«Die Situation war noch nie so kritisch»

  19.08.2022 Fricktal

Interview mit dem neuen Chef der AEW Energie AG

Marc Ritter ist seit dem 1. August CEO der AEW Energie AG. Am Fricktaler Wirtschaftsforum vom 1. September wird er über das Thema «Droht uns ein Blackout? – Sichere Stromversorgung» referieren und diskutieren. Wie sieht er die aktuelle Situation?

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Ritter, mit was für einem Gefühl blicken Sie auf den nächsten Winter?
Marc Ritter:
Durchaus mit gemischten Gefühlen. Die Resilienz des Energiesystems hat etwas abgenommen, ich reagiere aber nicht mit Panik. Die verschiedenen Akteure bereiten sich auf die möglichen Szenarien aktiv und verantwortungsvoll vor. Ich habe persönlich die Hoffnung, dass wir nicht in eine Strommangellage kommen.

Dennoch, das Thema beschäftigt die Leute. Ist mit einem temporären Ausfall der Stromversorgung zu rechnen?
Ich rechne nicht mit einem Blackout, also einem spontanen Zusammenbruch des Stromnetzes aufgrund unglücklicher Umstände. Ich sehe eher die erhöhte Gefahr einer Strommangellage, in der man allenfalls den Strom vorübergehend kontingentieren muss. Es müssen aber viele negative Faktoren zusammenkommen: Wir wissen nicht, ob Russland im Winter noch Gas in den Westen liefert, beziehungsweise ob die Gas-Speicher für den kommenden Winter genügend gefüllt sind und ausreichen werden. Ebenfalls noch offen ist, wie sich die Verfügbarkeit der französischen Atomkraftwerke im Winter präsentiert. Der dritte Faktor ist, wie kalt der Winter wird. Was uns ebenfalls nicht hilft, ist die aktuelle Trockenheit. Wenn alle vier Faktoren in die falsche Richtung gehen, dann wird ein Mangel wahrscheinlicher. Ich bin seit 20 Jahren in der Schweiz, ich glaube, die Situation war in dieser Periode noch nie so kritisch.

Was würde eine Kontingentierung für die Privathaushalte bedeuten?
In einem solchen Fall könnte es sein, dass in gewissen Gebieten der Strom für vier Stunden geplant abgeschaltet wird, es danach wieder acht beziehungsweise vier Stunden Strom gibt, um anschliessend den Strom wieder für vier Stunden abzuschalten. Das wäre die Einschränkung bei einem Worst-Case-Szenario. Als Privatkunde kann man mal vier Stunden ohne Strom auskommen. Kritischer ist beispielsweise die Versorgung der medizinischen Betriebe, der Lebensmittel-Industrie und der Kommunikation. Nicht zu vergessen das Gewerbe und die produzierenden Firmen, die ihren Betrieb einschränken müssten.

Was unternimmt die AEW Energie AG, damit es nicht soweit kommt?
Das ist ein europäisches Problem, da können wir als AEW allein nicht viel unternehmen. Wir sind aber Teil der Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen (Ostral) und nehmen darin unsere Rolle sowie Verantwortung wahr. Wir können selber beispielsweise dafür sorgen, dass die Speicher bei unseren Wärmezentralen für die Wärmelieferung gefüllt sind. Was in unserer Macht steht, das tun wir.

Wie die meisten Aargauer und Fricktaler bin ich Kunde bei der AEW.  Kann ich da nicht erwarten, dass Sie mir auch im Winter Strom liefern.
Das dürfen Sie als Kunde zu Recht erwarten, die AEW muss und möchte Sie jederzeit zuverlässig mit Strom versorgen. Bei einer Strommangellage ist es aber so, dass im äussersten Fall der Markt vom Bund ausser Kraft gesetzt wird.

Was können die Privathaushalte tun?
Grundsätzlich gilt, jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, hilft dem ganzen System. Sich etwas einzuschränken, ist deshalb sinnvoll.

In Deutschland wird darüber diskutiert, jetzt schon Strom und Gas zu sparen. Macht das auch in der Schweiz Sinn?
Absolut, das ist ein europäisches Thema. Und es ist auch klimatechnisch sinnvoll.


«Wir würden die Windkraft- Projekte gerne realisieren»

AEW-Chef Marc Ritter im Gespräch

Die AEW Energie AG verfolgt im Aargau zwei Windkraft-Projekte, eines davon im Fricktal. CEO Marc Ritter hofft, dass bald die Bewilligungen vorliegen.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Ritter, abgesehen von der sicheren Stromversorgung geben die Strompreise zu reden. Die AEW hat bereits angekündigt, dass mit Preiserhöhungen für das nächste Jahr zu rechnen ist. Wie hoch werden diese ausfallen?
Marc Ritter:
Am 25. August werden wir dazu eine Medienorientierung durchführen. Wie bereits bei der Präsentation der Jahresbilanz geschildert, gehen wir nach wie vor von einer Erhöhung um zirka 25 Prozent auf das nächste Jahr aus. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von zirka 4500 Kilowattstunden pro Jahr zahlt der Privathaushalt heute zirka 900 Franken, im nächsten Jahr wären es dann zirka 220 Franken mehr.

Die Schweiz will von der Atomkraft wegkommen. Wie kann das Land die Energiewende schaffen?
Wenn wir schnell aus der Atomkraft aussteigen wollen und auch die Abhängigkeit von Stromimporten verringern möchten, dann braucht es bei der Umsetzung der Energiestrategie 2050 Übergangslösungen, also beispielsweise Gas-Kraftwerke. Aber da stellt sich die Frage nach «Nutzen und/oder Schutz»: Wenn man die Umwelt schützen möchte, sind solche Gas-Kraftwerke nicht ideal. Die Frage ist zudem, ob genügend Gas zur Verfügung stehen würde.

Wie sieht Ihre persönliche Meinung zum Atomausstieg aus?
Es ist sicher sinnvoll, wenn jeder seinen Beitrag leistet. Wer kann, soll das Hausdach mit einer Photovoltaik-Anlage ausrüsten und so Strom für den Eigenbedarf produzieren. Gibt es weiterhin kein Stromabkommen mit der EU, sollte die Schweiz zudem ihre Stromabhängigkeit vom Ausland etwas reduzieren und den Eigenversorgungs-Grad erhöhen. Das bedeutet aber auch, dass wir Technologien wie der Windenergie weniger Hürden in den Weg legen sollten. Es wäre ebenso wünschenswert, wenn wir die Wasserkraft einfacher ausbauen könnten.

Sollte die AEW Energie AG selber nicht noch verstärkt auf die erneuerbaren Energien setzen?
Absolut. Das machen wir auch! Unsere Ausbaupläne im Bereich Photovoltaik haben wir deutlich erhöht. Allerdings kommt einschränkend die zunehmende Materialknappheit dazu, die Lieferdauer für Panels hat sich deutlich verlängert. Irgendwann gibt es zudem einen Engpass bei den Installateuren, welche die Anlagen montieren. Wir haben im Weiteren zwei Windkraft-Projekte im Aargau in den Gebieten Lindenberg und Burg. Hier sind wir seit vielen Jahren in Planung, wir würden sie gerne realisieren. Die Bewilligungen stehen aber wegen Einsprachen noch aus. Eine Zukunftstechnologie wird zudem der Wasserstoff sein, da sind wir an Pilotanlagen dran. Leider haben wir da Hindernisse mit der Zonenkonformität. In Augst (BL) haben wir eine solche Anlage geplant, es sieht aber derzeit nicht gut aus mit der Bewilligung.

Sie haben am 1. August das Amt des CEO übernommen. Was ist derzeit die grösste Herausforderung?
Ich habe das Amt mit Begeisterung angetreten. Mein erstes Ziel ist es, die AEW Energie AG robust weiterzuentwickeln und langfristig auf mehrere Standbeine zu stellen, damit wir für die Herausforderungen der Zukunft gerüstet sind. Ich sehe es für uns als grosse Chance, dass das Thema Energie derzeit so stark im Fokus des Interesses steht.


Wirtschaftsforum Fricktal

Am 1. September führt der Fricktal Regio Planungsverband im Bahnhofsaal Rheinfelden das Wirtschaftsforum Fricktal durch, Beginn ist um 18 Uhr. Thema des Abends: «Droht uns ein Blackout? – Sichere Stromversorgung der Zukunft». Es referieren und diskutieren: Lukas Küng, Leiter Kommission Ostral, Marc Ritter, CEO AEW Energie AG, Florence Brenzikofer, Nationalrätin Grüne Baselland, Hansjörg Knecht, Ständerat SVP Aargau, und Michael Seeholzer, CEO der Virtual Global Trading AG. (nfz)

Anmelden kann man sich unter der Internetadresse: www.fricktal.ch/wirtschaftsforum


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