«Als Läufer musst du leiden und lächeln können»
22.02.2025 PersönlichRückblick eines 82-Jährigen auf ein Leben mit Laufen und Sport
Hansruedi Dinkel war der älteste am diesjährigen Crosslauf in Eiken. Er spulte an jenem eiskalten Januartag sechs Runden ab, was sechs Kilometern entspricht. Wie schafft er das und wie hat er sich darauf ...
Rückblick eines 82-Jährigen auf ein Leben mit Laufen und Sport
Hansruedi Dinkel war der älteste am diesjährigen Crosslauf in Eiken. Er spulte an jenem eiskalten Januartag sechs Runden ab, was sechs Kilometern entspricht. Wie schafft er das und wie hat er sich darauf vorbereitet? Ein Besuch beim Champion der Altersklasse.
Edi Strub
Hansruedi Dinkel machte schon immer Sport. Das war eigentlich selbstverständlich in der Familie Dinkel. Sein Grossvater war Oberturner und Mitgründer des TV Eiken. Sein Vater Leichtathlet, Fussball-Goalie und Handballspieler. Hansruedi zog es vorerst jedoch nicht zum Turnen, Handball- oder Fussballspielen, sondern zum Radrennsport. Er war noch nicht einmal zwanzig, als er auf einer Velorennbahn in der Basler Messe sein erstes Rennen gewann. Sein zweites Rennen dort stand dann allerdings unter einem unglücklichen Stern. Zuerst wurde er nicht abgeholt in Eiken, wie abgemacht war. Also schwang er sich aufs Rad und kam gerade noch rechtzeitig an für sein Rennen – immerhin gut aufgewärmt. Doch dann stürzte er schwer und verletzte sich. Schliesslich wurde ihm am selben Tag auch noch sein Rad gestohlen. Weil er es sich nicht leisten konnte, einfach ein neues zu beschaffen, sattelte er um: er begann zu laufen. «Dafür brauche ich nur eine Hose und ein Paar Turnschuhe», habe er sich gesagt. Er sei zwar auch später immer wieder mal aufs Rad gestiegen. Unter anderen für die Mega-Laufstafette Eiken-Rom, die er organisieren half.
Ein laufender Philosoph
Hansruedi Dinkel hat im Lauf seiner Sportlerkarriere an unzähligen Läufen teilgenommen. Unter anderem an mehreren Marathons in New York, Wien und Frankfurt und natürlich auch in der Schweiz. Darunter mehrmals am Jungfrau-Marathon mit seinen extremen Steigungen. Laufen gehört zu seinem Leben wie das tägliche Essen und Trinken, Arbeiten und Schlafen. Bis heute. Etwa dreimal die Woche schlüpft der 82-Jährige in seine Laufschuhe, dazu kämen noch ein paar Trainings auf dem Hometrainer. Wie schafft man das in diesem Alter? Bei dieser Frage kommt etwas Besonderes ins Bild bei Hansruedi Dinkel. Er ist nicht einfach ein Läufer, sondern eigentlich ein laufender Philosoph. Laufen hat für ihn mit einem besonderen Lebensgefühl, mit Harmonie und Rhythmus zu tun. Es ist Teil einer Lebensweisheit, die weit über das Sportliche hinausgeht.
Geholt hat er sich dieses Wissen bei seinem «Meister», wie er ihn nennt, bei Andrea Mazotti. Begegnet ist er ihm erstmals an der Klingnauer-Stausee-Rundfahrt, als er nach seinem Unfall in Basel nach einer Alternative suchte. Bei Mazotti habe er dann alles gelernt, was im Sport und im Leben wirklich essenziell ist. Über den Körper. Wie man diesen beim Laufen richtig einsetzt, um mit möglichst geringem Kraftaufwand schnell zu sein. Und über die richtige Kadenz. Mit nicht zu kurzen Schritten zu laufen, aber auch nicht mit überlangen. Das heisst nach seinem Lehrmeister Mazotti mit 92 bis 100 Schritten pro Minute und Bein. Wichtig sei auch die Fussarbeit: sie beginnt beim Aussenrist und geht von dort zum Vorderfuss, der den Körper nach vorn katapultiert. Dann natürlich das Atmen: entspannt durch den Mund. Und schliesslich das Mentale: der Weltklasse-Triathletin Natascha Badmann habe er als Therapeut einmal erklärt, dass sie lernen müsse zu leiden, aber dabei auch zu lächeln. Das sei ihr offenkundig sehr eingefahren. Als er sie nach einem Sturz in Hawaii im Spital in Basel besucht habe, habe sie ihm noch vor der Begrüssung zugerufen: «Leiden und lächeln!»
«Bei mir stimmt etwas nicht»
Kam Hansruedi Dinkel beim Laufen auch mal an seine Grenzen? – Ja, natürlich, zum Beispiel beim letzten Jungfrau-Marathon, an dem er teilgenommen habe. Schon auf der Strecke von Interlaken nach Lauterbrunnen sei er eine Viertelstunde langsamer gewesen als im Jahr zuvor. Und in Wengen sei dann noch eine halbe Stunde dazu gekommen. Dann habe er zu seiner Frau gesagt: «Ich höre auf, bei mir stimmt etwas nicht.» Und tatsächlich hätten die Ärzte dann herausgefunden, dass er an einer Herzinsuffizienz leide. Er musste sich eine künstliche Herzklappe einoperieren lassen. Aber nachher sei er wieder gelaufen wie vorher. Einmal sei er in seinem Therapieraum, wo er Leute massiere, gestolpert. Hansruedi Dinkel krempelt seine Hose hoch und zeigt, wo sie ihm nach diesem Unfall ein künstliches Kniegelenk eingesetzt haben. «Alles perfekt gemacht von den Ärzten», sagt er. Er könne sich bewegen wie früher.
Es gilt, Mass zu halten
Wie lange macht Hansruedi Dinkel noch weiter als Läufer und Therapeut? – Er hoffe, so lange wie sein Grossvater. Der sei auch mit 85 noch immer im Geschäft erschienen – in seiner Drahtwarenfabrik in Eiken. Am Schluss habe er das mit seinem «Rollator» gemacht – einem alten rostigen Fahrrad, auf das er sich gestützt habe. Und so hofft Hansruedi Dinkel, auch im kommenden Jahr am Eikener Crosslauf wieder dabei zu sein. Auf einer für ihn passenden Strecke. Denn natürlich sei er nicht mehr so ausdauernd und schnell wie früher. Es gelte, Mass zu halten. Aber Laufen gehöre einfach zu seinem Leben so wie das Beten am Morgen und am Abend, gibt er dem Reporter beim Abschiednehmen auf den Weg. Das verleihe Kraft und Energie. Denn er habe schliesslich noch etwas Wichtiges vor: Er wolle ein Buch schreiben. Über alles, was er erlebt und getan habe. Er sei schon am Zusammenstellen des Materials dafür.