Simone Rufli
«Benjamin» hat es uns in Erinnerung gerufen: Der Oktober ist kein Monat für leises Auftreten. Der Herbst kommt nicht auf Zehenspitzen, sondern mit wehenden Blättern, krachenden Ästen und einem Himmel, der zwischen Gold und Grau schwankt. Er erfreut ...
Simone Rufli
«Benjamin» hat es uns in Erinnerung gerufen: Der Oktober ist kein Monat für leises Auftreten. Der Herbst kommt nicht auf Zehenspitzen, sondern mit wehenden Blättern, krachenden Ästen und einem Himmel, der zwischen Gold und Grau schwankt. Er erfreut mit kräftigen Farben und fordert Respekt durch seine Wucht. Sein Gehilfe, der Wind, löst nicht nur Kastanien vom Baum.
Manchmal spielt der Herbst mit uns wie mit dem bunten Laub, zerzaust Haare, wirbelt Gedanken und Erinnerungen wild durcheinander. Ein andermal gaukelt er uns Ruhe vor und bläst kurz darauf zum Sturm. Dann heisst es wählen: Sturm laufen, im Sturm erobern oder ihm trotzen.
«Benjamin» war – in Europa – der erste grosse Herbststurm des Jahres 2025, ein «Bombenzyklon», so stuften ihn die Meteorologen ein; vergleichbar mit «Lothar», der am 26. Dezember 1999 mit teils orkanartigen Böen über unsere Region hinwegfegte.
Stürme hinterlassen immer Spuren, in Landschaften, aber auch in Kunst und Literatur. Mit Sturm so gut wie mit Drang kannten sich die Leute im 18. Jahrhundert aus. Goethe etwa war überzeugt: «Im Sturm wird der Charakter geprüft.» Zeitgenosse Schiller erkannte gar eine Gefahr: «Welchen Sturm gefährlicher Gedanken weckst du mir in der stillen Brust!» Die stürmische Epoche hinter sich, konnte Rainer Maria Rilke Ende des 19. Jahrhunderts das Ganze gelassener angehen: «Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest.»
Knapp 128 Jahre nach Veröffentlichung dieses Rilke-Gedichts scheint mir das kein schlechter Rat. In diesem Sinne – ein schönes Herbst-Wochenende.