«Die Menschlichkeit sollte mehr Platz haben in unserem System»
02.12.2022 RheinfeldenThomas Henzel ist Geschäftsführer des Gemeindeverbandes Sozialbereiche Bezirk Rheinfelden (GSBR). Der Bedarf an Beratung und Unterstützung nimmt immer mehr zu.
Regula Laux
NFZ: Herr Henzel, Ihnen unterstehen verschiedene Beratungsstellen im sozialen Bereich. Ein schwieriges Unterfangen, rund 70 Mitarbeitende, die in derlei sensiblen Bereichen tätig sind, zu führen, oder?
Thomas Henzel: Nein es ist nicht schwierig, weil wir in den sieben Bereichen die entsprechenden Bereichsleitungen haben, die jeweils führen. Ich habe einen kooperativen Führungsstil und nicht einen patriarchalischen. Und dann gibt es ja den Unterscheid zwischen der operativen und der strategischen Führungsebene. Ich konzentriere mich auf den strategischen Bereich und kann deshalb entspannter führen. Wenn man ein Team hat, das diesen Führungsstil schätzt, ist das ein sehr positives miteinander Arbeiten. Deshalb würde ich sagen: Wir führen die GSBR miteinander.
Wie beschreiben Sie die Entwicklungen bezüglich Beratungen in letzter Zeit? Lassen sich da Parallelen erkennen in den verschiedenen Bereichen?
Der Bedarf an Beratung und Unterstützung nimmt in allen Bereichen immer mehr zu. Da wirken ganz verschiedene Faktoren: Die weltbzw. europapolitische Lage mit ihren direkten Auswirkungen, wobei wir als Beispiele die verstärkten Flüchtlingsbewegungen, die Energieknappheit und die Veränderungen im Gesundheitswesen nennen können. Derlei Faktoren wirken sich ganz konkret auf den Sozialbereich aus und fordern die Ressourcen des GSBR in den verschiedenen Bereichen. Aber auch der gesellschaftliche Wandel wirkt sich auf unsere Arbeit aus: Das klassische Familienmodell, das man früher kannte, befindet sich im Umbruch, damit verstärken sich Forderungen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Teilzeitarbeitsmodellen etc. Die Generation Z hat ihre eigenen Ansprüche und Forderungen. Für viele wichtige Dinge haben wir viel zu wenig Zeit. Okay, der Vaterschaftsurlaub ist durch, die Teilzeitmodelle sind im Kommen. Aber ein Grossteil der Gesellschaft hat immer noch Mühe, wenn ein Mann seine Kinder auf dem Spielplatz betreut. Das Klischee vom Hausmann wirkt noch speziell. Da müssen wir unbedingt mehr Akzeptanz schaffen.
Gibt es eine Zusammenarbeit oder Vernetzung zwischen den verschiedenen Bereichen?
Ja, das findet bereits statt. Wenn zum Beispiel bei der Mütter- und Väterberatung, die sich mit Kindern zwischen 0 bis 5 Jahren beschäftigt, Auffälligkeiten festgestellt werden, kann eine Anfrage an unsere Fachstelle für persönliche Beratung erfolgen. Es gibt Familien oder Klienten, die in mehreren GSBR-Bereichen aktenkundig sind. Der Austausch muss aber noch intensiviert werden, daran arbeiten wir und davon profitieren nicht nur unsere Klienten, sondern auch unsere Mitarbeitenden. Sie können sowohl zwischenmenschlich als auch fachspezifisch durch eine verstärkte Zusammenarbeit der Bereiche nur gewinnen. Die Vernetzung der Bereiche war auch mit ein Grund, die «Betreuung Asyl» im Verband weiter zu aktivieren. Unsere Fachstelle «mit.dabei-Fricktal» ist ja unter anderem auch im Austausch mit Flüchtlingen. Nun kann ein direkter interner Austausch zwischen den beiden Bereichen «mit.dabei-Fricktal» und «Betreuung Asyl» stattfinden, was viel bringt.
Wie sind Ihre allgemeinen Prognosen für die Zukunft – und Ihre Wünsche?
Wie anfangs bereits erwähnt, werden wir in unserem Business, also dem Sozialbereich, in Zukunft immer mehr gefordert werden. Da verspüre ich einen intensiven Wunsch: Die Menschlichkeit sollte mehr Platz haben in unserem System!
Wenn man Ihren Namen im Netz eingibt, so findet man sie auch als Vizepräsident des Dachverbandes «Männer.ch». Was hat es damit auf sich?
«Männer.ch»… das ist hochspannend, was da auf nationaler Ebene abgeht! Es geht um Fragen zur Gleichberechtigung, um Genderdiskurse und egalitäre Familienmodelle. Wir sind ganz vielfältig aktiv und bieten beispielsweise auch Crashkurse für (werdende) Väter an. Und wir stehen in engem Austausch mit dem Frauendachverbach «alliance F», der Organisation, die sich selbst als «politische Stimme der Frauen in der Schweiz» beschreibt.
Das klingt ja alles recht progressiv, was man bei dem Namen «Männer.ch» nicht unbedingt erwarten würde…
Ja, der Name gibt immer wieder Anlass zu Diskussionen. Aber wir halten die Irritation für fruchtbar: Weshalb sollten sich Männer nicht auch für Gleichstellung einsetzen? Die gelingt doch ohne Männeremanzipation nicht. Zudem darf man nicht übersehen; auch Männer leiden unter patriarchalen Männlichkeitsvorstellungen.
Seit 2018 sind Sie im Gemeinderat von Magden, 2020 kandidierten Sie bei den Grossratswahlen für ‹Die Mitte›. Ein einmaliges Unterfangen oder werden wir bei den nächsten Wahlen wieder auf Ihren Namen stossen?
Nein, eine Kandidatur bei den Grossratswahlen kommt definitiv nicht mehr in Frage. Ich habe da ganz unschöne Sachen erlebt und wurde persönlich angegriffen. Das muss ich nicht mehr haben, so mit negativen Dingen bombardiert zu werden. In der Kommunalpolitik möchte ich mich aber auch weiterhin engagieren. Der direkte Austausch ist mir wichtig und auch ein respektvoller Umgang miteinander.
Sie engagieren sich auch als Fachpflege-Vater? Was bedeutet das genau?
Ja, in diesem Bereich bin ich sehr aktiv. Seit mittlerweile 15 Jahren habe ich drei Pflegekinder und auch sonst setze ich mich sehr für die Unterbringung in Pflegefamilien ein. In der Schweiz haben wir ein klares Spannungsverhältnis mit zirka 80 Prozent Heimeinweisungen gegenüber rund 20 Prozent Unterbringungen in Pf legefamilien. Da müssen wir uns doch automatisch ein paar Fragen stellen, zum Beispiel: Was kostet das unsere Gemeinden und was macht das mit den Kindern? Unser System muss hier ganz viele Hausaufgaben machen, unsere Behörden wirken nicht unterstützend für das ‹System Pf legefamilien›. Deutschland ist uns hier um ein Vielfaches voraus.
Wie schaffen Sie es, all diese Engagements unter einen Hut zu bringen?
Das Zeitmanagement ist schon schwierig und meine Tage sind recht gut ausgefüllt. Für mich ist es sehr wichtig, die Freizeit qualitativ gut zu gestalten. Meine freien Stunden oder Sonntage lasse ich mir nicht nehmen. Und das gilt auch für meine Mitarbeitenden. Zufriedenheit leben, doch das geht nicht immer, möchte ich jedoch unbedingt anstreben.
Haben Sie ein persönliches Rezept oder ein Lebensmotto, das Sie uns verraten?
Etwas, das ich jeden Tag versuche zu leben: Das positive Denken und das Gute im Gegenüber erkennen. Jeder hat irgendetwas Gutes an sich, man muss es nur erkennen.
Zum Gemeindeverband Sozialbereiche Bezirk Rheinfelden (GSBR) gehören folgende Bereiche:
• Fachstelle für persönliche Beratung
• Mütter- und Väterberatung
• Schulsozialdienst
• Logopädischer Dienst
• mit.dabei-Fricktal
• Betreuung Asyl
• Berufsbeistand
Weitere Informationen zu den Angeboten unter www.gsbr.ch