«Als Grenzstadt waren wir unmittelbar und stark betroffen»
08.03.2025 FokusErinnerungen an die Grenzschliessungen vor fünf Jahren
Am Sonntag, 16. März, ist es fünf Jahre her, dass Deutschland wegen der Corona-Pandemie die Grenzen dichtmachte. Die Schweiz folgte einen Tag später. Zwei Monate hielt dieser Zustand an, der die drei Fricktaler ...
Erinnerungen an die Grenzschliessungen vor fünf Jahren
Am Sonntag, 16. März, ist es fünf Jahre her, dass Deutschland wegen der Corona-Pandemie die Grenzen dichtmachte. Die Schweiz folgte einen Tag später. Zwei Monate hielt dieser Zustand an, der die drei Fricktaler Gemeinden mit Grenzübergang: Rheinfelden, Laufenburg und Stein, besonders traf.
Boris Burkhardt
HOCHRHEIN. «Ich stand auf dem Inseli, blickte nach Deutschland und kam mir vor wie im Dritten Weltkrieg», erinnert sich Raymond Keller, Präsident des Gewerbevereins Rheinfelden, an den 16. März 2020. An jenem Montag um 8 Uhr sperrten deutsche Bundespolizisten die Mehrheit der 40 Grenzübergänge zwischen Deutschland und der Schweiz am Hochrhein; einen Tag später folgten die Schweizer Grenzwächter. Der Übergang über die Grenzen in beiden Rheinfelden, in beiden Laufenburg und in Stein/ Bad Säckingen war nur noch für Grenzgänger, Doppelstaatsangehörige und für ständig neu definierte Ausnahmen möglich.
Für Keller waren die Corona-Massnahmen insgesamt «unfassbar». Er nennt sich selbst einen «absoluten Corona-Massnahmen-Gegner»: «Das war eine übertriebene Geschichte.» Das Schweizer Gewerbe – das war offensichtlich – konnte der Grenzschliessung aber Gutes abgewinnen: Die Schweizer Kunden konnten nicht mehr nach Deutschland gehen zum Einkaufen. Keller schätzt diese Entwicklung sogar als nachhaltig ein: «Nach meiner Einschätzung haben wir nicht mehr das Niveau des Einkaufstourismus’ aus der Zeit vor Corona erreicht.»
Massive Folgen
Politik und Verwaltung stellte die Grenzschliessung hingegen vor grosse Probleme. «Ich erinnere mich sehr gut an diesen ersten Tag, als die Grenzen geschlossen wurden und sich am Zoll lange Autoschlangen bildeten», berichtet Rheinfeldens Stadtschreiber Roger Erdin: «Als Grenzstadt war Rheinfelden unmittelbar und stark betroffen.» Die Folgen an den ersten beiden Tagen seien massiv gewesen: «Viele deutsche Arbeitskräfte – vor allem in den Gesundheitsbetrieben – kamen nur mit grösster Mühe und grosser Verspätung an ihre Arbeitsplätze.»
Zusammen mit der deutschen Schwesterstadt habe die Stadtverwaltung die Lösung gefunden, dass deutsche Grenzgänger in den Gesundheitsbetrieben im Umfeld der Alten Rheinbrücke auf der deutschen Seite parkieren und den Weg an ihren Arbeitsplatz zu Fuss über die Brücke gehen durften. Erdin sagt heute: «Wir waren überwältigt von der sehr schnellen und spontanen Hilfe unserer Freunde aus dem Rathaus in Badisch-Rheinfelden, dank derer wir innert weniger Stunden den Gesundheitsbetrieben eine Lösung anbieten konnten.»
Grosse Herausforderungen
Auch Klaus Eberhardt, Oberbürgermeister von Badisch-Rheinfelden, hält fest: «Angst, dass unsere guten Beziehungen zur Schweizer Schwesterstadt leiden könnten, hatte ich zu keinem Moment.» Allerdings seien nach der Grenzöffnung die unterschiedlichen Auflagen in Deutschland und der Schweiz «grosse Herausforderungen» gewesen: «Der Bevölkerung waren sie nicht zu vermitteln.» Gerade bei den Regeln für die Gastronomie hätten sich die Schweizer grosszügiger gezeigt. Die Auswirkungen auf die Geschäfte in der Badisch-Rheinfelder Innenstadt seien lange Zeit spürbar gewesen: «Die Bindung zu Schweizer Kunden musste neu aufgebaut und gelebt werden.» «Das Bild der gesperrten Rheinbrücke hat sich in meine Erinnerung eingebrannt», sagt Eberhardt. Die Grenzschliessung empfand er als «eine sehr drastische Massnahme, die uns allen sehr eindrücklich den Ernst der Lage vor Augen geführt hat». Dennoch ist Eberhardt im Rückblick überzeugt, «dass die Massnahmen der ersten Stunden, Tage und Wochen absolut berechtigt waren». Gerade zu Beginn der Pandemie habe es zahlreiche Todesfälle und eine Überforderung der Krankenhäuser gegeben.
Allerdings hätte man Eberhardts Meinung nach zu einem späteren Zeitpunkt die Auflagen zügiger zurückführen müssen: «Insbesondere die Ausgangssperre und die lange Schliessung von Schulen und Kindergärten haben sich nachteilig auf die betroffenen Bevölkerungsgruppen ausgewirkt.» Für die Zukunft ist laut Eberhardt «eine bessere Abstimmung bei vergleichbaren Lagen dringend erforderlich, auch um die Glaubwürdigkeit von getroffenen Schutzmassnahmen zu erhöhen: Denn wie wir ja wissen, macht ein Virus nicht an der Grenze Halt.»
«Wir kennen hier heutzutage die Grenze eigentlich gar nicht», hatte Laufenburgs Stadtammann Herbert Weiss damals vor dem Bauzaun auf der Rheinbrücke mit der Beschriftung «Grenzübergang gesperrt: Corona-Virus» den überregionalen Medien gesagt: «Wir nennen uns ‹Zwei Länder – eine Stadt›; und nun hat man uns getrennt. Das tut schon ein bisschen weh, dass wir diese Verbindung nicht mehr haben.» Im Rückblick meint er heute gegenüber der NFZ: «Pandemie und Grenzschliessung lehrten uns, in besonderen Zeiten mit besonderen Massnahmen umzugehen. Sie haben uns gezeigt, wie schnell Normalität zerbrechen kann.»
Für den Steiner Gemeindeschreiber Sascha Roth war es ein Schock, «als am 16. März 2020 auf Anordnung der deutschen Bundespolizei der Zugang zur historischen Holzbrücke zwischen Stein und Bad Säckingen verbarrikadiert wurde».
Auf einen Schlag sei der selbstverständliche Grenzübertritt «ein Ding der Unmöglichkeit» geworden. Stein sei während der Corona-Zeit eine «Garnisonsstadt» geworden: Zur Unterstützung der Grenzwache am Übergang Fridolinsbrücke wurden in der Gemeinde Einheiten der Schweizer Armee einquartiert.
«Die Luft der Freiheit»
Wie es der Zufall wollte, habe die Gemeindeverwaltung just am Tag der Grenzschliessung ihren Auftritt in den Sozialen Medien begonnen: Der erste Post auf Facebook und Instagram, daran erinnert sich Roth gut, sei ein Photo von der Sperrung Holzbrücke gewesen. Am 15. Mai 2020 sei er Augenzeuge gewesen, als drei Bundespolizisten die Barrikade kurz vor Mitternacht wieder entfernt hätten. Persönlich erachtet Roth im Rückblick viele Corona-Massnahmen für «unverhältnismässig». Aber auch er weist darauf hin: «Die Einschränkungen in der Schweiz waren im Vergleich zu denen in anderen Staaten zurückhaltend.» Nach der Grenzöffnung hätten nicht wenige Deutsche «die Luft der Freiheit» auf der Schweizer Rheinseite genossen.