin Mary Anne Bright (1810–1875). Er kehrte schliesslich wieder in die Schweiz zurück und revolutionierte die Bienenzucht durch ein neuartiges Wabensystem. Alice Blatt (1851-1925), die einzige Tochter des Paares Blatt-Bright, heiratete 1879 den Feldschlösschen-Bierbrauer Theophil Roniger (1844–1913). Östlich des Bahnhofs kaufte Johann Blatt das Gelände und baute darauf das Hotel Bahnhof Terminus. Diese Fläche gehört heute zur «Neuen Mitte» rund um das Bahnhofareal und wird von Investoren in den nächsten Jahren durch Neubauten ersetzt.
An der Quellenstrasse wurde später das Restaurant Quelle gebaut, welches heute der Firma Willers gehört. Um Platz für einen Busterminal am Bahnhof zu schaffen, soll dieses Gebäude abgerissen werden. Die Firma Willers will einen Neubau im angrenzenden Ronigerpark realisieren.
Auch wirtschaftlich war der Bau der Bözberglinie für Rheinfelden wichtig. Als Kurort profitierte Rheinfelden von der neuen Linie. Viele vornehme Gäste reisten stilvoll in der 1. Klasse über Basel an. Mit der Eröffnung der Bözbergbahn im Jahr 1875 fassten der Bierbrauer Theophil Roniger aus Magden und sein Freund, der Olsberger Landwirt Matthias Wüthrich (1846–1905), den Entschluss, Bier mithilfe modernster Technik industriell herzustellen und den Schweizer Markt per Bahn zu erobern.