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  27.05.2022 Fricktal

Matthias Strähl, Stadtbibliothek Rheinfelden

Karl Ove Knausgård
Der Morgenstern

Nach seinem grossen autobiografischen Romanzyklus präsentiert der norwegische Kultautor im Luchterhand Verlag nun einen nicht minder umfangreichen Text, in welchem er auf fesselnde Weise existentielle Fragen stellt und die Welt an den Rand des Untergangs führt. Erzählt werden, aus der Sicht von neun Personen, zwei heisse Sommertage in Norwegen. Da ist Arne, der zuverlässige Literaturdozent und Familienvater, der sich im Urlaub am Meer plötzlich in einen schweren Rausch trinkt und sich seiner Familie verweigert. Oder die Pastorin Kathrine, die von einem Workshop aus Oslo zurückkehrt, und wie aus heiterem Himmel die Einsicht verspürt, ihrem zufriedenen Leben entfliehen zu müssen und ziellos durch das nächtliche Bergen streift. Und da ist der abgehalfterte Journalist Jostein, der sich bei einer Recherche über eine Mordserie in der Death Metal Szene um Kopf und Kragen bringt. Ganz nah und intim begleiten wir beim Lesen die Figuren in einem Moment, in welchem ihr Leben in eine Schieflage gerät und die verbrieften Sicherheiten nicht mehr gelten. Gleichzeitig wird die Welt von unerklärlichen Naturphänomenen heimgesucht: Kolonien von Krebsen verlassen das Meer und bevölkern ganze Landstriche, die Ratten kommen aus dem Untergrund und nehmen den menschlichen Raum ein. Bald wird klar, dass nicht nur das Leben der handelnden Personen, sondern die ganze Welt aus den Fugen geraten ist. Darüber hinaus steigt ein neuer, riesiger Himmelskörper in gleissendem Licht am Horizont auf. Steht die Menschheit kurz vor der Apokalypse oder vielleicht vor der Erlösung? Das Buch entwickelt durch seine ständig immanente Atmosphäre des Untergangs und einer nicht fassbaren kosmischen Weltverschiebung bei der Lektüre einen unglaublichen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Lea Ypi
Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte

Die Philosophin Lea Ypi schildert in ihrer Autobiografie eine Kindheit und Jugend im Albanien der 1980er-Jahre. Unter Enver Hoxha galt das Land als letzter stalinistischer Aussenposten. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes, verschwindet auch das Regime in Tirana und bald wird klar, dass mit der grossen Freiheit auch viel Verantwortung und Unsicherheit einhergehen. Dieses Buch vermittelt tiefe Einblicke in die bewegte Geschichte eines faszinierenden Landes. Lesenswert!

DVD-Tipp
Grosse Freiheit

Der Film von Sebastian Meise ist für den deutschen Filmpreis 2022 nominiert. Benannt ist er nach der «Grossen Freiheit», einer Nebenstrasse der Reeperbahn auf Sankt Pauli. Sie verkörpert wie wohl keine andere Strasse in Deutschland die Sehnsucht und den Traum nach Rausch, Leben und Liebe. Hans Hoffmann liebt Männer. Im Deutschland der Nachkriegszeit ist das verboten. Und der berüchtigte Paragraph 175 bringt ihn immer wieder hinter Gitter. Ein emotionales Plädoyer für die Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben.

www.stadtbibliothek-rheinfelden.ch

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