Bei Flüchtlingsaufnahme im Mittelfeld
18.11.2025 RheinfeldenDie Aargauer FDP fordert ein Asylwesen, das gleichzeitig effizient funktioniert und den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nimmt. An der «Rheinfelder Tagung» hatte sie dazu prominente Referenten aus Bund, Kanton und Gemeinde eingeladen.
Boris Burkhardt
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Die Aargauer FDP fordert ein Asylwesen, das gleichzeitig effizient funktioniert und den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nimmt. An der «Rheinfelder Tagung» hatte sie dazu prominente Referenten aus Bund, Kanton und Gemeinde eingeladen.
Boris Burkhardt
Der Aargauer FDP geht es ums Vertrauen der Schweizer Bevölkerung, wie Präsidentin Sabina Freiermuth an der Parteiveranstaltung «Rheinfelder Tagung» am Samstag im Hotel Schützen zum Thema «Herausforderung Migrationsland Schweiz: Wie kann ein Asylchaos verhindert werden?» als Parole ausgab: «Die Versäumnisse der Regierungen geben den Rechtspopulisten in ganz Europa Aufwind. Wir müssen unser Sozialsystem schützen und fordern: schnelle Rückführung oder Integration. Unsere humanitäre Tradition in der Schweiz kann nur mit dem Vertrauen der Bevölkerung weitergeführt werden.»
Weil das Asylwesen alle drei Ebenen des Schweizer Staates intensiv betreffe, hatte die Partei als Referenten für die Bundesebene den Direktor des Staatssekretariats für Migration (SEM), Vincenzo Mascioli, eingeladen, für die Kantonsebene den Aargauer Regierungsrat und Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales (DGS) Jean-Pierre Gallati, und für die Gemeindeebene den Aarauer Stadtpräsidenten und Präsidenten des Städteverbands Hanspeter Hilfiker.
«Rechtsstaatlich konsequent»
Er stimme der FDP in ihrem Schlagwort «Hart aber fair» zu, sagte Mascioli, würde es aber als «rechtsstaatlich-konsequent» präzisieren. Als einziger Nicht-Politiker an der Veranstaltung versuchte der Chefbeamte mit viel Statistik, die aktuelle Lage im Schweizer Asylwesen ohne Polemik darzustellen. «Vieles funktioniert», sagte er: «Das System ist nicht perfekt, aber im internationalen Vergleich gut.» Dass die Lage im eigenen Land von Politikern und Bevölkerung kritischer beurteilt werde, sei natürlich.
Die Schweiz befinde sich hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen unter den europäischen Staaten zahlenmässig im Mittelfeld. Ende der Neunziger-Jahre, während des Jugoslawienkriegs, habe sie mit zwölf Prozent gegenüber den EU-Staaten verhältnismässig deutlich mehr Menschen aufgenommen als noch 2013 mit 8,5 Prozent oder seither konstant mit ungefähr 2,5 Prozent. Diese niedrigen Zahlen rechnet Mascioli vor allem den beschleunigten Verfahren bei Asylanträgen zu. Ausserdem profitiere die Schweiz vom Dublin-Verfahren, obwohl Italien seit 2022 nicht mehr daran teilnehme: Die Differenz zwischen den Menschen, die die Schweiz in Drittländer abschiebe, und den Menschen, die die Schweiz aus Drittländern aufnehmen müsse, liege bei jährlich 30 000.
Stellensuche für Frauen schwierig
Innenpolitisch werde die Integration in den Arbeitsmarkt effizienter: Von den Bleibeberechtigten, die seit 2016 in der Schweiz seien, hätten nach neun Jahren 57 Prozent eine Stelle gefunden, von denen, die seit 2020 da sind, nach fünf Jahren bereits 40 Prozent. Der Aargau stehe bei diesen Zahlen leicht besser da als der Landesdurchschnitt. Ein Problem bleibe aber das Geschlechterverhältnis: Frauen fänden nach wie vor schwerer eine Arbeitsstelle.
Die «Schutzquote», das Verhältnis von bewilligten zu abgelehnten Anträgen, sei 2012 noch bei zehn Prozent gelegen; seither liege sie jährlich zwischen 50 und 60 Prozent. Diese Zahlen wolle der Bund weiterhin verbessern und mit zusätzlichem Personal die Dependenzen in fünfstelliger Höhe bei den Asylanträgen abbauen. Ziel sei es, Kantone und Gemeinden zu entlasten, versprach Mascioli. Der FDP prophezeite der parteilose Chefbeamte ausserdem, dass sie eine entscheidende Rolle spielen wird bei den zukünftigen Abstimmungen, im Juni 2026 über die Nachhaltigkeitsinitiative, im Jahr 2027 über die Bilateralen III.
Notlage hinterfragen
Regierungsrat Gallati (SVP) bestätigte den Behörden und der Zivilgesellschaft im Aargau, dass sie «das Beste geben», um mit der Situation im Asylwesen fertigzuwerden. Aber es sei nicht unethisch, sich die Frage zu stellen, wie lange die Gesellschaft dieses System noch tragen könne. Auch er habe sich schon gefragt, ob sich die offiziell ausgerufene Notlage im Kanton nicht im Dauermodus totlaufe. Die Notlage ermögliche zum einen etwa baurechtliche Erleichterungen bei Asylunterkünften, zum anderen sei sie ein Zeichen an die Öffentlichkeit: «Solange wir noch Familien mit fünf Kindern, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, in unterirdischen Unterkünften unterbringen müssen, halte ich es für sinnvoll, die Notlage aufrechtzuerhalten.» Als vordringliche Aufgabe des Kantons im Asylwesen sieht Gallati die Bildung der Flüchtlinge, vor allem der unbegleiteten minderjährigen (UMA).
Stadtpräsident Hilfiker schilderte die Situation in Aarau, wo fünf der 78 kantonalen Unterkünfte liegen und zudem das neue Asylzentrum für 260 Menschen geplant ist.
Mit Blick auf den Brennpunkt Bahnhof warnte der FDP-Politiker davor, Problemfelder zu vermischen: Die Sicherheitsprobleme gingen nicht nur von Asylanten aus, sondern auch von Drogenabhängigen und Randständigen. «Ich wünsche mir eine klare Kommunikation, dass dies Themen sind, die sich überlagern, aber verschiedenen Ursprungs sind», forderte Hilfiker. Vom Kanton wünschte er sich ausserdem eine Dezentralisierung der Angebotsstrukturen für Asylanten auch ausserhalb von Aarau sowie eine Stärkung der Regionalen Integrationsfachstelle (RIF) in Aarau, die im Auftrag des Kantons und elf beteiligter Gemeinden die Themenfelder Integration, Asylwesen, Diversität und Rassismus koordiniert.
Auf dem anschliessenden Podium mit den Referenten konnten ausserdem Grossrätin und Gemeinderätin von Döttingen Claudia Hauser sowie Vize-Parteipräsidentin und Gemeindeammann Jeanine Glarner aus Möriken-Wildegg ihre lokalen Erfahrungen einbringen. In Döttingen habe der Gemeinderat etwa das Asylwesen an die Caritas ausgelagert. Hauser betonte aber auch, dass die Gemeinde 2022 bei Ankunft der Ukrainer ohne die angebotenen privaten Unterkünfte zusammengebrochen wäre. Eindrücke aus dem Fricktal gab es an der Veranstaltung keine: In den Bezirken Rheinfelden und Laufenburg liegen fünf der 78 kantonalen Unterkünfte, darunter in Frick eines der beiden Erstaufnahmezentren sowie die Notunterkunft in Laufenburg.

