600 Meter in den Dinkelberg hinein
14.10.2023 RheinfeldenDie Tschamberhöhle in Karsau ist einen Besuch wert
Eingezwängt zwischen Bundesstrasse, Bahndamm und Rhein liegt bei Karsau der Eingang zur Tschamberhöhle. Ein unterirdischer Bach hat sich hier über Jahrtausende 40 Meter tief in den Muschelkalk des Dinkelbergs ...
Die Tschamberhöhle in Karsau ist einen Besuch wert
Eingezwängt zwischen Bundesstrasse, Bahndamm und Rhein liegt bei Karsau der Eingang zur Tschamberhöhle. Ein unterirdischer Bach hat sich hier über Jahrtausende 40 Meter tief in den Muschelkalk des Dinkelbergs gegraben. Die Höhle ist auf 600 Metern auch für Familien begehbar.
Boris Burkhardt
Die Betonstufen der schmalen Kellertreppe sind rutschig vom Laub. Sie führen zwischen Steinmauern und herabhängendem Efeu rund vier Meter in die Böschung hinein, eingeklemmt zwischen der Bundesstrasse und dem Bahndamm. Werner Lust geht vorsichtig voran; er trägt einen Bauarbeiterhelm und hat eine Taschenlampe dabei. Am Ende der Treppe schliesst er das Gitter auf, das einmal grün war und mit einer durchlöcherten Metallplatte verstärkt ist. Draussen ist es noch spätsommerlich warm: Drinnen werden es konstant 11 Grad sein.
Acht ehrenamtliche Führer
Schon in der Jungsteinzeit sollen Menschen in der Tschamberhöhle bei Karsau Schutz gesucht haben. Noch heute ist der Eingang zur Höhle gut versteckt und nur entlang eines schmalen Wegs gegenüber dem Gasthaus «Storchen» zu erreichen. Sonn- und feiertags kann die Höhle unter Voranmeldung besichtigt werden. Schulklassen, Gruppen auf Betriebsausf lügen, Familien mit Kindern ab drei Jahren und Tagestouristen führt Werner Lust als einer von derzeit acht ehrenamtlichen Führern in die stille Welt der Tschamberhöhle; 98 Personen an einem Sonntag war der Rekord während der Sommerferien.
Auf 1600 Metern Länge ist die Höhle von Speläologen erforscht; auf 600 Metern für Besucher auf Metallstegen begehbar und elektrisch beleuchtet. Oft besteht sie nur aus schmalen Gängen, mehrfach unterbrochen von Hallen, in denen sich das Wasser zu Strudeln sammelt: Denn 40 Meter tief unter dem Dinkelbergmassiv hat die Tschamberhöhle das urzeitliche Grundwasser in den jurassischen Muschelkalk gegraben, mit für Menschen kaum vorstellbarer Langsamkeit von drei Zentimetern pro Jahrtausend.
Eine von nur rund 50 Schauhöhlen in ganz Deutschland
Von «hohen klammförmigen Gängen mit weit herausragenden Zacken, Schratten und Karren» und «imposanten Hallen und schmalen Passagen» schwärmt Jürgen Räuber, Ortsvorsteher des Rheinfelder Stadtteils Karsau bei anderer Gelegenheit. Wie alle Karsauer ist er mächtig stolz auf die Tschamberhöhle: Immerhin ist sie eine von nur 50 Schauhöhlen in ganz Deutschland und eine von drei im Muschelkalk. Sie hat nicht den Bekanntheitsgrad wie die nahe Erdmannshöhle in Hasel, ebenfalls im jurassischen Dinkelberg, die mit ihren Tropfsteinhallen wirbt, ist gerade deswegen aber noch immer ein Geheimtipp für einen Sonntagsausflug.
Tropfsteine gibt es in der Tschamberhöhle tatsächlich nur am Eingang, wenige Zentimeter grosse Stalaktiten, von denen immerfort das Wasser tropft. Auf den ersten Metern ist das Gestein sehr nass: Das Wasser sammelt sich in Pfützen auf den Einbuchtungen der Felswand, wo der grauweisse Kal k den Stei n w ie Zuckerglasur überzieht. Konstante 10,5 bis 11,5 Grad herrschen hier, 87 Prozent Luftfeuchtigkeit. Ein Paradies für die Lungen: «Nach einer Führung hier unten ist mein Heuschnupfen für Stunden verschwunden», sagt Lust.
Nach wenigen Gehminuten gelangt er zum erwähnten unterirdischen Bach, der die Höhle geformt hat. Dieser verlässt kurz vor dem heutigen Ausgang den begehbaren Teil der Höhle und tritt wenige Meter daneben als Rheinzufluss aus dem Hochgestade. Ab hier ist der Fels trocken aber nicht weniger faszinierend geformt. «Die Kinder haben den Formationen Namen gegeben», sagt Werner Lust und leuchtet auf das «Nashorn», das als «Türsturz» über dem Eingang zu einem niedrigen Gang hervorspringt. Nach 400 Metern erreichen die Besucher eine Stromschnelle. Höhepunkt und Schlusspunkt des begehbaren Teils der Höhle ist aber der rund vier Meter hohe Wasserfall, der sich in ein grosses natürliches Becken ergiesst und die Höhle entsprechend akustisch ausfüllt.
Volksfeste mit Bier und Tanzmusik
Die Geschichte der touristischen Nutzung der Tschamberhöhle ist wechselhaft: Beim Bau der Bahnstrecke Basel–Schaffhausen zwischen 1853 und 1856 wurde der ursprüngliche Eingang absichtlich zugeschüttet. Fast drei Jahrzehnte wurde nach der Höhle gesucht, ein neuer Eingang erst 1883 gefunden. Für wenige Jahre blühte das Interesse an der Höhle auf; sogar von kleinen Volksfesten mit Bier, Tanzmusik und sonstigem Zeitvertreib ist in zeitgenössischen Berichten die Rede. Doch dann verflachte das öffentliche Interesse erneut.
Auch die Wissenschaft hatte kein Interesse am «Tschamberloch», wie es damals noch genannt wurde. Ein gewisser Professor Budnoff sprach der Tschamberhöhle 1909 sogar ab, überhaupt eine Höhle zu sein: «Da es sich um einen schmalen Gang, einen unterirdischen Bachlauf handelt», vermochte der Gelehrte auch nicht «den Nutzen einer weitergehenden Erschliessung» sehen. Doch die damaligen Mitglieder des Schwarzwaldvereins Rheinfelden liessen sich durch dieses Urteil nicht entmutigen: Sie machten die Höhle auf Holzstegen begehbar und öffneten sie 1912 erstmals beständig einem allgemeinen Publikum.
Auch die Wissenschaftler denken heute anders über die Tschamberhöhle, wie zuletzt 2004 der württembergische Speläologe Herbert Griesinger (1947–2005) in einer Fachzeitschrift bestätigt. Die geringe Besucherzahl von damals 2000 Menschen pro Jahr werde der Bedeutung der Höhle nicht gerecht, findet er. In der Tschamberhöhle seien «geradezu ideal die Hauptelemente von Höhlenbildung zu beobachten»: die Erosion als mechanisch ausfurchende und einschneidende Wirkung des Wassers und die Korrosion als chemischer Angriff des Wassers. Der Einfluss von Tektonik, Klüftung und Bankung und die Ausrichtung auf den Bach «können geradezu bilderbuchmässig studiert werden.
An den begehbaren Teil schliesst sich unter anderem ein 300 Meter langer Bereich unter Wasser an, ein sogenannter Siphon, dann wieder eine bis zu 150 Meter lange Trockenstrecke und erneut ein Siphon. Dieser wurde bisher bis auf 90 Meter Länge betaucht. Lust selbst erforscht als Hobby Höhlen und stieg schon im hinteren Teil der Tschamberhöhle in das sechs bis acht Grad kalte Wasser.
Alle Informationen zur Tschamberhöhle finden sich unter www.tschamberhoehle.info. Besichtigungen sind dieses Jahr noch bis zum 29. Oktober möglich.





