«Wie das krabbelt – da ist der Teufel los»
26.11.2022 Möhlin, NaturBiodiversität im Meler Feld: ein Halbzeitgespräch mit Markus Kasper vom Natur- und Vogelschutz
Der Natur- und Vogelschutz Möhlin hat vor fünf Jahren «BiM!» lanciert. Das Projekt lässt Landwirten eine Abgeltung für Massnahmen zugunsten der Biodiversität im Möhliner Feld zukommen.
Ronny Wittenwiler
NFZ: Markus Kasper, Sie sagten beim Projektstart 2017: «Die Bauern sind unsere wichtigste Spezies überhaupt im Meler Feld.» Wie hat sich diese Spezies entwickelt?
Markus Kasper: Stabil (lacht).
Und wie hält sie es mit der Biodiversität?
Die Bauern kennen den Begriff mittlerweile gut, wird er ihnen doch immer wieder um die Ohren geschlagen. Doch es wohnen zwei Herzen in ihrer Brust. Dafür habe ich Verständnis.
Inwiefern?
In erste Linie sind die Bauern Produzenten. Dazu stehen auch wir vom Natur- und Vogelschutz. Das Meler Feld mit seinen Böden eignet sich hervorragend zum Produzieren von Nahrungsmitteln.
Ist es anstrengend, stets für die Biodiversität kämpfen zu müssen?
Sehr. Eine Zeitlang dachte ich, es gäbe einen Wandel.
Wann war das?
Vor rund zehn Jahren, als es erste Abgeltungen für Brachen gab. Anfangs herrschte riesige Begeisterung für diese neue Direktzahlung. Anpflanzen auf riesigen Flächen und nichts damit zu tun zu haben, glaubte man. Das war falsch, und es entglitt dann zunehmend mit den Neophyten. Heute weiss man: Es ist mit Aufwand verbunden, vor allem mit Manpower.
Wie viele Landwirte haben heute mit dem Natur- und Vogelschutz einen Vertrag?
Zweiundzwanzig insgesamt. Fünfzehn aus Möhlin, fünf aus Zeiningen, zwei aus Wallbach.
Gibt es Landwirte, die nichts damit zu tun haben wollen?
Ja.
Warum?
Manche sind festgefahren in der Viehwirtschaft. Die könnten kaum mitmachen, ohne Vieh zu reduzieren.
Es gibt keine andere Möglichkeit?
Wer intensive Viehwirtschaft betreibt, benötigt entsprechend Futterfläche. Es ist immerhin sinnvoll, diese Fläche um den eigenen Hof zu haben, als das Futter aus dem Ausland heranzukarren. Wir überlegten uns aber auch schon einen Deal: Der Bauer verzichtet auf die eine oder andere Kuh und hat dann entsprechend mehr freie Fläche für Biodiversität zur Verfügung. Diese Kühe gelten wir dann ab.
Also ein Kuhhandel quasi?
(Lacht). Ja. Ich denke sowieso, dass es künftig weniger Beiträge geben wird für Viehwirtschaft in Flachzonen, weil dort eigentlich Ackerbau prädestiniert wäre. Kühe müssten in den Voralpen gehalten werden, wo sie auch der Landschaftspflege dienen. Bei uns in den Flachzonen sollten Direktnahrungsmittel produziert werden und nicht übers Fleisch.
Diese Aussage wird jetzt der eine oder andere Bauer lesen und sagen…
… Uh, der Kasper wieder (lacht).
Damit müssen Sie leben.
Ja. Aber für mich ist das offensichtlich: Auf dem Meler Feld mit seinen fruchtbaren Böden musst du keine grossen Kuhherden halten, das ist völlig unpassend.
Das Verhältnis zwischen den Möhliner Bauern und dem Naturund Vogelschutz ist gut?
Ich glaube, ja. Wir kennen viele Bauern seit zwanzig Jahren und wir haben bei ihnen ein gutes Ansehen, das ist zumindest unser Eindruck. Man kann mit ihnen diskutieren, sie sind offen, haben aber auch ihre klare Linie.
Ganz ehrlich: Erscheint Ihnen vor dem Hintergrund einer grossen Klimakrise Ihr Engagement manchmal nicht hoffnungslos?
Nein. Die sichtbaren Erfolge der Arbeit stimmen mich hoffnungsvoll. Feststellen, dass eine Verbesserung sichtbar ist, gibt mir Kraft. Dann lohnt sich das Ganze.
Aber müssen wir dieses Schicksalshafte nicht auch zu akzeptieren versuchen, dass gewisse Arten nun mal nicht überleben?
Dass Arten verschwinden, ist doch schon immer so gewesen, klar. Der Punkt ist, dass all das jetzt bis zu hundertmal schneller geht als in den Millionen Jahren davor. Das ist unheimlich. Man kann schon sagen: Stirbt dieser Wurm aus, kratzt das mich doch nicht. Aber vielleicht hat genau diese Art eine gewisse Bedeutung für andere Arten. Wenn die komplexen Zusammenhänge der Biodiversität plötzlich wie ein Kartenhaus einzustürzen beginnen, geht es auch uns an den Kragen. *
Die Dorngrasmücke, Vogelart, ist ein leuchtendes Beispiel für die Rückeroberung des Meler Felds. «Sie ist auf Strukturen angewiesen», sagt Kasper: «Büsche, Brachen, Hecken, Säume.» Vor fünf Jahren war im Meler Feld kein einziges Brutpaar der Dorngrasmücke auszumachen. «Heute zählen wir fünf Brutpaare.»
Vielleicht, so mag man dagegenhalten, ist das noch nicht der grosse Ansturm. Und doch: Demnach lebt nach aktuellen Zählungen ein Viertel der Population aller Dorngrasmücken im Aargau im Meler Feld. Kasper sagt: «Wenn du verlorengegangene Strukturen wieder herstellst, kommen manche Arten wieder zurück. So auch das Schwarzkehlchen.» Und dann nimmt er den Zuhörer rasch mit in seine eigene Welt, wenn er davon spricht: «Näherst du dich nachts im Sommer einer Brache im Möhliner Feld: Wie das krabbelt und macht – da ist der Teufel los!» Fünf Jahre sind vorbei. Es ist Halbzeit im Projekt «BiM!», Biodiversität im Meler Feld.
Wo wollen Sie hin in den nächsten fünf Jahren?
Wir möchten gerne noch zwei, drei Bauernbetriebe hinzugewinnen. 25 sind realistisch, vielleicht noch mehr. Natürlich sehen auch wir ein: Wegen der Nahrungsmittelproduktion können wir nicht einfach immer nur mehr Land generell einfordern. Unser Ziel muss vor allem qualitativ sein: Flächen, die wir als ökologischen Ausgleich bekommen, müssen wir für die Biodiversität optimal gestalten.
Wann hat Ihnen letztmals ein Bauer gesagt, Sie seien ein Spinner?
Wir fuhren einmal für eine Nistkastenkontrolle auf einem Hof vor. Der Bauer sass dort und sagte: «Ihr könnt gleich wieder abfahren. Mit euch wollen wir nichts zu tun haben.» Enttäuscht war ich zudem, als wir mit einem Bauern kurz vor Abschluss eines Vertrags gestanden waren. Im letzten Moment sagte er ab.
Woran scheitert sowas?
Ein Bauer, der sich ausschliesslich als Produzent sieht, sagt vielleicht: «Mit diesen Grünen da will ich nichts zu tun haben.»
Sieht man euch als Bedrohung?
Gleich als Bedrohung glaube ich nicht. (Überlegt) Meinen Sie wirklich als Bedrohung?
Keine Ahnung. Ich frage mich, wo diese Abwehrhaltung herrührt.
Ich glaube, die Abwehrhaltung ist nicht gegen uns persönlich gerichtet, sondern gegen Massnahmen. In der Schweiz herrscht nach wie vor zu sehr dieses Sauberkeitsbild: Eine Brache ist etwas Ungepflegtes, Grusiges und gibt nur Arbeit. Viele sehen eine solche Brache noch zu wenig als ein wertvolles Gut wie etwa ein Getreide.
Naturschutz braucht einen langen Atem?
Biodiversität wird noch immer unterschätzt. Beim Klimawandel sehen wir mittlerweile anhand vieler Bilder, was abgeht. In der Biodiversität ist das noch weniger sichtbar. Wie gesagt: Verschwindet ein Käfer, kratzt das im Moment kaum jemanden, nur ein paar Spinner und Biologen. Aber lassen wir es einfach laufen, gibt das denselben GAU wie mit dem Klima. Die Bienen, die als Bestäuber verschwinden, sind das beste Beispiel, um die Auswirkungen erklären zu können.
Unter Druck
Das Möhliner Feld als eine der letzten grossen Flächen im Kanton mit nicht überbautem Kulturland sei schwer unter Druck, sagte Markus Kasper vor fünf Jahren, und der Einbruch der Artenvielfalt machte sich längst bemerkbar.
1999 zählte man im Meler Feld noch dreissig Feldlerchen-Brutpaare, 2015 deren fünf. Und dann, im Herbst 2017, kam rund ein Dutzend Landwirte an diesen Vortragsabend. Der Natur- und Vogelschutz Möhlin stellte das Projekt «BiM!» vor. «Je nach Massnahme offerieren wir den Landwirten zusätzliche Fördergelder nebst den Subventionen von Bund und Kanton», erzählte Kasper dieser Zeitung. Jetzt, fünf Jahre später und bei Halbzeit, hat der NVM mit fast zwei Dutzend Landwirten einen Vertrag über Fördermassnahmen im Meler Feld abgeschlossen.
Wozu eine Brache?
Eine solche Massnahme ist das Anlegen sogenannter Buntbrachen, also Abschnitte, auf denen über einen mehrjährigen Zeitraum keine Bewirtschaftung stattfindet und die so den Tieren als Rückzugsort und Futterquelle dienen. Auch soll so ein Blüten- beziehungsweise Nahrungsangebot für Bienen und andere Insekten geschaffen werden.
Fünf Schirmarten
Insgesamt verfolgt der NVM mit seinem Projekt den Erhalt beziehungsweise die Wiederansiedlung von fünf sogenannten Schirmarten: Feldlerche, Steinkauz, Kreuzkröte, Wildbiene und Kornrade (eine Ackerpflanze). «Schaffen wir es, zusammen mit den Bauern den Lebensraum für diese fünf Arten zu erhalten und fördern, so werden automatisch weitere Tier- und Pflanzenarten profitieren», sagte Kasper. Er teilt sich mit Hansruedi Böni das Co-Präsidium des Natur- und Vogelschutzes Möhlin. (rw)