Auswirkungen von Erdbeben erstmals umfassend ermittelt
09.03.2023 FricktalNeue Grundlage, um sich auf Erdbeben vorzubereiten
Erdbeben gehören neben Pandemien und Strom - mangellage zu den grössten Risiken der Schweiz. Neben Risikoeinschätzungen für gewisse Zeiträume und Orte kann der Erdbebendienst neu anhand des Erdbebenrisikomodells Szenarien erstellen.
Bisher war wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen Erdbeben in der Schweiz auf Personen und Gebäude haben können. Im Auftrag des Bundesrates hat der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (BA-FU), dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), der EPFL und weiteren Partnern aus der Industrie das erste öffentlich zugängliche und bisher fundierteste Erdbebenrisikomodell für die Schweiz entwickelt. Das Modell schafft eine neue Grundlage für Bevölkerung, Behörden und Wirtschaft, um sich auf Erdbeben vorzubereiten und das nächste Schadensbeben besser zu bewältigen.
Statistisch gesehen erlebt jede Person in der Schweiz im Laufe ihres Lebens mindestens ein Erdbeben, das ernste Schäden verursacht. Damit gehören Erdbeben neben Pandemien und Strommangellagen zu den grössten Risiken der Schweiz. Im Vergleich zu anderen Naturgefahren treten sie zwar seltener auf, können aber bedeutsame Schäden verursachen. Das nun veröffentlichte Erd beben risi komodel l der Schweiz erlaubt es erstmals, die zu erwartenden Schäden fundiert zu beziffern. Während die Erdbebengefährdung abschätzt, wie oft und wie stark die Erde an bestimmten Orten in Zukunft beben könnte, beschreibt das Erdbebenrisiko die Auswirkungen auf Personen und Gebäude. Im Erdbebenrisikomodell werden dazu detaillierte Informationen zur Erdbebengefährdung, zum Einf luss des lokalen Untergrunds, zur Verletzbarkeit von Gebäuden sowie zu den betroffenen Personen und Werten kombiniert.
Grösstes Risiko in städtischen Gebieten
Das grösste Erdbebenrisiko besteht gemäss dem neuen Modell in dieser Reihenfolge für die Städte Basel, Genf, Zürich, Luzern und Bern. Zwar unterscheidet sich die Erdbebengefährdung in diesen Regionen, aber wegen ihrer Grösse befinden sich in allen fünf Städten zahlreiche Personen und Werte, die bei einem Erdbeben betroffen wären. Zudem verfügen diese Städte über viele, teils besonders verletzliche Gebäude, die oft auf einem weichen Untergrund stehen, der Erdbebenwellen verstärkt.
Die meisten Gebäudeschäden infolge von Erdbeben sind in den Kantonen Bern, Wallis, Zürich, Waadt und Basel-Stadt zu erwarten. Auf sie entfallen rund die Hälfte der geschätzten finanziellen Verluste. Gemäss den Modellberechnungen ist zu erwarten, dass Erdbeben über einen Zeitraum von 100 Jahren allein an Gebäuden und ihren Inhalten wie Möbel einen wirtschaftlichen Schaden von 11 bis 44 Milliarden Schweizer Franken verursachen. Insgesamt würden etwa 150 bis 1600 Personen ihr Leben verlieren und schätzungsweise 40 000 bis 175 000 kurz- bis langfristig obdachlos werden. Hinzu kommen Schäden an Infrastrukturen und Verluste durch weitere Folgen von Erdbeben wie Hangrutschungen, Feuer oder Betriebsunterbrüche. Diese sind allerdings noch nicht im Modell berücksichtigt. Das Erdbebenrisiko verteilt sich dabei nicht gleichmässig über die Zeit, sondern ist durch seltene, katastrophale Erdbeben dominiert, die meistens ohne Vorwarnung auftreten.
Produkte und Nutzen
Neben Risikoeinschätzungen für gewisse Zeiträume und Orte kann der Erdbebendienst neu anhand des Erdbebenrisikomodells Szenarien erstellen. Damit lassen sich unter anderem die heute zu erwartenden Auswirkungen historischer Schadensbeben in der Schweiz veranschaulichen. Bei einer Wiederholung des Basler Bebens von 1356 mit einer Magnitude von 6.6 wäre in der Schweiz beispielsweise mit etwa 3000 Toten und Gebäudeschäden im Umfang von ungefähr 45 Milliarden Schweizer Franken zu rechnen.
Schwere Erdbeben können aber grundsätzlich überall auftreten. Der SED stellt deshalb für jeden Kantonshauptort und eine weitere Ortschaft ein Szenario für ein schadenbringendes Beben mit einer Magnitude 6 bereit. Ein solches Erdbeben ereignet sich durchschnittlich alle 50 bis 150 Jahre irgendwo in der Schweiz oder im grenznahen Ausland. Diese insgesamt 59 Szenarien sollen dazu beitragen, Behörden und Bevölkerung für die Auswirkungen von schadenbringenden Erdbeben in der Schweiz zu sensibilisieren.
Basierend auf dem Erdbebenrisikomodell wird der Erdbebendienst nach jedem Beben mit einer Magnitude von 3 oder grösser eine schnelle Schadensabschätzung veröffentlichen. Die schnelle Schadensabschätzung informiert die Bevölkerung und Einsatzkräfte bei weiträumig spürbaren oder schadenbringenden Beben über die zu erwartenden Folgen. Vereinzelte Schäden sind nahe dem Epizentrum etwa ab einer Magnitude von 4 möglich. Weiter lassen sich die Risiken für Gebäudeportfolios bestimmen oder detaillierte Szenarien für Städte und Agglomerationen erstellen. Als eines der ersten Länder weltweit verfügt die Schweiz damit über eine frei zugängliche Grundlage, um fundierte Entscheide im Bereich Erdbebenvorsorge und Ereignisbewältigung zu treffen. (mgt)